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# taz.de -- Kolumne Besser: Mit fettarschiger Selbstzufriedenheit
> Die Sache mit dem „kriddischen Dschornalismus“ oder warum fast alle
> deutschen Journalisten Jakob Augstein so inbrünstig verteidigen.
Bild: Adolf Eichmann beim Prozess 1961 in Jerusalem: Den haben noch alle eindeu…
Den letzten lebenden Antisemiten, das kann man als Zwischenfazit der
Debatte um Jakob Augstein festhalten, haben deutsche Journalisten um 1960
in Jerusalem gesichtet. Seither gilt: Hierzulande gibt es zwar, wie alle
wissen und ganz schlümm finden, Antisemitismus, es gibt aber keine
Antisemiten. Und wenn, dann sitzen diese irgendwo in Zwickau und Neukölln
oder verstecken sich im Internet. Sie tragen schlecht sitzende Anzüge,
riechen aus dem Mund und werden (hoffentlich) vom Verfassungsschutz
beobachtet.
Jenseits der Vorstellungskraft deutscher Journalisten hingegen liegt es,
dass einer der ihren Antisemit sein oder sich regelmäßig aus dem Fundus
antisemitischer Denkfiguren bedienen könnte. (Was genau ist noch mal der
Unterschied?) Einer, der Teilhaber einer namhaften Illustrierten ist, für
das größte Onlinemagazin des Landes schreibt und aus Steuergründen oder
auch nur spaßeshalber ein eigenes „Meinungsmedium“ unterhält; einer, mit
dem man im „Presseclub“ sitzt und mit dem man schon über manches Kalte
Buffet hergefallen ist – so einer kann kein Antisemit sein.
Darum verteidigen die meisten deutschen Journalisten Augstein, mit geringer
Textkenntnis zwar, aber umso größerer Inbrunst. Sie weisen die Kritik des
Simon-Wiesenthal-Centers als falsch, maßlos und abstrus zurück und loben
sich gegenseitig dafür, diese Anmaßung amerikanischer Juden als falsch,
maßlos und abstrus zurückzuweisen. Als noch eine Spur dämlicher als alle
anderen erweist sich einmal mehr Spiegel-Online-Kolumnist [1][Jan
Fleischhauer]. Der war nämlich schon mal bei Augstein zuhause, konnte dort
aber nichts Verdächtiges finden, weshalb er Augstein koscher und die Kritik
an ihm falsch, maßlos und abstrus findet.
Sicher, es gibt Ausnahmen. [2][Clemens Wergin] etwa gelangt in der Welt zu
dem Befund, dass Augstein „einen Juden- und Israelknacks und ein
links-antisemitisch gefärbtes Weltbild“ habe. [3][Cigdem Akyol] attestiert
ihm in der taz eine „gruselige Wortwahl“ und eine „eindeutig
antiisraelische“ Haltung. Und [4][Malte Lehming] plädiert im Tagesspiegel
dafür, den Antisemitismus der Gegenwart zur Kenntnis zu nehmen: „Gemessen
an Streicher ist niemand ein Antisemit.“
Ansonsten aber herrscht unter deutschen Journalisten Geschlossenheit – und
zwar ungeachtet aller politischen Provenienz und unabhängig davon, ob die
Autoren schon deshalb nichts Anrüchiges an Augsteins Israelkritik finden,
weil sie sie teilen, oder nicht.
## Kritisch wie Dönerverkäufer
Das hat mit Standesdünkel zu tun. Journalisten, besonders die Leitartikler
unter ihnen, betrachten es als ihr edles Vorrecht, an allem und jedem
herumzumäkeln, reagieren aber patzig, wenn ihr eigenes Schaffen in die
Kritik gerät. Den Ausdruck „kritisch“ haben sie so gepachtet wie
Dönerverkäufer das Wort „komplett“. Damit aber verhält es sich ähnlich …
mit Inseraten „50.000 Euro Sofortkredit – seriös!“ Wenn es einer nötig …
mit einer Selbstverständlichkeit zu hausieren, kann man davon ausgehen,
dass das Gegenteil wahr ist.
