# taz.de -- Rassismus-Debatte: Schwarz ist keine Farbe | |
> Zur Toleranz erzogen, obere Mittelschicht, Akademikerin, weltoffen, | |
> weiblich, weiß. Und irgendwo, tief im Innern, rassistisch? | |
Bild: Zwei schwarze Männer – meine Augen waren überfordert | |
Es war der 25. August 2009. Ein schwüler, drückender, verregneter | |
Sommertag. Ich kam durchnässt nach Hause. Ich betrat unser Wohnzimmer, da | |
saß er auf der Couch. Meine Mitbewohnerin feierte ihr bestandenes Diplom. | |
Fast alle waren schon gegangen – außer ihm. Nichts sprang mir mehr ins Auge | |
als seine Farbe: schwarz. | |
Als Kind habe ich gelernt, dass schwarz und weiß keine Farben sind. Ob das | |
stimmt? Er war laut, lustig und charmant. Und für mich in erster Linie | |
schwarz. Er sprach Englisch oder Französisch mit mir, das stand ihm gut. | |
Als er mich das erste Mal in akzentfreiem Deutsch ansprach, fühlte sich das | |
falsch an. Als ich erfuhr, dass er gar kein völlig freier Lebenskünstler | |
und Musiker war, sondern nebenbei einen ganz normalen Bürojob hatte, passte | |
das nicht in mein Bild eines Schwarzen in Berlin. | |
Ivo lebt seit seinem fünften Lebensjahr in Deutschland. Seine afrikanischen | |
Eltern leben in einem kleinen Dorf in Nordrhein-Westfalen und essen oft | |
Brot mit Wurst und sauren Gürkchen zu Abend. Sagt er. | |
Unser erstes Date fand auf einem Konzert statt. Später, viel später, | |
erzählte er mir lachend, wie grauenhaft er meinen Tanzstil fand. „You’re | |
such a white girl!“ Nach dem ersten Kuss sagte er: „Du kannst das nicht mit | |
meinen Lippen. I have to show you, how to kiss a black guy.“ | |
## Sein Gesicht hatte keine Farbe mehr | |
Nach drei Wochen klopfte er abends an mein Fenster. Er war mit einem Freund | |
vorbeigekommen und wollte kurz mit mir sprechen. Der Freund war ebenfalls | |
schwarz. Ich erkannte Ivo nicht. Zwei schwarze Männer – meine Augen waren | |
überfordert. Es waren meine Ohren, die mir sagten, in welchen der beiden | |
ich mich gerade verliebte. | |
Nach einem halben Jahr fuhren wir nachts mit der Straßenbahn nach Hause. Es | |
war zwischen Berlin-Friedrichshain und Prenzlauer Berg, als ich zum ersten | |
Mal sein Gesicht sah. Es hatte keine Farbe mehr, ich sah nur ihn, seine | |
Schönheit, seinen Charakter, sein Selbst. Das wühlte mich auf, ich begann, | |
sein Gesicht zu berühren, seine Umrisse mit den Fingern nachzufahren; ich | |
konnte nicht aufhören, diese Erkenntnis zu beschreiben und erfühlbar zu | |
machen. | |
Nein, Rassismus war es nicht. Über diese niedere Haltung war ich erhaben, | |
die Allianz mit einem Schwarzen machte mich immun gegen diesen Vorwurf. Wie | |
konnte ich denn rassistisch sein, wenn ich ihn in mein Leben, meine Seele, | |
mein Herz ließ? Dass ich und ein Großteil meines bildungsbürgerlichen | |
Umfeldes trotzdem eine von Xenophobie durchtränkte Grundhaltung an den Tag | |
legen, die von einer zur Schau getragenen Political Correctness übertüncht | |
wird, ist traurige Wahrheit. | |
Vielleicht kann man das als Rassismus bezeichnen. Vielleicht als | |
Unsicherheit im Umgang mit Fremden. Ich und viele andere in Deutschland | |
sind nicht mit fremdartig aussehenden Menschen groß geworden. Unsere Augen | |
sind nicht an Schwarze gewöhnt. Das erste und wichtigste Attribut Ivos war | |
deshalb immer seine Hautfarbe. Bei meinen Freunden, bei meiner Familie. | |
Erst danach kam seine Musik, seine Lebensgeschichte, sein Studium in | |
England. | |
## Schwarz ist nicht gleich schwarz | |
Wir stiegen zusammen in die U-Bahn Richtung Alexanderplatz. Es war der | |
Sommer 2010, Ghana hatte als einzige afrikanische Mannschaft gerade das | |
Viertelfinale der Fußballweltmeisterschaft erreicht. Eine Gruppe junger | |
Männer stieg ein, vielleicht haben sie schon Bier getrunken, vielleicht | |
nicht. | |
Einer knufft Ivo in die Seite und sagt: „Super gespielt habt ihr da!“ Ivo | |
lächelt müde und murmelt ein Dankeschön. Er kommt aus der Grenzregion des | |
Kongos zu Angola. Nein, niemand erwartet, dass ein Europäer einem Afrikaner | |
