| # taz.de -- Kolumne Das Tuch: Wenn die Kameras aus sind | |
| > Sind alle Deutschen krank? Warum kann man mit Dauergästen aus Talkshows | |
| > nur nach der Sendung vernünftig reden? | |
| Die Debatten in deutschen Talkshows sind gut bezahlte Hahnenkämpfe. Das mag | |
| keine brisante Neuigkeit für Sie sein, vielleicht sollte sich das jeder | |
| gescheite Mensch auch denken können. Vor zwei Jahren, ich war noch jung, | |
| lernte ich das auf die ungemütliche Tour. | |
| Es war eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, die mich zur Debatte | |
| einlud. Der Titel war schön knallig. Ein Prise Islam hier, eine Prise | |
| Ur-Deutsches da: „Kopftuch und Currywurst.“ Ein Titel wie aus der Bild. | |
| Eigentlich wäre das schon Grund genug gewesen, abzusagen. | |
| Aber wie gesagt, ich war jung, ich hatte Hoffnung. Und die Gästeliste war | |
| okay. Nur ein Gast, ein geübter Talkshow-Gänger und Quoten-Muslim, | |
| versprach dicke Luft. Die meisten in meinem Freundeskreis rieten mir ab. | |
| Dann aber erzählte mir ein Freund, dass er den Mann kürzlich interviewt | |
| habe. Mit dem lasse sich diskutieren. Klingt gut, dachte ich. | |
| Herausforderung angenommen. Mein Plan: Mich mit dem Gast vorab treffen und | |
| kennenlernen. Denn wenn ihm wirklich etwas an dem Thema läge und sich | |
| wirklich mit ihm diskutieren ließe, dann würden wir die Sendung schon | |
| rocken – konstruktiv und inhaltsreich! | |
| So weit, so naiv. Wir trafen uns also tatsächlich vor der Sendung und ich | |
| erlebte einen wunderbar angenehmen Gesprächspartner. Wir sprachen über die | |
| Probleme der muslimischen Community, diskutierten Lösungsansätze, | |
| kritisierten Islamophobie und Rassismus. Wir verstanden uns gut. Bis wir im | |
| Studio saßen. Die Kamera läuft. | |
| ## „Islamophobie klingt wie eine Krankheit“ | |
| Ich spreche Islamophobie an. Ach, das sei kein Thema, behauptet er wirsch. | |
| „Aber Sie hatten doch eben noch ganz anders geredet“, will ich überrascht | |
| sagen. Kann ich aber nicht, weil die Zuschauer in ihren Wohnzimmern unser | |
| Vorgespräch gar nicht mitbekommen haben. Also hole ich aus und erkläre, | |
| warum Islamophobie ein relevantes Thema ist. „Islamophobie klingt wie eine | |
| Krankheit“, entgegnet er dieses Mal. Verdutzt schaue ich ihn an. Dann fragt | |
| er: „Wollen Sie damit sagen, dass alle Deutschen krank sind?“ | |
| Ja, was soll man darauf nun antworten? Währenddessen grölt die | |
| Zuschauerreihe hinter mir. Der Moderator greift nicht ein. Immer dann, wenn | |
| ich zum Reden ansetze, pöbeln sie aus dem Hintergrund. Irgendwann drehe ich | |
| mich empört zum Publikum um. Im Fernsehen sieht und hört man später nichts | |
| davon. | |
| Nach der Sendung spreche ich den Islamophobie-Krankheits-Vergleich an. Das | |
| sei doch polemisch und destruktiv. Wohin sollte der Kommentar denn führen, | |
| frage ich. „Ja“, sagt er und nickt. „War vielleicht ein Fehler.“ Na tol… | |
| Großartige Erklärung. | |
| „Die Sendung war doch ganz okay“, sagen mir später Freunde. Und es sei ja | |
| normal, dass sich Menschen vor und hinter der Kamera anders verhielten. In | |
| Talkshows ginge es in erster Linie um Haltungen, nicht um die Personen an | |
| sich. Ich finde das verantwortungslos. Wie kann man bei sensiblen Themen | |
| bewusst polemisieren und willentlich Falsches sagen? | |
| Vor ein paar Tagen kam Irshad Manji, eine kontrovers diskutierte | |
| „Reform-Muslimin“ nach Oxford, um über den Islam zu debattieren. Nach der | |
| Sendung erzählte ich ihr, warum ich vieles an ihrer Arbeit sehr gut und | |
| wichtig finde, anderes wiederum sehr schädlich. Sie nickte zustimmend und | |
| sagte: „Ja, einige Sachen könnten Fehler gewesen sein.“ Die Kameras waren | |
| dabei natürlich aus. | |
| 4 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Kübra Gümüsay | |
| ## TAGS | |
| ARD | |
| ZDF | |
| Muslime | |
| Islam | |
| Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk | |
| taz.gazete | |
| Das Tuch | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| taz.gazete | |
| Familie | |
| Deniz Yücel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Das Tuch: Es war schön mit dir, liebe Kolumne | |
| Ich bin mit dieser Kolumne gewachsen, mehr als drei Jahre lang. Ich zog mit | |
| ihr um, war mal wild, mal lustig, mal sentimental. Tschüs, ahoi und liebe | |
| Salams! | |
| Kolumne Das Tuch: Die deutschen Haustürken | |
| Wir haben die Deutungshoheit über unsere Leute. Ich könnte jeden | |
| Schwachsinn erzählen, ich würde immer Menschen finden, die ihn bereitwillig | |
| glauben. | |
| Kolumne Das Tuch: Rassistin? Ich? | |
| Die Kritik an Wörtern wie „Neger“ ist im Internet oft nicht sehr | |
| freundlich. Die Kolumnistin hat das zunächst verletzt. Heute findet sie es | |
| richtig. | |
| Kolumne Trends und Demut: Sauerkraut im Küchentuch | |
| Die Brixton Academy ist eine Oase der wiedervereinten Rocker, Rapper und | |
| Rowdies. Allein David Bowie gelingt ein eleganter Tanz um die | |
| Eitelkeitsfalle herum. | |
| Kolumne Das Tuch: Erbarmungslose Nacktfotos | |
| Handys und Laptops, Skype und verschickte Fotos sind mittlerweile ein | |
| fester Bestandteil unserer Familientreffen. Hauptfigur ist dabei ein | |
| zweijähriger Junge. | |
| Kolumne Trikottausch 12: Schwänze, Schwänze, Schwänze! | |
| "Müssen jetzt alle Frauen-Fußball gut finden?", fragte Frank Plasberg – ein | |
| skandalöser Tiefpunkt des Männer-Geredes über Frauen-Fußball. |