# taz.de -- Kolumne Besser: Freiheit, Gleichheit, Brüderlechkeit! | |
> Mit der FDP kann man's ja machen – auch das spielt bei der | |
> Brüderle-Affäre eine Rolle. Und auf Twitter vermischen sich Skandal und | |
> Denunziation. | |
Bild: Glotz nicht so, Brüderle! | |
Schlechte Humoristen erkennt man an Witzen über Lothar Matthäus, Dieter | |
Bohlen oder die FDP. Wer sich mit dieser Liga beschäftigt, braucht sich | |
nicht groß um eine Pointe bemühen; es genügt, den Namen zu nennen, das | |
Höhöhö und Hihihi des geneigten Publikums ist sicher. | |
Ähnliches gilt für das Kommentargewerbe. Keine der im Bundestag vertretenen | |
Parteien genießt außerhalb ihrer eigenen – und in diesem Fall: schwindenden | |
– Klientel einen so miserablen Ruf wie die FDP. Noch die [1][Linkspartei] | |
kann sich darauf verlassen, dass ein Teil der Kommentatoren sie wenigstens | |
als Mahnung dafür ernst nimmt, „das Soziale“ nicht zu vernachlässigen, od… | |
ihre zivilisatorische Leistung würdigt, dafür gesorgt zu haben, dass das | |
ostzonale Jammertum nur zu einem geringeren Teil seinen politischen | |
Ausdruck in der NPD gefunden hat. | |
Mit weniger Wohlwollen kann die FDP rechnen. Und das liegt nicht nur an | |
Knallchargen wie Brüderle, Westerwelle oder Möllemann. An seinem schlechten | |
Ruf arbeitet der organisierte Liberalismus in Deutschland schon viel länger | |
– vom nationalliberalen Verrat Ende des 19. Jahrhunderts über die sich | |
gerade zum 80. Mal jährende Zustimmung der liberalen Abgeordneten um | |
[2][Theodor Heuss] zum Ermächtigungsgesetz bis zum Umstand, dass die FDP | |
nach 1945 zum Sammelbecken für vormalige Nazis wurde, in der ein Ralf | |
Dahrendorf oder ein Werner Maihofer nur kurzzeitig einen [3][gewissen | |
Einfluss] ausüben konnten, ehe der Laden zu dem wurde, was er heute ist. | |
Auch jetzt gibt die FDP keinen Grund, sie als liberale Kraft zu | |
respektieren, man denke nur an ihr willfähriges Mitmachen bei der | |
„alternativlosen“ Euro- und Bankenretterei oder ihre Abwesenheit bei der | |
Verteidigung bürgerlicher Rechte und Freiheiten. Und doch drängt sich der | |
Verdacht auf, dass ein Teil der Geringschätzung, die dieser Partei zuteil | |
wird, nicht nur diesem in der Tat komischen Haufen gilt, sondern der Idee | |
des politischen Liberalismus selbst, die hierzulande, wo auch die Linke | |
lieber den Obrigkeitsstaat zu eigenen Zwecken zu vereinnahmen versuchte als | |
an einer positiven Überwindung des Liberalismus zu arbeiten, nie einen | |
guten Stand hatte. | |
## Der Brüderle, die Schwesterle und das Geschmäckle | |
Das schlechte Ansehen der FDP ist auch die Kulisse, vor der der | |
Stern-Brüderle-Skandal spielt. Das beginnt beim Umstand, dass da eine | |
Jungjournalistin zum Dreikönigstreffen der FDP [4][geschickt wird] – in den | |
meisten Parlamentsredaktionen ist die FDP-Berichterstattung das, was für | |
Frisöre das Föhnen und Haare waschen ist: ein Anfängerjob. Und das setzt | |
sich bei jenem Tresengespräch fort, bei dem das Schwesterle vom Stern den | |
Brüderle von der FDP rotznäsig fragt, wie ein alter Sack wie er zum | |
Hoffnungsträger seiner Partei avancieren könne. (Klar kann kann man machen, | |
nur sollte, wer austeilt, auch einstecken können. Alles andere ist | |
schlechter Stil.) | |
In einer anderen Konstellation wäre dieser Talk, [5][Claudius Seidl] hat in | |
