# taz.de -- Zukunft des Suhrkamp Verlags: Kulturkampf vorm Landgericht | |
> Wird der Suhrkamp Verlag, Inbegriff intellektueller Kultur in | |
> Deutschland, verschwinden? Am Mittwoch entscheidet das Landgericht in | |
> Frankfurt am Main. | |
Bild: Über die Zukunft des altehrwürdigen Suhrkamp Verlags entscheidet nun da… | |
Es fühlt sich an wie ein Mieterstreit im Elfenbeinturm. Einer spielt | |
Klingelstreich, ein anderer lässt seine eigene Musik zu laut laufen, | |
Besenstiele werden gegen Decken geklopft, man droht sich mit Rauswurf und | |
spricht nicht miteinander, wenn man sich im Treppenhaus begegnet. | |
Tatsächlich droht die komplette Auflösung von Suhrkamp. | |
Ob es so weit kommt, wird am nächsten Mittwoch das Landgericht in Frankfurt | |
am Main entscheiden. Der Vorsitzende Richter lässt sich bereits mit einem | |
Satz zitieren, der nichts Gutes verheißt: „Einer der namhaftesten | |
Teilnehmer am Literaturbetrieb der Nachkriegszeit droht zu verschwinden.“ | |
Wo liegt da die Tragik? Gibt es keine anderen Verlage? Was ist da los? | |
Los ist zunächst einmal der Teufel, auf juristischer Ebene. Da wäre auf der | |
einen Seite Ulla Unseld-Berkéwicz, Witwe des Verlegers Siegfried Unseld. | |
Sie hält 61 Prozent der Anteile des Verlags. Auf der anderen Seite steht | |
Hans Barlach, Enkel des Bildhauers Ernst Barlach. Ihm gehören die | |
restlichen 39 Prozent. | |
Im Dezember 2012 hat ein Gericht in Berlin auf Antrag von Barlach dessen | |
Konkurrentin als Geschäftsführerin abgesetzt und zur Zahlung eines | |
Schadenersatzes von 282.500 Euro verpflichtet – weil Unseld-Berkéwicz | |
private Räume an den eigenen Verlag vermietet hatte. Barlach verlangt | |
seitdem eine neue Geschäftsführung. In Frankfurt nun haben beide | |
Gesellschafter beantragt, sich gegenseitig auszuschließen. Sollte hier | |
keine Einigung erzielt werden, hört Suhrkamp auf zu existieren. | |
## Kein vergleichbarer Verlag | |
Dabei gab und gibt es auch heute noch keinen mit Suhrkamp vergleichbaren | |
Verlag. Dieses Verdienst rechnen inzwischen auch jene der ehemaligen | |
Schauspielerin und Schriftstellerin zu, die sie noch vor 10 Jahren, als sie | |
die Geschäfte übernahm, als unqualifizierte „schwarze Witwe“ mit Hang zur | |
Esoterik schmähten. Unter ihrer Führung wurde der verlagspolitisch | |
notwendige Umzug vom Main an die Spree bewältigt, und sie hat inzwischen | |
ein Programm zusammengestellt, um das der Verlag beneidet werden darf. | |
Umgekehrt wird Hans Barlach als „Heuschrecke“ überzeichnet, der es an | |
ebensolchen Visionen vermissen lässt und nur an Rendite interessiert sei. | |
Tatsächlich hat der ehemalige Herausgeber von Publikationen wie der | |
Hamburger Morgenpost und TV Today bereits bekräftigt, es vor allem auf die | |
stolze Backlist abgesehen zu haben. | |
## Tief sitzender Hass | |
Nun sind es vor allem die Autorinnen und Autoren sowie deren Sekundanten in | |
den Feuilletons der Republik, die die legendäre „Suhrkampkultur“ in Gefahr | |
sehen, gegen die, so die Anwälte Unseld-Berkéwicz, der Usurpator Barlach | |
„einen „tief sitzenden Hass“ empfinde. So erklärte Peter Handke, Barlach | |
sei „ein Abgrundböser, ein Unhold“ und Suhrkamp selbst „für mich, immer | |
noch und heute grundfester denn je, das deutschsprachige Haus des Geistes“. | |
Klar auf die Seite der Verlegerin stellten sich auch zahlreiche | |
Schriftsteller – Tankred Dorst, Durs Grünbein, Andreas Maier, Sibylle | |
Lewitscharoff, Judith Schalansky, Uwe Tellkamp u. v. a. – mit einer | |
gemeinsamen Erklärung: „Wir, die Autoren wie die Erben der Autoren, lassen | |
nicht zu, dass der Frieden dieses Hauses gebrochen wird. Wir gehören zum | |
