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# taz.de -- Afghanische Bundeswehrhelfer: Feind im eigenen Land
> Drei Jahre arbeitet Rahim Nagibulla für die Bundeswehr. Er wird von den
> Taliban als Verräter beschimpft. Und er bekommt Asyl.
Bild: „Wer garantiert dann die Sicherheit der Menschen, die für die Bundeswe…
BERLIN taz | Wenn er über den Krieg spricht, zeigt sein Gesicht keine
Regung. Rahim Nagibulla fährt dann in Erinnerung im Panzer mit auf
Patrouille. Er pfercht sich hinein, die Prothese, die seinen linken
Unterschenkel ersetzt, drückt auf den Oberschenkel. Und draußen auf den
Dörfern ist sie wieder da, die Angst. Denn die Afghanen, die zur Nato
übergelaufen sind, als Ortskräfte die Truppen unterstützen, sind im Visier
der Aufständischen. Sie werden als Verräter beschimpft. Nagibulla zeigt auf
seine Beine: „Ich wusste, wenn etwas passiert, dann bin ich als Erster
dran“.
Der 26-jährige Paschtune wohnt in Berlin-Hennigsdorf. Er sitzt aufrecht auf
seinem Sofa, die Hände in den Schoß gelegt. Nagibulla ist ein energischer
Mann, nicht groß, aber muskulös, sein Blick ist eindringlich. Drei Jahre
arbeitete er als Ortskraft für die Bundeswehr: Unter anderem für die Ärzte
im Camp Marmal in Masar-i-Scharif.
Die Bundeswehr war für ihn Chance und Rettung zugleich: 2008 dann, als sich
sein Bein mal wieder entzündet, hilft ihm ein Arzt, den Flug nach
Deutschland und eine Operation zu organisieren. Er nutzt die Chance. Er
will hier bleiben und beantragt Asyl – schon nach einem Monat wird sein
Antrag angenommen. Der Grund: Nagibulla hat für die deutschen Soldaten
gearbeitet und muss deshalb die Rache der Aufständischen fürchten.
Den Attacken der Taliban sind hunderte afghanische Mitarbeiter der
Bundeswehr ausgesetzt. Sie werden aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Jobs
verlieren und müssen um ihr Leben und das ihrer Familien fürchten. Noch
sind 4.760 deutsche Soldaten in Afghanistan im Einsatz, doch bis Ende 2014
sollen die meisten abziehen. „Wer garantiert dann die Sicherheit der
Menschen, die für die Bundeswehr ihr Leben riskiert haben?“, fragt
Nagibulla.
## Asyl nur im Einzelfall
Pro Asyl fordert, alle afghanischen Mitarbeiter der Bundeswehr nach
Deutschland zu holen. Doch das Bundesinnenministerium hat andere Pläne: Die
Mitarbeiter der Bundeswehr gehörten zur „Funktionselite“, sagte
Verteidigungsminister Thomas de Maizière bei einem Besuch in Afghanistan im
November 2012. Zunächst müsse versucht werden, die bedrohten Mitarbeiter
und ihre Familien innerhalb des Landes umzusiedeln. Nur in Einzelfällen
müsse ihnen und ihren Familien eine Zukunft in Deutschland ermöglicht
werden. Denn wer solle sonst das Land aufbauen?
„Als Mitarbeiter der Bundeswehr bin ich meinem Land zum Feind geworden“,
sagt Nagibulla. „Wo soll ich da Arbeit finden?“ Und überhaupt, wie die
sogenannten Einzelfallprüfungen aussehen, könne er sich schon vorstellen:
„Die mit den besten Beziehungen kommen nach Deutschland.“ Aber das seien
meist die Gutverdiener, die sich auch einen Flug in den Iran leisten
könnten und nicht auf die Hilfe der Bundeswehr angewiesen seien, sagt
Nagibulla. „Um die Reinigungskräfte, die die Hilfe am dringendsten nötig
haben, wird sich niemand kümmern.“
Auch von der Evakuierung der Ortskräfte der Bundeswehr in andere Provinzen
verspreche er sich wenig. „Die Leute kapieren sofort, wer für die Nato
arbeitet“, sagt Nagibulla. „Und wenn du nicht mehr da bist, dann fragen sie
die Nachbarn oder deine Familie. Niemand entkommt den Aufständischen.“
Nagibulla wächst in einer Bauernfamilie in der Provinz Zabul auf, sie liegt
im Süden Afghanistans, dem spirituellen Zentrum der Taliban. Er besucht die
Koranschule, nach dem Unterricht treibt er die Kühe seiner Eltern in die
Berge. Er liebt die Berge. Die selbstgemachte Butter, die ihm seine Mutter
aufs Brot streicht. „Es gab zu Essen und immer was zu tun. Ich war
glücklich“, sagt er.
