# taz.de -- Debatte Heiraten im Alter: Liebe in Zeiten der Pflege | |
> Viele ältere Paare heiraten heute, um sich gegenseitig finanziell | |
> abzusichern. Und auch, um sich gegenseitig unkompliziert pflegen zu | |
> können. | |
Bild: Nicht alle älteren Menschen heiraten aus romantischen Gründen. | |
Katrin will, dass Robert sie heiratet. Die beiden sind seit über 20 Jahren | |
ein Paar. Sie haben gemeinsam seine zwei Söhne aus erster Ehe großgezogen | |
und eine Eigentumswohnung gekauft. Trauschein? Brauchen wir nicht! Sagten | |
sie mal. Aber jetzt sieht Katrin das anders, jetzt hätte sie es gern, wenn | |
Robert auch rechtlich Ja zu ihr sagte. | |
Auch Marina und Bernhard lag jahrzehntelang nichts ferner, als sich vor | |
einem Standesbeamten ewige Liebe und Treue zu schwören. Vor Kurzem haben | |
sie sich doch getraut: an einem gewöhnlichen Wochentag, profan und zackig. | |
Keine Ringe, kein Brimborium. Abends noch ein Essen mit den erwachsenen | |
Kindern – das war’s. | |
Werden Ehen heute so geschlossen? Zwischen Frühstücksbrötchen und | |
Mittagsmenü? Ohne Schwüre für die Ewigkeit? Einfach unterschreiben und | |
weiter im Alltag? | |
Katrin und Robert sind über 50, Marina und Bernhard über 60. Ältere | |
Brautpaare sind keine Ausnahmen, im Gegenteil, ihre Zahl steigt. Rund | |
23.000 Männer und 19.000 Frauen zwischen 50 und 55 Jahren haben 2011 | |
geheiratet. Zehn Jahre zuvor zählte das Statistische Bundesamt noch 14.600 | |
Männer und 10.500 Frauen, die in diesem Alter Hochzeit feierten. Auch bei | |
den über 60-Jährigen ist die Eheschließungsquote nach oben gegangen. | |
## Ökonomisches Backup | |
Natürlich heiraten manche Ältere aus ganz romantischen Gründen. Oder aus | |
dem Glauben heraus, man müsse einer Beziehung einen ordentlichen Rahmen | |
verpassen. Viele aber – das zeigen Umfragen – treibt ein anderer Gedanke in | |
die Standesämter: Sie wollen sich gegenseitig absichern. | |
Was ist daran so ungewöhnlich? Jahrhundertelang wurden Ehen aus | |
wirtschaftlichen Gründen geschlossen, als ökonomisches Backup, als | |
Lebensversicherung für Haus und Hof. Auch heute ist das vielfach nicht | |
anders. Manche heiraten fürs Ehegattensplittung und andere | |
Steuererleichterungen, für die Krankenmitversicherung und für die | |
Witwenrente. | |
Aber manche von den Alten, die jetzt so gern vor den Traualtar treten, | |
wollten früher, als sie jung waren, genau an diesen Eheprivilegien rütteln. | |
Sie wollten ökonomische Aspekte und den Staat aus ihrem Privatleben | |
heraushalten. Sie wollten das vorleben, was sie propagierten: ein modernes | |
Geschlechterbild, das ohne traditionelle Formen auskommt. Im Laufe ihres | |
Lebens wurde ihnen allerdings klar, dass sie die Idee der romantischen | |
Liebe über- und den pragmatischen Wert einer versorgerischen Ehe | |
unterschätzt hatten. | |
Auch die Pflegedebatte und die Sorge um eine rechtliche Absicherung für den | |
Krankheitsfall trägt zum Hochzeitsboom der Alten bei. Katrin würde ja nicht | |
nur alles verlieren, wenn Robert etwas zustieße: Haus und Erspartes würden | |
Roberts Kinder erben. Sollte Robert im Krankenhaus liegen, könnte Katrin | |
ihn zwar besuchen, aber sie könnte keine Entscheidungen für ihn treffen, | |
wenn er dazu nicht mehr in der Lage ist. Sie würde nicht in jedem Fall | |
