# taz.de -- „Uroki Garmoni“ auf der Berlinale: Kakerlaken auf elektrischem … | |
> Emir Baigazin erzählt in „Harmony Lessons“ eine eigenwillige | |
> Coming-of-Age-Geschichte. Der Film ist zugleich eine lakonische | |
> Totalitarismusparabel. | |
Bild: Schule in Kasachstan kann hart sein: Szene aus „Harmony Lessons“. | |
Um widerständige Lebensformen geht es im kasachischen Wettbewerbsbeitrag | |
„Harmony Lessons“ (Uroki Garmonii) von Emir Baigazin. Kakerlaken und | |
Reptilien haben Millionen von Jahren überlebt, und sie werden auch noch | |
durch den kasachischen Staub kriechen, wenn die nicht minder zählebigen | |
menschlichen Protagonisten in Baigazins Film längst das Zeitliche gesegnet | |
haben. | |
„Harmony Lessons“ ist ein merkwürdiger Coming-of-Age-Film, der mitunter | |
abrupt die Tonarten und Genres wechselt. Im Mittelpunkt steht der | |
dreizehnjährige Aslan, der in einer Kleinstadt irgendwo in Kasachstan mit | |
seiner Großmutter wohnt. Die wundert sich, warum der Junge nicht mehr | |
lacht, und konsultiert deswegen ein Medium, das die Antwort aus roten | |
Bohnen liest. Die Alten leben noch mit ihren Traditionen, die Kids müssen | |
sich dagegen bereits im gesellschaftlichen Konkurrenzkampf behaupten. | |
Aslan wird von seinen Klassenkameraden gehänselt und verprügelt. Bolat ist | |
der Anführer der Schulgang, er spielt schon nach den Regeln der Großen. Den | |
Kleineren knöpft er in der Pause Geld ab und leitet es an den Nächsthöheren | |
in der Hierarchie weiter. Der Erlös der Beutezüge soll an die „Brüder“ im | |
Gefängnis gehen, aber richtig durchschaubar ist das System nicht. | |
## Sadistische Experimente | |
Auf Druck Bolats wird Aslan von den Mitschülern gemieden. Seine einzigen | |
Freunde sind die Kakerlaken, die er im Haus der Großmutter sammelt und mit | |
denen er sadistische Experimente veranstaltet – bevor er sie kopfüber an | |
seine Eidechsen verfüttert. Er hat einen elektrischen Miniaturstuhl | |
angefertigt, auf dem er seine Opfer schmort. | |
Das Kräfteverhältnis ändert sich, als Mirsayin, ein Neuer aus der Stadt, an | |
der Schule auftaucht. Der etwas größere Junge bietet Bolat Paroli und | |
bringt damit Unruhe in das rigide Kontrollsystem. Irgendwann findet Aslan, | |
dass es Zeit ist, sich gegen die Unterdrücker aufzulehnen. | |
Baigazins kleine Totalitarismusparabel hat einen erfrischend lakonischen | |
Unterton, den man im diesjährigen Wettbewerb bislang vermisst hat. Zwischen | |
Kakerlakenfolter und einer Tracht Prügel bleibt immer noch Zeit für eine | |
Eurodance-Tanzeinlage – die sich allerdings als Traum herausstellt. | |
Baigazin scheint bereits verstanden zu haben, welche Anforderungen der | |
internationale Festivalmarkt an Regiedebütanten stellt. | |
In der Eröffnungsszene schlachtet Aslan ein Schaf und weidet es aus; man | |
könnte so eine Szene inzwischen als Signatur des internationalen | |
Autorenkinos jenseits der großen Binnenmärkte bezeichnen. Mit seinen | |
langen, langsamen Einstellungen bedient „Harmony Lessons“ eine spezifische | |
Mangelästhetik, die auf internationalen Filmfestivals als chic gilt. Dass | |
solche Filme inzwischen aus Kasachstan kommen, muss dabei nicht | |
überraschen. Baigazin durchlief bereits erfolgreich alle Instanzen der | |
europäischen Filmförderung, vom Berlinale Talent Campus bis Locarno. | |
14 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Andreas Busche | |
## TAGS | |
Schach | |
Drogenkrieg | |
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