Vor Jahren warb die Mainzer Allgemeine Zeitung, ein provinzielles
Wurstblatt unter vielen, mit dem Spruch „Isch bin Meenzer und bin
kriddisch“. Und kriddischer Dschornalismus wird, davon kann man sich
montags bis samstags bei der [5][„Presseschau“] des Deutschlandfunks
überzeugen, überall dort betrieben, wo intellektuelle Mittelmäßigkeit auf
stilistische Stümperei und geistlose Faktenhuberei trifft.
Etwas abgrundtief scheiße oder makellos und wunderbar zu finden, ist unter
kriddischen Dschornalisten als unseriös und polemisch verpönt. Stattdessen
herrschen in den Kommentarspalten kleinliche Besserwisserei und
fettarschige Selbstzufriedenheit. Kein Wunder, dass Augstein sich damit
[6][verteidigt], er betreibe lediglich kriddischen Dschornalismus.
Dabei zeigen die Reaktionen auf die Liste des Simon-Wiesenthal-Centers, wie
wenig kriddischer Dschornalismus mit kritischem Denken zu tun hat. Denn
noch vor der Veröffentlichung dieser Liste hatten sich [7][Henryk M.
Broder] in der Welt, [8][Rainer Trampert] in der konkret, [9][Stefan
Gärtner] in der Titanic oder [10][Andrej Reisin] im Blog Publikative.org
Augsteins Publizistik angenommen und waren zu ähnlichen Ergebnissen
gekommen. [11][Philip Meinhold] ließ sich bei seiner großartigen Anleitung
für einen „israelkritischen Text“, die vor einigen Wochen auf der
taz-Wahrheit erschien, von Augstein inspirieren und auch an [12][dieser
Stelle] war Augsteins Schreibschreib bereits Thema.
Doch Broder, konkret, Titanic oder Nischenplätze in der taz gelten
kriddischen Dschornalisten als (siehe oben) unseriös, weshalb sie bei der
Veröffentlichung der Liste nicht nur überrascht taten, sondern es
vermutlich auch waren.
## Vorwürfe, die keiner erhoben hat
Seither verteidigen sie, der [13][Bildblog] hat bereits darauf hingewiesen,
Augstein gegen Vorwürfe, die niemand erhoben hat. Denn das
Simon-Wiesenthal-Center hat ihn eben nicht auf die Liste der zehn
„schlimmsten“ [14][(dpa)], „gefährlichsten“ [15][(Süddeutsche)],
„wichtigsten“ [16][(Reuters Deutschland)] oder „größten“ [17][(taz)]
Antisemiten der Welt gesetzt. Diese [18][Liste] beinhaltet lediglich die
„Top Ten antisemitischen oder antiisraelischen Verunglimpfungen des Jahres
2012“.
Und an dieser Liste ließe sich einiges beanstanden. Beispielsweise, dass
sich das Simon-Wiesenthal-Center auf Henryk M. Broder berufen hat, wo es
selbst eine hinlängliche Referenz gewesen wäre. Oder dass es womöglich
aufschlussreicher wäre, sich auch anderen etablierten – und oft genug
linken – israelkritischen Publizisten zu widmen, während man ägyptische
Muslimbrüder oder griechische Neonazis wegen zu großer Evidenz bei einer
solchen Gelegenheit ruhig vernachlässigen kann. (Die erkennt nämlich noch
der durchschnittliche deutsche Antisemitismusforscher, der sich vor lauter
Beschäftigung mit den toten Juden nicht groß um die lebenden kümmert, als
judenfeindlich.)
Bequem aber es ist es, einen Vorwurf zu konstruieren, den man anschließend
spielend zerpflücken kann. („Ätsch, Augstein strebt gar nicht den Besitz
von Atomwaffen an!“) Ebenso ist ein Zeichen von Denkfaulheit – neben dem
Standesdünkel wohl der zweite Grund dafür, warum Augstein allenthalben
verteidigt wird – anzunehmen, der Antisemitismus habe sich seit Auschwitz
nicht gewandelt.
## Der Jude unter den Staaten
Das hat er aber. Im zeitgenössischen Antisemitismus hat der Staat Israel
den Platz des „Weltjudentums“ eingenommen; „Israel ist der Jude unter den
Staaten“, formulierte der russisch-französische Historiker Leon Poliakov
bereits vor Jahrzehnten.