seine genaue Herkunft ansieht. Aber dass schwarz nicht gleich schwarz und | |
Afrika kein Land, sondern ein Kontinent ist? | |
Ich wuchs in einer Kleinstadt auf, in der der einzige Skinhead durch eine | |
Nachbarschaftsinitiative zum Wegziehen gezwungen wurde. Der exotischste | |
Junge auf meiner Schule war ein Halbmarokkaner. Meine Eltern haben mich zu | |
Toleranz, Zivilcourage, Loyalität und Selbstbestimmtheit erzogen – glaube | |
ich. In meinen Kinderbüchern kamen dennoch unerklärt und unreflektiert zehn | |
kleine „Negerlein„, der „Negerkönig„ oder unterwürfige „Buschmänne… | |
Pippi Langstrumpf, die kleine Hexe, Tim und Struppi im Kongo. | |
Ich war insgesamt zweimal mit dunkler pigmentierten Partnern zusammen. Wie | |
oft musste ich mir „once you go black, you never go back“ anhören. Ein | |
verharmlosender Rassismus? Oder eine lustige Redewendung? Bei einem | |
Klassentreffen erzählte ich von meinem Freund. Eine ehemalige | |
Schulkameradin senkte konspirativ ihre Stimme und fragte: „Ist es denn | |
wirklich so, wie man sagt, mit den Schwarzen? Du weißt schon … Geht es dir | |
nur um die Pimmel?“ Auch heute, Jahre danach, fällt mir nichts zu einer | |
solchen Respektlosigkeit ein. | |
## Er richtete sich ein im Minderheitsdenken | |
Nein, er wollte nicht deutsch sein. Er wählte Englisch als seine Sprache. | |
Die Deutschen waren immer die anderen. Die schlecht gelaunten, die | |
mürrischen, die kleinlichen. Er würde irgendwann zurück nach Afrika gehen | |
und endlich das Leben leben, welches ihm hier verwehrt werde. Manchmal | |
packte mich die Wut. Dann schrie ich ihn an, er sollte dann bitte seinen | |
deutschen Pass abgeben. Dass er doch mal gucken solle, wie er einen | |
Studienplatz in London bekommen hätte. Dass er sich nicht nur die Rosinen | |
aus dem deutschen, weißen Kuchen picken dürfe. | |
Er richtete sich wohlig ein in diesem Minderheitsdenken, stärkte seine | |
schwarze Identität und wertete meine weiße ab. Als wir nicht mehr zusammen | |
waren und über meine neue Beziehung – zu einem Weißen – sprachen, machte … | |
sich darüber lustig. Kein „white guy“ könne jemals mit mir umgehen. Seine | |
Selbstaufwertung funktionierte durch die Abwertung der Menschen, die ihn | |
ausgrenzten. | |
Wenn wir durch die Berliner Straßen gingen und einem Schwarzen begegneten, | |
nickte Ivo ihm fast unmerklich zu. Ich war irritiert. Was sollte diese | |
substanzlose Reduktion auf die gemeinsame Hautfarbe? Gibt es eine schwarze | |
Diaspora? „Ihr seht mich nicht als Deutschen, also bin ich kein Deutscher“, | |
war seine Reaktion. Und natürlich merkte ich, dass er recht hatte. | |
## Dann kam das N-Wort | |
Mit ihm wurde ich zur prototypischen Weißen, er zu meinem schwarzen | |
Gegenpol. Ich begann, mich Alltagsrassismen und Stereotypen zu bedienen, um | |
ihn zu verletzen. Bewusst setzte ich rassistische Äußerungen ein, um seine | |
Toleranz zu testen. Unsere Beziehungsdramen wurden irgendwann zum Kampf | |
zwischen den Kontinenten, Kolonialherrin gegen Sklave, Erste Welt gegen | |
Dritte Welt. Das ging so weit, dass ich sogar das N-Wort benutzte. | |
Von meiner Großmutter bekam ich alte, selbst gehäkelte Eierwärmer | |
geschenkt. Sie zeigen ein schwarzes Gesicht und tragen große Ohrringe. Sie | |
zeigen einen schwarzen Menschen, wie ihn die Generation meiner Oma sah: | |
einen Mohren. Nach meinem Empfinden konnte nur eine einzige Person diese | |
Eierwärmer souverän und reflektiert benutzen: Ivo. Ich schenkte sie ihm, | |
als Provokation. | |
Ich hatte bewusst eine Grenze überschritten und guckte unsicher, ob ich | |
mich diesmal ins Aus befördert hatte. Er lachte, die weißen Zähne | |
leuchteten im Kontrast noch weißer. Genau wie meine Haut neben seiner. Bis | |
zum Schluss ist er schwarz geblieben und ich weiß. Äußerlich und innerlich. | |
Wir haben die Chance verpasst, eine gemeinsame Farbe zu finden. | |
10 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Nicola Schwarzmaier | |
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Otfried Preußler | |
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