erfahren, wie es ihm geht. Diese Rechte haben nur Angehörige. Katrin könnte | |
ihren Mann nicht einmal problemlos pflegen. | |
## Formulare und Stempel | |
Das Pflegeargument hat auch Marina und Bernhard zur Hochzeit getrieben. | |
Dabei haben die beiden nicht an sich selbst gedacht, sondern an noch | |
Ältere: an Marinas Mutter zum Beispiel. Die lebt im Altersheim, Marina und | |
Bernhard kümmern sich seit Jahren um sie. Sollte Marina dazu einmal nicht | |
in der Lage sein, könnte auch Bernhard kaum helfen. Schließlich ist er, | |
rein formal betrachtet, kein Familienmitglied, sondern ein Fremder. | |
Mit entsprechenden Anträgen und großer Geduld würde Bernhard zwar | |
irgendwann die Pflege übernehmen können – irgendjemand muss es ja machen. | |
Aber warum braucht etwas, das vorher selbstverständlich funktioniert hat, | |
plötzlich Bescheinigungen und abgestempelte Formulare? | |
Mit steigender Lebenserwartung und damit größerer Verfalls- und | |
Demenzwahrscheinlichkeit sind Menschen mehr denn je auf ein | |
funktionierendes Hilfesystem und ein bekanntes soziales Umfeld angewiesen. | |
Der Staat kann das jetzt schon kaum leisten. ExpertInnen sagen für die | |
nächsten Jahrzehnte ein Pflegechaos voraus. | |
Private Fürsorge, vor allem für Ältere, wird mehr und mehr zu einem Thema. | |
Da spielt es zunächst keine Rolle, ob jemand verheiratet ist oder nicht. | |
Aber wenn ein Trauschein nicht nur eine Voraussetzung für | |
Besitzstandswahrung ist, sondern auch dafür, unkompliziert Verantwortung | |
übernehmen zu können und dafür finanzielle Unterstützung zu bekommen, | |
stimmt etwas nicht. | |
## Profan und zackig | |
Was kann man dagegen tun? Die Ehe abschaffen? Das wäre zumindest eine | |
Option. Aber daran ist in Deutschland momentan nicht zu denken. Die Ehe ist | |
für viele Menschen heilig. Die konservativen Parteien halten sie hoch. | |
Dabei geht sie inzwischen vielfach am Leben vorbei – erinnert sei nur an | |
die Hausfrauenehe und das damit verbundene Ehegattensplitting. | |
Warum unterstützt der Staat noch immer dieses Lebensmodell mit einem | |
Anreiz, damit einer keine Erwerbsarbeit leistet – traditionell ist das die | |
Frau? Viele Paare, bei denen beide Partner arbeiten gehen, empfinden die | |
Steuerersparnis des Einverdienermodells als ungerecht. Nicht ohne Grund | |
verweigern sich viele junge Leute ganz dem Standesamt. | |
Die Politik hat darauf zwar reagiert und Ledigen einerseits ein paar Rechte | |
mehr eingeräumt, zum Beispiel beim Elterngeld und bei den Vätermonaten. | |
Beides können auch Männer bekommen, die mit der Mutter nicht verheiratet | |
sind. Und demnächst will die Bundesregierung das automatische Sorgerecht | |
für unverheiratete Eltern beschließen. | |
Andererseits wurden ledigen PartnerInnen Pflichten auferlegt. Stichwort | |
hier: Hartz IV. Das bekommen Langzeitarbeitslose nicht, wenn sie mit | |
jemanden zusammenleben, der für sie aufkommen kann. Hier wird Fürsorge | |
nicht miteinander Verheirater ganz selbstverständlich zum Muss gemacht. | |
Ohne viel Brimborium, profan und zackig. Warum dann nicht auch in Fällen | |
wie denen von Katrin und Robert und Marina und Bernhard? | |
21 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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