Und bei Augstein findet sich alles, was den zeitgenössischen Antisemitismus
ausmacht: Von der manisch-obsessiven Beschäftigung mit Israel bis zu den
einseitigen [19][Schuldzuweisungen], die Israel als Weltbrandstifter
erscheinen lassen; von einer Allmacht, die Israel (oder der „jüdischen
Lobby“ in den USA) [20][unterstellt] wird, bis zu [21][Phantasien] darüber,
an welchen Schweinerei Israel alles beteiligt ist; von
[22][Formulierungen], die eine Analogie zwischen der israelischen Politik
und dem deutschen Nationalsozialismus assoziieren lassen, über die
[23][Behauptung], die Juden trügen selber Schuld am Antisemitismus bis zum
[24][Vorwurf], Israel würde Profit aus dem Holocaust schlagen – alles
vorgetragen in der Selbstgewissheit, frei von antisemitischen Ressentiments
zu sein, überzeugt von einem [25][Menschenrecht] auf Israelkritik und
formuliert im [26][Gestus] desjenigen, der eine unbotmäßige Wahrheit
ausspricht und dafür verfolgt wird.
Wer will, möge die Belege dafür an geeigneter Stelle nachlesen. Wer nicht,
halte sich an Augsteins „Meinungmedium“, das in seiner [27][aktuellen
Ausgabe] im von der Sarrazin-Debatte bekannten [28][Bild-Stil] titelt „Wie
sehr darf man als Deutscher eigentlich Israel kritisieren?“ und dem man
antworten möchte: Man darf. Von Montag bis Samstag. Aber warum sind sie
eigentlich so geil darauf?
***
Besser: Das Simon-Wiesenthal-Center behält Jakob Augstein im Auge. Und
wirft einen Blick auf einige seiner Verteidiger in den deutschen Medien.
15 Jan 2013
## LINKS
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/antisemitismus-debatte-der-fall-a…
[2] http://www.welt.de/debatte/article112378427/Augsteins-Verteidiger-sind-auf-…
[3] /!108179/
[4] http://www.tagesspiegel.de/meinung/debatte-um-jakob-augstein-was-im-21-jahr…
[5] http://www.dradio.de/presseschau/
[6] http://www.tagesschau.de/inland/augstein106.html
[7] http://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article111852281/Brief-an-meinen…
[8] http://www.konkret-magazin.de/aktuelles/aus-aktuellem-anlass/aus-aktuellem-…
[9] http://www.titanic-magazin.de/essay-augstein.html
[10] http://www.publikative.org/2012/04/06/im-zweifel-gegen-israel/
[11] /!107442/
[12] /!91582/
[13] http://www.bildblog.de/45022/von-antisemiten-und-antisemanten/
[14] http://www.tagesspiegel.de/politik/antisemitismus-vorwuerfe-cdu-und-linke-…
[15] http://www.sueddeutsche.de/kultur/jakob-augstein-auf-antisemiten-liste-aus…
[16] http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE90104P20130102
[17] /!108397/
[18] http://www.wiesenthal.com/atf/cf/%7B54d385e6-f1b9-4e9f-8e94-890c3e6dd277%7…
[19] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jakob-augstein-ueber-guenter-gra…
[20] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jakob-augstein-ueber-guenter-gra…
[21] http://www.spiegel.de/politik/ausland/mohammed-film-wem-nuetzt-die-welle-d…
[22] http://www.spiegel.de/politik/ausland/jakob-augstein-ueber-israels-gaza-of…
[23] http://www.spiegel.de/politik/ausland/jakob-augstein-ueber-israels-gaza-of…
[24] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/kritik-an-israel-inflationaerer-…
[25] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/kritik-an-israel-inflationaerer-…
[26] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/kritik-an-israel-inflationaerer-…
[27] http://paper.meedia.de/titelgallery_drupal/?q=gallery/&g2_itemId=23686…
[28] http://www.bild.de/politik/2010/politik/neun-unbequeme-meinungen-und-fakte…
## AUTOREN
Deniz Yücel
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