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# taz.de -- Als die Nazis an die Macht kamen: Das Ende einer weltoffenen Stadt
> Mit Ausstellungen, Erinnerungsorten und einem Sammelband gedenkt Berlin
> der Nazi-Machtübernahme vor 80 Jahren.
Bild: Deutsches Historisches Museum Berlin, Ausstellung „Zerstörte Vielfalt.…
Ein Schlagring, silbern glänzend, etwas abgegriffen, bedrohlich: Mit diesem
Mordinstrument zog ein unbekannter Nationalsozialist am 12. September 1931
zum Berliner Kurfürstendamm. An diesem Tag sammelten sich auf dem Boulevard
Nazis zu einer Demonstration, riefen „Juda verrecke!“ und verprügelten
vermeintlich jüdisch aussehende Passanten – zwei Jahre vor der Machtabgabe
der Weimarer Republik im Jahre 1933.
Der Schlagring, nach der Prügelorgie von der Polizei beschlagnahmt, wird in
einer Vitrine hinter Glas präsentiert. Diese steht ziemlich am Anfang der
Schau „Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933-1938“ im Deutschen Historischen
Museum in Berlin. Zum 80. Jahrestag der Machtübernahme der Nazis haben die
Kuratoren den Versuch unternommen, diese deutsche Geschichte auf die Stadt
Berlin herunterzubrechen und zu lokalisieren.
Das ist angesichts dessen, dass das weltoffene Berlin ebenso kulturelles,
industrielles und Bevölkerungszentrum wie Hauptstadt des Reiches war, ein
legitimes Unterfangen. Zumal die Nazis die Stadt anfangs überhaupt nicht
mochten – Goebbels zweifelte vor seiner Versetzung: „Ein Sündenpfuhl! Und
dahinein soll ich mich stürzen?“
Noch bei der Märzwahl 1933 kam die NSDAP dort nicht über 34,6 Prozent der
Stimmen – reichsweit waren es 43,9. SPD und KPD erhielten in Berlin
traditionell eine absolute Mehrheit, was freilich gegen den Faschismus
nicht half, glaubten die Kommunisten doch, bei den Sozialdemokraten handele
es sich um „Sozialfaschisten“.
## Viele ließen sich einlullen
Wie konnte diese rote Hochburg in kurzer Zeit von den Braunen geschleift
werden? Da gibt die Ausstellung einige Antworten. Da war der Terror. Da
ließen sich viele von den Versprechungen von „Arbeit und Brot“ einlullen.
Es gab eine Bürokratie, die sich in den Dienst der Nazis stellte, dazu eine
Linke, die die Bedrohung der Demokratie nicht sehen wollte. Noch am 7. März
1933 schrieb die SPD-Parteizeitung Vorwärts: „Berlin ist nicht Rom. Hitler
ist nicht Mussolini. Berlin wird niemals die Hauptstadt eines
Faschistenreiches werden.“ Bald darauf war die SPD verboten.
Die Schau im Deutschen Historischen Museum ist mit 400 Quadratmetern Fläche
eher klein geraten. Sie kann die Geschichte deshalb nur anhand von
Schlaglichtern präsentieren, beginnend mit dem Aufstieg der NS-Bewegung bis
zur Pogromnacht von 1938. Da liegt ein Gummiknüppel der SA für den „wilden�…
Terror zu Beginn, ein Fahrplan des Anhalter Bahnhofs steht für Flucht und
Emigration, und der vergebliche Versuch eines verfemten jüdischen Arztes
aus Charlottenburg, wegen des Fehlens von Barmitteln von der „Judenbuße“
befreit zu werden, macht die Judenverfolgung nach dem Pogrom begreifbar.
## Hoffnungslose Reizüberflutung
Es sind vor allem Einzelschicksale, die nachvollziehen lassen, wie aus
einer weltoffenen, multikulturellen Stadt in wenigen Jahren eine bewohnte
steinerne Wüste wurde. Die notwendige Beschränkung der Ausstellung mag
manche Wissenschaftler die Nase rümpfen lassen, tatsächlich wird sie vielen
Besuchern angesichts der hoffnungslosen Reizüberflutung manch anderer
Geschichtsausstellungen zur Wohltat gereichen. Zumal „Zerstörte Vielfalt“
sich als Portal begreift, das auf Dutzende weitere Ausstellungen und
Gedenkpunkte verweist, die überall in Berlin in diesem Jahr an die
Nazi-Machtübernahme erinnern.
Auf über 40 solcher Projekte wird in der Schau aufmerksam gemacht, seien es
nun Vitrinen am Kurfürstendamm zur antijüdischen Hetze, den Gedenkort
Papestraße für das dortige SA-Gefängnis oder eine Schau zur braunen
Herrschaft über die Berliner Verkehrsbetriebe im U-Bahnhof Alexanderplatz.