der FAS darauf hingewiesen, kaum vorstellbar: „Einem 28-jährigen Mann, der | |
eine solche Frage einer 66-jährigen Frau stellte, würde man heimlich ein | |
paar hinter die Löffel wünschen.“ Und auch das ist nur ein Teil der | |
Geschichte. Der andere lautet: Einen etwas älteren Politiker der CDU, der | |
SPD oder der Grünen würde wohl keine junge Journalistin und kein junger | |
Journalist auf so joviale Weise ansprechen. | |
Nur im Zusammenhang mit der Trashpartei FDP kann sich ein Trash- und | |
Tittenblatt wie der Stern zum feministischen Kampforgan aufschwingen, ohne | |
dass alle in schallendes Gelächter ausbrechen. Und nur so kann sich die | |
Reporterin als Opfer präsentieren, ohne dass jemand groß fragen würde, | |
warum sie diesem schmierigen Typen nicht einfach die Meinung gegeigt hat – | |
immerhin war sie keine Untergebene, die berufliche Konsequenzen hätte | |
fürchten müssen. | |
## Doch so doof wie ihr Ruf | |
Nun ahnt man diese Dinge auch in der FDP; logisch, diese Leute sind ja | |
nicht ganz so doof. Oder sie sind es doch. Von der Einsicht, dass der | |
schlechte Ruf der Partei zuvörderst mit ihrem schlechten Zustand zu tun | |
hat, sind die Brüderles und Westerwelles weit entfernt. Sie sehen auch | |
nicht ein, warum hier eine Entschuldigung keine schlechte Idee wäre, | |
vielleicht verbunden mit einer Spende an eine Organisation wie [6][Terre | |
des Femmes], die sich um ganz andere Fälle von Sexismus kümmert als das | |
Schicksal einer [7][leitenden Redakteurin] bei Spiegel-Online, die mal | |
versehentlich für die Sekretärin gehalten wurde, nämlich um Fälle wie | |
[8][Arzu Özmen], die einem Ehrenmord ihrer Geschwister zum Opfer fiel und | |
gegen deren Vater am Montag der [9][Prozess begann], was inmitten des | |
ganzen #Aufschreis unterging. | |
Anstatt also wenigstens im nüchternen Zustand ein wenig Taktgefühl zu | |
zeigen, [10][inszeniert sich Brüderle] als Wiedergänger von Sacco & | |
Vanzetti oder Hans und Sophie Scholl: „Sie können uns schlagen, sie können | |
uns beschimpfen, sie können uns mit Dreck bewerfen, aber sie können uns | |
unsere Überzeugung und Selbstachtung nicht nehmen.“ Der Kampf geht weiter: | |
Freiheit, Gleichheit, Brüderlechkeit! | |
## Die größte Leistung seiner Karriere | |
Aber gut, auch diese Debatte, die Brüderle unfreiwillig angezettelt hat und | |
die als größte Leistung seiner Karriere gelten darf, diese Debatte ist | |
inzwischen weiter. Brüderle steht nun, wie [11][Silke Burmester] in der taz | |
schreibt, bloß stellvertretend für Millionen Männer. Recht hat sie. Mögen | |
auch die Umstände, die diese Kontroverse ausgelöst haben, ein Geschmäckle | |
haben, es hätte sie nicht gegeben, wenn nicht so viele Frauen das Bedürfnis | |
gehabt hätten, ihre eigenen Erfahrungen mit täglichem Sexismus | |
herauszuschreien. | |
Doch es lohnt sich, diesen | |
[12][//twitter.com/search?q=%23aufschrei:#Aufschrei] genauer zu betrachten | |
und dabei nicht nach der Maxime zu verfahren, dass sich 100.000 Hashtags | |
nicht irren könnten. Denn wer sich durch Twitter wühlt und den | |
obligatorischen Internetmüll, der sich mittlerweile angesammelt hat („Ich | |
habe mir gerade versehentlich ein Ei eingeklemmt! #aufschrei“), beiseite | |
räumt, stößt auf höchst Unterschiedliches. | |
Da stehen Schilderungen ekelerregender Begebenheiten, die eindeutig die | |