Bis zu jenem Novembermorgen. Als Nagibulla zur Schule geht, er ist damals
in der ersten Klasse, zerfetzt eine Mine aus den sowjetisch-afghanischen
Kriegszeiten seinen Unterschenkel. Von da an wächst er in zwei Welten auf:
dem Krankenhaus in der Hauptstadt Kabul und in seinem Heimatdorf. In
manchen Monaten bekommt er vier Mal neue Prothesen, immer wieder entzündet
sich sein Oberschenkel. Er hat Angst, in der Millionenstadt verloren zu
gehen. Anfangs versteht er die Leute nicht, er ist mit Paschtu
aufgewachsen, in Kabul spricht man aber Dari. Mit 16 Jahren verändert sich
sein Leben erneut.
## Eine moderne, freie Stadt
2002 finanziert ihm die Afghanistanförderung VAF eine Operation in München.
Nagibulla hat noch nie eine so moderne und freie Stadt gesehen, sagt er
heute. Frauen, deren Haare so hell sind wie die der Münchnerinnen, konnte
er sich nicht einmal vorstellen. Zur Reha bleibt er drei Jahre in
Deutschland.
Er lernt die Sprache, will zur Schule gehen und für immer hier bleiben. Ein
Beitrag im Fernsehen durchkreuzt seine Pläne. Nagibulla ist darin zu sehen,
wie er als Dolmetscher aushilft, als zwei Patientinnen aus Afghanistan
eintreffen. Kurz nach der Ausstrahlung steht ein Bundeswehroffizier vor
seiner Tür. Er wirbt ihn an. Nagibulla soll wieder zurück in seine Heimat
gehen und dort für die Bundeswehr arbeiten.
## Chance seines Lebens
Es ist die Chance seines Lebens: Er verdient gut, bis zu 500 Dollar im
Monat, das ist das zehnfache Gehalt eines Arbeiters in Afghanistan. „Ohne
den Job wäre ich als Behinderter auf der Straße verarmt“, sagt er. Deshalb
gab er sein Bestes. Er blättert durch einen Schnellhefter, in dem er die
Zeugnisse gesammelt hat, in denen ihn die Bundeswehr für seinen „überaus
großen Einsatz“ lobt. Aber vertrauen konnte er seinem Arbeitgeber dennoch
nie: „Wenn du einen kleinen Fehler machst, dann fliegst du und bist den
Aufständischen ausgeliefert“, sagt er. „Dann ist ihnen egal, ob du 3 oder
10 Jahre für sie gearbeitet hast.“
Es klingelt. Zwei Männer in Nagibullas Alter und ein älterer mit weißgrauen
Haaren kommen in die Wohnung. Nagibulla dreht den Herd an, der Geruch von
Fleisch und Auberginen strömt ins Wohnzimmer. Er redet nicht viel, während
er isst: Reis mit Lammfleisch, Auberginen und Spinat.
Mit Abdul Aziz, der ihm gegenüber sitzt, hat er in Masar-i-Scharif
zusammengewohnt. Alle drei Monate haben sie eine neue Bleibe gesucht, damit
niemand herausfand, dass sie für die Bundeswehr arbeiteten. Aziz hat in
einem Fitnessstudio für deutsche Soldaten in Afghanistan gearbeitet. In
einem Camp der Bundeswehr hat er die Sportübungen der Männer und Frauen
überwacht.
