| # taz.de -- Kolumne Trends und Demut: Das S-Wort | |
| > Was in den 1980er Jahren noch als progressiv galt, ist heute verpönt: In | |
| > London wehren sich Singles nun gegen Diskriminierung. | |
| Bild: 30 und noch Single: Bridget Jones wurde die Ikone einer Generation | |
| Kürzlich bezeichnete ich eine Bekannte im Nebensatz als „Single“. Ihre | |
| sonst sanften Züge verhärteten sich zu einer bösen Mimik. „Ich will dieses | |
| Wort nicht hören und will mich aufgrund meiner Beziehungslage auch nicht | |
| kategorisieren lassen!“ Es fühlte sich an, als hätte ich gerade einen | |
| Gehörlosen „taubstumm“ genannt. Ich kam mir stumpf und unsensibel vor. War | |
| „Single“ kein beschreibender Status quo mehr, sondern ein Makel? | |
| Noch in den achtziger Jahren standen „partnerlose“ Menschen als Zeichen für | |
| Progressivität und erfolgreiche Autonomie! In einem [1][Text in der taz] | |
| war gerade erst zu lesen: „Singles sind heute keine Leitfiguren mehr. […] | |
| Noch in den 1980er Jahren galten Singles als Speerspitze des Fortschritts.“ | |
| Freunde ohne Partner in London empfinden den Status „Single“ sogar als | |
| regelrechtes Ausgrenzungsmerkmal, umgeben von mitleidig grinsenden Paaren, | |
| die im Laufe der vergangenen Zeit geheiratet haben und seitdem den | |
| Nachwuchs produzieren. | |
| Auf Channel 4 widmete sich vergangene Woche eine ganzer Schwerpunkt der | |
| Frage „Warum bin ich immer noch Single?“. Die Reporter wühlten im | |
| Privatleben ihrer freiwilligen Teilnehmer herum, als durchsuchten sie das | |
| Profil eines Massenmörders: Irgendwo hier muss doch die schräge Ursache | |
| versteckt sein, weshalb diese Frau/dieser Mann immer noch Single ist! | |
| ## Britische Medien sorgen für Stigmatisierung | |
| In Großbritannien geht man das „Single“-Dasein an wie eine Allergie, die | |
| man dann behandeln kann mit: Onlinedatingseiten, und zwar zu den | |
| diversesten Schwerpunkten (nur für Banker, nur für Kreative, nur für | |
| linksintellektuelle Guardian-Leser). Sie boomen. | |
| Doch richtig sprachlos machte mich jetzt die Lektüre eines Artikels in der | |
| Grazia. Hier erzählte die Autorin, Mitte dreißig, aus London, recht amüsant | |
| ihre (Leidens-)Geschichte als „Single“, von Chardonnay-Räuschen, unreifen, | |
| doch attraktiven Männern und Sonntagen zum Ausschlafen. Klingt einseitig, | |
| aber gar nicht schlecht, wird jetzt jeder mit Stress und Kindern denken. | |
| Die Fahne für das selbstbestimmte Leben reißt die Autorin allerdings jäh | |
| herunter, als sie verkündet, dass eine neue Beziehung plus folgende | |
| Hochzeit plus Schwangerschaft („Bestes Rezept gegen meinen heftigen | |
| Alkoholkonsum! Endlich durfte ich nicht mehr trinken!“) sie aus ihrem | |
| alten, scheußlichen „Single“-Leben gerettet habe. | |
| Die Moral von der Geschicht’ ist in ihrer rückschrittigen Wucht | |
| erschütternd: Allein zu leben ist, laut Grazia, für eine Frau anscheinend | |
| dermaßen problematisch, dass ein neuer Mann nicht nur Sinn im bislang | |
| „einsamen“ und „oberflächlichen“ Alltag stiftet. Nicht mehr „Single�… | |
| befreit die Autorin sogar von ihrer Trinksucht. Und das, obwohl der neue | |
| Ehemann auch noch Weinhändler ist! | |
| Meine Freundin hat recht. Ich werde das Wort „Single“ nicht mehr benutzen, | |
| denn es klang noch nie gut und korrekt ist es auch nicht. Denn nur, weil | |
| man sich nicht gleich angstvoll in das Modell Kleinfamilie rettet, um nicht | |
| mehr „allein“ zu sein, ist man nicht „allein“. Oder wie meine Freundin … | |
| ausdrückt: „Ich war in meinem Leben noch nie „single“. Ganz im Gegenteil. | |
| Sobald man mit Menschen befreundet ist, führt man Beziehungen. Und sogar | |
| sehr viele.“ | |
| 9 Jul 2013 | |
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| [1] /Lebensplanung-fuer-Singles/!118138/ | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Grosse | |
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