# taz.de -- Kolumne Trends und Demut: Sauerkraut im Küchentuch | |
> Die Brixton Academy ist eine Oase der wiedervereinten Rocker, Rapper und | |
> Rowdies. Allein David Bowie gelingt ein eleganter Tanz um die | |
> Eitelkeitsfalle herum. | |
Bild: Sieht ein bisschen fies aus – aber nur im Video: David Bowie | |
Einmal im Monat schieben sich Massen von grau melierten Fans in | |
hervorgekramten, einen sichtbaren Hauch zu eng sitzenden Band-T-Shirts | |
(Monsterrock-Tour 1991) zu einem weiteren Revival an meinem Bürofenster | |
vorbei in die Brixton Academy. Eine Oase der ausverkauften Konzerte | |
wiedervereinter Rocker, Rapper und Rowdies, die es noch einmal wissen und | |
so richtig auf ihren Konten klingeln lassen wollen, indem sie das machen, | |
was sie am besten können: das Gleiche! | |
Und im Grunde ist das für alle Beteiligten auch in Ordnung so, denn die | |
Fans wollen für ihre 60 Euro Eintritt tatsächlich eh nur die Hits aus ihrer | |
Jugend hören und ihr labberiges Tournee-T-Shirt durchschwitzen. Sie haben | |
ja sogar recht mit ihrem ewigen Begehren nach dem mitunter brillanten Alten | |
(Slashs Solo in der Powerballade „Sweet Child O’Mine“): Denn neue Alben | |
einstiger Superstarbands schälen oftmals viel unangenehmer die Tatsache | |
heraus, dass die Quelle der genialen, wirklich neuen Ideen nicht ewig | |
plätschert. | |
Was ist also die Lösung? Ewige Hits oder schlechte neue Alben? Wer noch | |
weiter ins Studio und auf die Bühne will, obwohl er längst Immobilien von | |
Berlin bis Beverly Hills besitzt, sollte nur dann neue Musik unters Volk | |
bringen, wenn er sich wirklich noch einigermaßen neu erfinden kann – wie | |
alle anderen jungen Bands auch. | |
Lustigerweise wurde der King of Reinvention keine Minute von der Academy | |
und meinem Bürofenster entfernt geboren: Der smarte David Bowie wurde 66 | |
und geht nicht plötzlich mit blonden Strähnchen und den alten Schätzen im | |
Gepäck auf Schnapszahltournee. Er bringt zu seinem Geburtstag gänzlich | |
unprätentiös eine Single heraus. [1][„Where Are We Now?“], produziert von | |
Tony Visconti, mag ein Rückblick auf Bowies crazy Berlin-Zeit sein, doch | |
von „Früher war alles heißer!“-Melancholie ist hier nichts zu hören. | |
Eher gelingt Bowie ein eleganter Tanz um die Eitelkeitsfalle herum, indem | |
er sein 66 Jahre altes Gesicht hinter keiner gelben Sonnenbrille versteckt | |
(Bono), sondern es im Musikvideo von Künstler Tony Oursler zerknautschen | |
lässt, als habe jemand einen Klumpen feuchtes Sauerkraut zum Auspressen in | |
ein Küchenhandtuch gestopft. Klar sieht Bowie hier ein bisschen fies aus, | |
aber das tut jeder andere in Ourslers Knautschkopf-Installationen auch! | |
Den Neidern zeigt Bowie dann aber natürlich doch noch, dass er alt werden, | |
sich neu erfinden und immer noch fantastisch aussehen kann: „Dann föhn ich | |
äußerst lässig, das Haar, das mir noch blieb. / Ich ziehe meinen Bauch ein | |
und mach auf heißer Typ“, sang Udo Jürgens in der 66-Jahre-Rentnerhymne. | |
Bowies alglattes Haar ist noch voll, und für den T-Shirt-in-der-Jeans-Look | |
muss er nicht einmal den Bauch einziehen. Die Slash-Fans, die in ihren | |
strammen Guns-N’-Roses-Shirts in die Academy stapfen, aber schon. | |
22 Jan 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=C9XsTnyN26Y | |
## AUTOREN | |
Julia Grosse | |
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