Seit einem Jahr wohnt er ein Stockwerk über Nagibulla in Berlin. Mohammad
Yaseen hat für die japanische Armee gedolmetscht, deswegen wurde sein
Asylantrag in Deutschland abgelehnt. Und Amanullah Torkany, 75, lebt schon
seit zwölf Jahren hier, seit er wegen seiner Mitgliedschaft bei den
Demokraten in Afghanistan verfolgt wurde.
## Unsicherheit schafft Angst
Was wird wohl mit ihren Freunden passieren, wenn der Großteil der Truppen
2014 aus Afghanistan abzieht? Am Telefon fragen sie, ob es schon Neues
gibt, ob sie nicht auch nach Deutschland kommen können. Sie wissen, dass
die Ortskräfte, die für die Amerikaner oder die Dänen arbeiten, ohne
Probleme in das Land auswandern können. Deutschland dagegen hat noch keine
klaren Richtlinien, wie es für seine Ortskräfte weitergeht. Diese
Unsicherheit schafft Angst. Das eigentliche Problem wird aber erst Ende
2014 auftreten.
Aziz sagt: „Wenn die Nato rausgeht und all diese Leute ihren Job verlieren,
was machen sie dann, ohne Geld? Krieg!“ Amanullah Torkany sagt: „Die
Taliban sind kein kleines Monster, sie sind groß und stark und werden unser
Land wieder einnehmen.“ Bevor die Nato kam, seien 80 Prozent des Landes
kaputt gewesen, jetzt seien es 100 Prozent. Unter den Taliban, bekräftigen
sie unisono, da war Afghanistan zumindest sicher.
Nagibulla schüttelt den Kopf, es hilft nichts, die Nato müsse trotzdem raus
aus Afghanistan: „Die Kinder sehen 24 Stunden am Tag bewaffnete Soldaten
herumlaufen.“ Zwar hat er gern für die Bundeswehr gearbeitet, und sie war
auch der Grund für seine Rettung nach Deutschland. „Aber die Soldaten haben
sich benommen wie Könige in unserem Land. Dabei waren sie doch zu Gast.“
Seine Lösung klingt wie ein Traum: „Die Ortskräfte müssen weiter
beschäftigt werden, und zwar für den Aufbau des Landes“, sagt er.
Afghanistan sei reich an Bodenschätzen. „Wenn die Nato das will, dann kann
Afghanistan ein Paradies werden.“ Doch dazu müsse sie das Geld in Fabriken
stecken, die die Rohstoffe verarbeiten und die Menschen beschäftigen, statt
ins Militär.
## Zukunft in Deutschland
Manchmal, sagt Nagibulla, würde er gerne zurück nach Afghanistan gehen, nur
für zwei oder drei Monate. Und wieder im Krankenhaus mitarbeiten. Doch das
geht nicht: Er zieht ein Kärtchen aus seiner Geldbörse, etwa so groß wie
ein Führerschein. Unten links ein Foto von ihm, oben rechts der deutsche
Bundesadler, darüber stehen eine Nummer und die Aufschrift
„Aufenthaltstitel“. Mit diesem Dokument darf er zwar unbefristet in
Deutschland leben, kann aber nicht zurück in seine Heimat. Und fühlt sich
weder dem einen noch dem anderen Land zugehörig.
Deshalb hat Nagibulla jetzt die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt.
„Hier gibt es für mich eine Zukunft“, sagt er. 2016 will er bei den
Paralympics in Brasilien antreten: „Ich will eine Medaille für das Land
holen, dem ich so dankbar bin.“ Nagibulla trainiert jeden Tag im
Behinderten-Sportverband, die Starterlaubnis für Rollstuhl-Rennen hat er
bereits.
Sein Handbike hat ihm sein Arzt nach der zweiten Operation gespendet. Die
beiden Hinterräder bringt er mit seinen Händen zum Rollen, während er mit
gestreckten Beinen auf einem Sitz liegt. An der Lehne hat er eine
afghanische Flagge angebracht, die ihm Abdul Aziz aus der Heimat
mitgebracht hat. Vorne, über dem Vorderrad, weht die deutsche Fahne.
31 Jan 2013
## AUTOREN
Julia Maria Amberger
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