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# taz.de -- „Computer Chess“ auf der Berlinale: Der Pfad zum Wahnsinn ist b…
> Programmierer und eine Katzenplage in einem spacigen Tagungshotel:
> „Computer Chess“ ist eine sanft ironische Hommage an die Anfänge des
> digitalen Zeitalters.
Bild: Modisch auf dem Stand von Neukölln 2012: Die Schachhipster der frühen A…
Wir schreiben die frühen achtziger Jahre, das sieht man an den Brillen, den
Hemden, den Schnurrbärten, vor allem aber an den Maschinen, die in Andrew
Bujalskis [1][„Computer Chess“] immer wieder als urzeitliche Fremdkörper
ins Bild gerückt werden. In massiven Gehäusen wohnten damals
Computerkleinhirne, deren Rechenleistung von heutigen Radioweckern souverän
überboten wird.
Die Überlegenheit unserer digitalen Gegenwart ist aber nicht wirklich die
Komödienperspektive dieses Films, der seine Retro-Schauwerte ohne schrille
Triumphgesten inszeniert. In „Computer Chess“ geht es um ein Treffen von
Schachsoftwareprogrammierern, die ihre Forschungsresultate in Turnierform
gegeneinander antreten lassen. Da sieht man dann erwachsene Männer, die
konsterniert auf die naiven Zugvorschläge ihrer eigenen Programme blicken.
Jede Operation muss manuell eingespeist werden, und was der Computer dann
ausspuckt, erweckt oft den Eindruck, er sei auf der Suche nach dem
schnellsten Weg, sich selbst schachmatt zu setzen. Wenn dann die Rede davon
ist, der „militärisch-industrielle Komplex“ sei an den suizidalen
Programmen interessiert, kann sich zuerst keiner einen Reim auf etwaige
Einsatzgebiete machen, bis schließlich vorsichtige Analogien zwischen dem
Schwarz-Weiß des Schachbretts und der bipolaren Weltordnung des Kalten
Kriegs angedacht werden. Dann sagt einer, Krieg sei Krieg und Schach sei
Schach, und damit ist das Thema durch.
## Posthippieske Selbsttherapiegruppe
Erschwerend kommt hinzu, dass das spacige Tagungshotel von einer
Katzenplage heimgesucht wird. Die Tiere okkupieren Zimmer und fahren
eigenmächtig im Fahrstuhl. Ebenfalls nicht konzentrationsfördernd ist die
Anwesenheit einer posthippiesken Selbsttherapiegruppe, die die
Schachexperten ständig in eigentlich zu private Gespräche verstrickt. Die
Katzen und die Urschreier scheinen eine untergründige Allianz eingegangen
zu sein, jedenfalls führen ihre Manöver zu deutlichen Irritationen unter
den Programmierern. Zwischendurch kommt es allerdings auch zu Annährungen.
Das Konzept der „freien Liebe“ stößt bei den Schachleuten zwar auf so viel
Unverständnis, dass es eine ganze Weile dauert, bis sie gemerkt haben,
welcher Vorschlag hier genau auf dem Tisch liegt. Aber das allgemeine
Gefummel beim Nachspielen der eigenen Geburt kann offenbar etwas sehr
Befreiendes sein.
Der Mensch ist in „Computer Chess“ noch recht weit davon entfernt, die
Maschine als satisfaktionsfähigen Konkurrenten anzuerkennen. Künstliche
Intelligenz gilt noch als Oxymoron. Einmal fällt im Spaß die Bemerkung, in
ferner Zukunft würden Computer die Partnersuche optimieren, und die einzige
Frau im Raum sagt, sie habe diesbezüglich eigentlich keine formulierbare
Strategie.
## Superschwammiges Schwarz-Weiß
Als ein Nachwuchswissenschaftler die These entwickelt, die defizitäre
Software würde das eigene Schachmatt herbeiführen, weil sie lieber gegen
Menschen spielen möchte, schreitet der Doktorvater ein und spricht in
dunklen Andeutungen von einem Pfad zum Wahnsinn, der jetzt betreten sei.
Der Schüler nimmt die Worte ernst und engagiert eine Prostituierte, die
immer direkt vor der Lobby darauf wartet, dass ein Hotelgast die Nerven
verliert.
Mit sanfter Ironie blendet Bujalski Nerd- und Medienarchäologie ineinander
und findet für sein period picture auch eine besondere Retro-Form.
„Computer Chess“ wurde auf Augenhöhe gedreht: mit einer Sony-Videokamera,
die den Film in ein superschwammiges Schwarz-Weiß taucht.
Die Zukunft steht aber auch hier schon unmittelbar vor der Tür, wenn der
zwielichtige Maverick-Programmierer Michael Papageorge seine Mutter besucht
und plötzlich die Videofarben der späten achtziger Jahre über den Film
hereinbrechen. Das könnte eine Fortschrittsvision sein, sieht aber wiederum
eher so aus, als hätte sich die Technik selbst aufgehängt: gefangen in
einem Loop, zurück in die Zukunft.
14 Feb 2013
## LINKS
[1] http://www.berlinale.de/de/programm/berlinale_programm/datenblatt.php?film_…
## AUTOREN
Simon Rothöhler
## TAGS
Schach
Retro
Computer
Katzen
Kino
Schriftsteller
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