Grenze der Strafbarkeit überschreiten („Der Chef, der erklärte, mich nicht | |
zu kündigen, wenn ich ihm einen blasen würde... #Aufschrei“) neben, sagen | |
wir: weniger eindeutigen Sachverhalten („Der letzte Chef, der in der | |
Teamvorstellung sich darüber freute nun mit meiner weiblichen Intuition | |
fest zu rechnen. #aufschrei“). Und immer wieder finden sich Einträge, die | |
den Verdacht erwecken, die Aufregung werde zuweilen dazu genutzt, offene | |
Rechnungen zu begleichen, die anderen Ursprungs sein könnten: „Der Chef, | |
der mir in Feedbackgesprächen immer wieder sagt, dass ich zu emotional | |
bin... #aufschrei.“ | |
Und natürlich sind auch Leute dabei, über die Wiglaf Droste einst schrieb, | |
sie wollten „immer nur eines sein, nämlich Opfer, und das natürlich im | |
warmen Mief der Gruppe“. Das klingt dann etwa so: „Der viel ältere Chef, | |
der sich am letzten Arbeitstag auf einmal per Umarmung verabschieden will | |
#aufschrei.“ | |
## Skandalöses und Denunziatorisches | |
All diese Befunde stehen unter dem Vorbehalt, dass sich hier sprachlich | |
mehr oder weniger versierte Menschen auf 140 Zeichen auslassen; natürlich | |
kann jede einzelne Geschichte weit mehr beinhalten, als für Außenstehende | |
aus einem Tweet erkennbar ist. Die Summe der Berichte aber lassen das Fazit | |
zu, dass sich hier lange unterdrückte Wut über skandalöse Vorfälle und | |
patriarchale Verhältnisse mit fröhlichem Denunziantentum, bequemer | |
Selbstviktimisierung und bloßer Wichtigtuerei vermischen. | |
Befremdlich klingt übrigens nicht nur manches auf Twitter, befremdlich | |
klingen auch einige derer, die zwar Brüderles Verhalten kritisieren, aber | |
zugleich dafür plädieren, die Sache tiefer zu hängen: „Wenn das, was | |
zwischen Brüderle und der Stern-Reporterin in einer Hotelbar passiert | |
beziehungsweise nicht passiert ist, als ,Sexismus‘ durchgehen soll, dann | |
wird der Begriff ausgehöhlt und banalisiert, dann wird der Kampf gegen den | |
wirklichen Sexismus erheblich erschwert“, schreibt etwa [13][Henryk M. | |
Broder] in der Welt, ohne die Ironie zu bemerken, dass er sich dabei exakt | |
so anhört wie [14][Jakob Augstein] bei seiner [15][Antwort] auf das | |
Simon-Wiesenthal-Center. | |
*** | |
Besser: Man sieht, dass nicht alles, was als #Aufschrei daherkommt, | |
Sexismus ist. Und man weiß, dass Vieles, das mit der scheinbar naiven | |
Attitüde „Man-wird-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-was-gesagt-werden-muss“ | |
daherkommt, genau das ist, was es zu sein bestreitet: Rassismus, | |
Antisemitismus, Sexismus. | |
29 Jan 2013 | |
## LINKS | |
[1] /!109717/ | |
[2] /!87006/ | |
[3] /!63818/ | |
[4] http://www.stern.de/politik/deutschland/rainer-bruederle-der-spitze-kandida… | |
[5] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/sexismus-debatte-prueder-in-… | |
[6] http://www.terre-des-femmes.de/ | |
[7] http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/die-bruederle-debatte-und-der-a… | |
[8] /!93788/ | |
[9] /!109916/ | |
[10] http://www.dw.de/das-schweigen-des-rainer-br%C3%BCderle/a-16556239 | |
[11] /!109933/ | |
[12] http://https | |
[13] http://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article113151552/Die-Banalisier… | |
[14] /!109018/ | |
[15] /!108179/ | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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