Herausragend ist dabei die Sonderausstellung der Topographie des Terrors
„Berlin 1933: Der Weg in die Diktatur“, die sich in weiser Beschränkung den
ersten Monaten der Nazi-Herrschaft widmet. „Die Ausstellung versteht sich
nur als Skizze“, gibt sich deren Macher Klaus Hesse bescheiden. Tatsächlich
geben die rund 100 Schwarzweißfotos einen beklemmenden Eindruck davon, wie
es den Nazis mit nacktem Terror gelang, ihre Diktatur durchzusetzen und wie
sie buchstäblich über Leichen gingen.
## Glückliche NS-Größen
Im Mittelpunkt der Schau steht ein Foto, das von einem SA-Hilfspolizisten
bewachte Regimegegner vermutlich im März 1933 an einer Wand zeigt. Der
SA-Mann trägt eine Waffe in der Hand, die Hände der Gefangenen, von denen
einige Folterspuren aufweisen, sind erhoben. Andere Bilder zeigen
glückliche NS-Größen und – ganz im Kontrast dazu – zutiefst gedemütigte
Menschen wie den jüdischen Mann, der am 19. August 1933 mit einem riesigen
Schild herumlaufen musste, dessen Aufschrift lautete: „Ich habe ein
Christenmädchen geschändet!“
Im Zentrum der Ausstellung aber stehen rote Stelen mit 36 exemplarischen
Biographien von frühen NS-Opfern. Die meisten von ihnen, so wie etwa Erich
Meier, sind bis heute unbekannt geblieben: Der 1910 geborene kommunistisch
orientierte Werkzeugmacher ging nach der Machtübernahme in den Untergrund,
wurde Anfang März geschnappt und in einem SA-Lokal fast totgeprügelt.
Man fand ihn, mit Kopf- und Herzschüssen niedergestreckt, am 16. März am
Stadtrand von Berlin-Spandau. Er war einer von mindestens 600 Menschen, die
in den ersten Monaten von Hitlers Reich, als die Hilfspolizisten der SA
unbehelligt quasi private Haftanstalten und Konzentrationslager betrieben,
ermordet wurden.
## Berlin im Mittelpunkt
Mehr als 500 Veranstaltungen, Ausstellungen und Internet-Auftritte bietet
das „Themenjahr“, dazu das von den renommierten Historikern Michael Wildt
und Christoph Kreutzmüller editierte Standardwerk „Berlin 1933-1945“.
Insgesamt eine Fülle also, über die man entweder interessiert stolpern kann
oder die prinzipielles Interesse in vollständige Übersättigung umschlagen
lässt. Immer aber steht Berlin im Mittelpunkt.
Dieses Konzept stößt bisweilen an Grenzen. Dass das Anprangern des
politischen Gegners in „Zerstörte Vielfalt“ mangels vorhandenen
Bildmaterials mit einem Foto aus Süddeutschland dokumentiert werden kann,
ist dabei gewiss nicht das Problem. Schwierig wird es dann, wenn eine
Autorin von „Berlin 1933-1945“ bei der Untersuchung über Berliner
Jugendliche zu dem Schluss kommen muss, dass deren Leben sich kaum von dem
in anderen Teilen Deutschlands unterschieden haben dürfte.
Der Versuch, die NS-Herrschaft vollständig einzuberlinern, krankt also
daran, dass die Stadt zwar Herrschaftszentrum der Nationalsozialisten war,
die Folgen dieser Gewaltherrschaft aber anderswo kaum wesentlich anders
verspürt wurden.
## Machtmonopole überall
Die Zentrierung auf die Industriestadt Berlin vergibt zudem die Chance,
darzustellen, wie es den Nationalsozialisten in allen Bereichen – also auch
bei der Bauernschaft, in katholischen Regionen oder etwa im
kleinstädtischen Milieu – gelang, die Macht zu monopolisieren.
Ärgerlich aber wird es, wenn tatsächlich vorhandene Berliner Spezifika an
den Rand gerückt werden. Die Stadt war bekanntlich das Zentrum jüdischen
Lebens in Deutschland. Die Verfolgung und Deportation der Juden darf der
Autor Wolf Gruner in „Berlin 1933-1945“ aber auf lediglich 13 dürren Seiten
beschreiben, und das, obwohl er erst vor zwei Jahren in dem Sammelband
„Berlin im Nationalsozialismus“ das Thema wesentlich inhaltsreicher
behandelt hat.
Ganz am Ende der Ausstellung „Zerstörte Vielfalt“ steht wieder eine
Vitrine. Aber diesmal ist dort kein Schlagring zu sehen, sondern eine
Pistole vom Typ Colt M 1911. Die Standardwaffe der US-Armee wurde auch von
den frisch eingebürgerten US-Soldaten getragen, die einige Jahre zuvor als
deutsche Juden wehrlos dem Nazi-Terror entkamen und nun, 1945, dieses Reich
beseitigten.
30 Jan 2013
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Hitler
Berlin
Gedenken
Holocaust
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