Suhrkamp Verlag, nicht aber in die Gesellschaft eines, der den Verlag aufs | |
Spiel setzen will.“ Das ist mehr als eine Solidariätsbekundung, es ist eine | |
Drohung. Jeder Verlag steht und fällt mit denen, die für ihn schreiben. | |
Wandern sie ab, welkt der stolzeste Verlag zur wertlosen Hülle. | |
Vorerst aber schließt sich eine Wagenburg um den „bedeutendsten Verlag der | |
westlichen Welt“, wie es die greise Dichterin Friederike Mayröcker | |
ausdrückte. Der Schriftsteller Adolf Muschg forderte schon ein Eingreifen | |
von Bundespräsident Gauck. Man kann es offenbar nicht hoch genug hängen. | |
Auch das hat seinen Grund in der „Suhrkampkultur“ – verstanden als | |
Re-Intellektualisierung der Deutschen nach 1945, als Vehikel zum | |
Wiedereintritt einer Kulturnation in globale Diskurse, das unermüdliche | |
Schürfen von Größen wie Adorno, Habermas oder Bourdieu nach der Conditio | |
humana. | |
## Es gibt eine neue „Suhrkampkultur“ | |
So viel Weihe setzte der Kolumnist Harald Martenstein einmal seinen Seufzer | |
entgegen, es sei doch auch „nur ein Verlag, um Himmels willen!“. Mag sein, | |
dass die alte „Suhrkampkultur“ zusammen mit der alten Bundesrepublik | |
untergegangen ist, wie auch die Idee von einer autoritären | |
Verlegervaterfigur wie Siegfried Unseld. Aus dieser Krise scheint | |
inzwischen aber eine neue „Suhrkampkultur“ erwachsen zu sein, die auf einem | |
alten Credo aufbaut: Hier werden nicht Bücher, hier werden Autoren verlegt. | |
Dass das nicht nur Werbegeplapper ist, wollte Unseld-Berkéwicz zeigen, als | |
sie beim Einweihungsfest in Berlin die Namen aller Autoren verlas. Und es | |
zeigt sich in Gesprächen mit Suhrkamp-Autoren, die eben nicht „in Paris und | |
New York“ wohnen, nicht mit mit Lehraufträgen „in Wien und Karlsruhe“ ihr | |
Geld verdienen oder täglich mit dem Weltgeist telefonieren. | |
„Ich habe nur die allerbesten Erfahrungen gemacht“, sagt einer, der bei | |
Suhrkamp einen Bestseller landen konnte: „Und das Lektorat ist fantastisch. | |
Der Laden läuft wie in der Musik ein gutes Indie-Label, weil die Berkéwicz | |
eben keine Verlegerin im Unseld-Sinne ist.“ Detlef Kuhlbrodt („Morgens | |
leicht, später laut“) berichtet, dass bei einer schlecht besuchten Lesung | |
„unter den zehn Zuhörern fünf von Suhrkamp waren. Und die widersprachen | |
dem, was der Taxifahrer in seinem Kopf und Herzen gehabt haben mag, als er | |
nach einem Radiointerview mit mir gemeint hatte: Schön und gut, aber bei | |
Unseld wäre Ihr Buch nicht erschienen‘!“ | |
## Barlach, der clevere Geschäftsmann | |
Bei Barlach, das steht fest, erst recht nicht. Gerade weil der | |
Herausforderer aufs Geld schaut. „Kein vernünftiger Mensch möchte, dass | |
Barlach sein Chef ist“, lässt sich ein großer deutscher Verleger zitieren: | |
„Aber was Barlach sagt, stimmt“, zumindest in ökonomischer Hinsicht. | |
Womöglich spielt Barlach als cleverer Geschäftsmann mit dem Feuer, um den | |
Preis für seine Anteile hochzutreiben – einen „Markt“ dafür gibt es nic… | |
Unseld-Berkéwicz hat das Vorkaufsrecht. | |
Weshalb sollte er den Verlag zerstören, in dem sein Vermögen steckt? Wie | |
man hört, eilen seit zwei Wochen Emissäre von einer Partei zur anderen. Ein | |
Insider ist sich sicher: „Der Verlag wird nicht aufgelöst werden. Das wäre | |
ein Major Fuck up in diesem Spiel.“ Eine verheerende Kurzschlusshandlung | |
traut er, wenn überhaupt, weniger dem kühlen Rechner Barlach als der | |
idealistischen Überzeugungstäterin Ulla Berkéwicz-Unseld zu. Und darin | |
liegt die Tragik. | |
8 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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