| # taz.de -- EU und Freihandelsabkommen: Menschenrechte sind zu teuer | |
| > Auch das geplante transatlantische Freihandelsabkommen zeigt: Die EU | |
| > verzichtet gern auf Sanktionen wegen Rechtsverstößen. | |
| Bild: Menschenrechte? Wo denn? EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso. | |
| BRÜSSEL taz | Die EU kann nicht genug kriegen von Freihandelsabkommen. Vor | |
| allem Handelskommissar Karel De Gucht lobt das wirtschaftliche Potenzial | |
| der Marktöffnung. „Freihandelsabkommen sind gerade in der Krise besonders | |
| wichtig. Sie sorgen für Wachstum und Arbeitsplätze“, sagt Matthias | |
| Jörgensen, ein Unterhändler von De Gucht, der das Abkommen mit Peru und | |
| Kolumbien mit ausgehandelt hat. Das Bruttoinlandsprodukt der EU kann um bis | |
| zu 2 Prozent wachsen, prognostiziert die EU-Kommission, wenn sie mit allen | |
| Wunschpartnern Abkommen zu ihren Bedingungen schließt. | |
| Bis dahin ist es ein langer Weg. Bisher bestehen Freihandelsverträge nur | |
| mit Südkorea sowie Kolumbien und Peru. Aber die EU-Kommission verhandelt | |
| eifrig mit Indien, den Mercosur-Ländern Südamerikas, Vietnam und Malaysia. | |
| Die Verhandlungen mit Singapur stehen kurz vor dem Abschluss, und auch | |
| Japan steht auf der Wunschliste der Europäer. | |
| „Die bilateralen Abkommen machen den Multilateralismus absurd. Die Gefahr | |
| ist, dass die USA und EU mit ihrem Abkommen internationale Standards | |
| festlegen, die dann von allen anderen übernommen werden müssen“, sagt die | |
| grüne EU-Abgeordnete Ska Keller. | |
| Umweltstandards und Menschenrechte kommen bei den Verhandlungen oft zu | |
| kurz. Aus einem Briefwechsel zwischen der Vorsitzenden des | |
| Menschenrechtsausschusses im EU-Parlament, Barbara Lochbihler, und dem | |
| EU-Handelskommissar, der der taz vorliegt, geht hervor, dass im Vertrag mit | |
| Vietnam die Achtung der Menschenrechte keine Rolle spielen soll. | |
| „Menschenrechte werden nicht Teil des Freihandelsabkommens sein. Aber es | |
| wird einen Hinweis auf die Klauseln des Partnerschaftsabkommens geben“, | |
| schreibt De Gucht. Würden die Klauseln verletzt, hätte das Auswirkungen auf | |
| alle Beziehungen – auch die wirtschaftlichen. | |
| ## Das Beispiel Vietnam | |
| Allerdings bleiben auch im Partnerschaftsabkommen die | |
| Menschenrechtsklauseln vage. Außerdem gibt es keine Sanktionen. „Für die | |
| EU-Kommission sind Menschenrechte nur in Sonntagsreden wichtig. Mit den | |
| Freihandelsabkommen hätte man ein konkretes Druckmittel auf die | |
| vietnamesische Regierung. Aber die Chance wird nicht genutzt“, sagt | |
| Lochbihler. | |
| Die EU-Verträge sagen etwas anderes. Hier heißt es, dass die Respektierung | |
| von Menschenrechten, Freiheit und Demokratie auch in der internationalen | |
| Handelspolitik beachtet werden muss. Aber der Fall Vietnam zeigt, dass dies | |
| nicht der Fall ist. In dem Land stehen die Medien weitgehend unter | |
| staatlicher Kontrolle. Kritische Blogger und andere | |
| Menschenrechtsverteidiger werden eingeschüchtert und landen auch ohne | |
| Gerichtsverfahren im Gefängnis. | |
| De Gucht verweist auf Vorzeigeprojekte der EU, die Menschenrechtler | |
| unterstützen. Außerdem entstehe durch ein Freihandelsabkommen Wachstum. | |
| „Dies ist ein Schlüsselfaktor für nachhaltiges Wachstum und die | |
| Durchsetzung von Menschenrechten“, sagt er. „Da gibt es keinen | |
| Automatismus“, widerspricht Lochbhiler. „Mehr wirtschaftlicher Erfolg gibt | |
| einer Regierung mehr Glaubwürdigkeit und nimmt den Druck, etwas zu ändern.“ | |
| Vietnam ist kein Einzelfall. Das Abkommen mit Kolumbien wurde 2012 | |
| unterzeichnet, obwohl in keinem anderen Staat der Welt so viele | |
| Gewerkschafter ermordet werden wie in Kolumbien und Guatemala. Eine Studie | |
| der linken Fraktion im EU-Parlament zeigt, dass mit dem Freihandelsabkommen | |
| Geldwäsche, Steuerflucht und Drogenhandel zunehmen. „Das Abkommen nimmt | |
| viel zu früh den Druck von der Politik, Menschenrechtsverletzungen | |
| aufzuarbeiten und zu verhindern“, sagt der linke EU-Abgeordnete Jürgen | |
| Klute. | |
| 15 Feb 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Ruth Reichstein | |
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