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# taz.de -- Nörgelforschung: Im Meckern sind sich alle gleich
> Nicht nur Linke tun es gern, auch die Gegenseite lässt sich nicht lumpen.
> Eric T. Hansen untersucht eine Lieblingsbeschäftigung der Deutschen.
Bild: Vom "Untergang des Abendlandes" bis zu Nörgel-Bestsellern der Gegenwart …
Jeder kennt es, jeder tut es, öffentlich und privat. Es ist stets die erste
Äußerung, die der Mensch von sich gibt ("Buäh!"), zuweilen ist es auch die
letzte ("Mehr Licht!", Goethe). Ohne diese Tätigkeit würde die Menschheit
immer noch in Höhlen hausen. Und die Deutschen stehen im Ruf, sich darauf
besser zu verstehen als jede andere Nation. Die Rede ist vom Nörgeln.
Ideengeschichtlich betrachtet scheint die Nörgelei eine Sache der Linken,
die das Maulen des einfachen Mannes zur "Kritik" veredelt hat. Kein Wunder,
dass die Kombination beider Eigenschaften, also links und deutsch, ganze
Wissenschaften hervorgebracht hat - von der Nörgelei der Politischen
Ökonomie des Karl Marx und der Nörgelnden Theorie der Frankfurter Schule
bis zu Einzeldisziplinen wie Klaus Holzkamps Nörgelnder Psychologie und
Klaus Mollenhauers Nörgelnder Erziehungswissenschaft; außerdem Nörgelnde
Aktionäre, Nörgelnde Polizisten, Nörgelnde Juristen und allerlei anderes
kritisches Zeug.
Doch dieser Eindruck trügt. Tatsächlich nörgelten nicht nur Linke gern,
auch die Gegenseite ließ sich nicht lumpen, weder auf dem Felde der Theorie
- man denke nur an Karls Poppers Nörgelnden Realismus - noch der
Belletristik. Von Oswald Spenglers "Untergang des Abendlandes" bis zu
Nörgel-Bestsellern der Gegenwart (Eva Herman und Ulrich Wickert, Frank
Schirrmacher und Thilo Sarrazin) nörgeln Konservative nicht weniger
inbrünstig. Der Unterschied ist, könnte man vereinfacht sagen: Progressives
Nörgeln ist das Nörgeln darüber, dass sich die Dinge nicht ändern,
konservatives das darüber, dass sie sich geändert haben. Und am Ende des
Tages, wenn es ums Meckern über den Chef oder die Untergebenen und ums
Herumquengeln am Partner oder der Partnerin geht, sind sich ohnehin alle
gleich.
## Wer nölt, verliert
Bisher mangelte es an einer systematischen Untersuchung des Nörgelns. Der
Journalist Eric T. Hansen, ein aus Hawaii stammender, seit fast 30 Jahren
in Deutschland lebender ehemaliger mormonischer Missionar, hat es nun
erstmals getan. "Nörgeln", schreibt er am Anfang seines Buchs, "ist kein
Privatvergnügen wie in der Nase bohren, es ist das ursprüngliche Fundament
der Gesellschaft und die heimliche Quelle der nationalen Identität. Es gibt
jedem Deutschen einen Grund zu leben."
Doch das Unterfangen, ein Buch über das Nörgeln zu schreiben, stellt den
Verfasser wie den Kritiker vor schier unlösbare Probleme: Ist ein Autor,
der über das Nörgeln nörgelt, nicht selbst ein Nörgler? Und kann ein
Kritiker, der an dem Buch etwas auszusetzen hat, als irgendetwas anderes
gelten denn als Klugscheißer, Lästermaul und Miesmacher?
Denn, wer nölt, hat verloren. Der Scheißefinder und Besserwisser, vulgo:
der Nörgler, steht inzwischen zusammen mit seinen Verwandten, der
Spaßbremse, dem Bedenkenträger und dem Gutmenschen, weit unten in der Skala
gesellschaftlicher Wertschätzung, unterboten nur vom Kinderschänder, dem
Integrationsverweigerer und dem Spekulanten.
Gewiss ist der Nörgel-Imperativ, wie Hansen schreibt, eine Weltanschauung.
Doch der Imperativ zum "positiven Denken", dem sich Hansen offensichtlich
verpflichtet fühlt, ist es nicht minder. Und dass sich Superfinder und
Scheißefinder gegenseitig unter Ideologieverdacht stellen, liegt in der
Natur der Sache - Ideologie ist wie Mundgeruch, hat Terry Eagleton einmal
bemerkt, den haben immer nur die anderen.
## Der Jahrtausendnörgler Faust
Sieht man aber von Hansens Gute-Laune-Ideologie ab und lässt sich auf seine
penetrant bespaßende Sprache ein, bietet das Buch wunderbare Aperçus über
den deutschen Nörgelalltag. Hansen begibt sich in die Niederungen der
deutschen Mundarten, in denen es sich vorzüglich granteln und mosern lässt,
und analysiert das höchst komplizierte, von gegenseitigem Gemotze bestimmte
Verhältnis zwischen Jammerossis und Besserwessis.
Er entdeckt eine auf der gemeinsamen Liebe zum Mäkeln beruhende
Seelenverwandtschaft zwischen Türken und Deutschen, unterzieht die deutsche
Nölerei einem internationalen Vergleich und beobachtet die frühkindliche
Erziehung zum Stänkern, die Eltern für Erziehung zum Selbstbewusstsein
gilt, und untersucht, wie Männer und Frauen unaufhörlich aneinander
herumnörgeln. Damit das Geschlechtergenörgel nicht überhandnimmt, empfiehlt
er schon beim ersten Flirt das Prinzip des "Harmonienörgelns": Man zieht
gemeinsam über etwas Drittes her, und schon funkt's.
Zur Hochform läuft Hansen auf, wenn er die größten deutschen Nörgler,
nämlich Luther und Goethe, würdigt. Dessen Faust ist für Hansen die
"Jahrtausendfigur" des literarischen Meckerns schlechthin - und zugleich
Sinnbild des Nörgelns deutscher Provenienz. Denn im Gegensatz zu anderen
literarischen Jammerlappen wie etwa Hamlet habe Faust überhaupt keinen
Grund, mit der Welt zu hadern. Warum er es dennoch tue? Er nörgelt, weil es
ihm zu gut geht, sagt Hansen.
26 Oct 2010
## AUTOREN
Deniz Yücel
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