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# taz.de -- Fünf Jahre Republik Kosovo: Afrim will zurück nach Deutschland
> Immer mehr Staaten erkennen Kosovo diplomatisch an. Trotzdem bleibt die
> Reisefreiheit für die Bürger ein Traum. Auch Afrim will eigentlich weg.
Bild: Prishtina erinnert mit Reklameschildern und Tankstellen, Motels und Super…
PRISHTINA taz | Vor der Schweizer Botschaft in Kosovos Hauptstadt Prishtina
hat sich eine Schlange gebildet. Die Menschen brauchen ein Visum. Auch in
dem gegenüberliegenden Geschäft für Versicherungen ist viel los. Denn um
ein Visum zu erhalten, braucht es eine Reisekrankenversicherung.
„Hunderttausende Kosovoalbaner haben Verwandte in der Schweiz“, schmunzelt
Afrim Hima, der in dem Geschäft arbeitet. Zügig nimmt er Namen auf, setzt
Stempel auf Papiere. „Von Reisefreiheit können wir nur träumen.“
Nachdenklich fertigt der schlanke, muskulöse 45-Jährige weitere Kunden ab.
„Fünf Jahre nach der Unabhängigkeit werden wir hier in unserem kleinen
Kosovo wie in einem Käfig gehalten. Du musst schon Geld haben, um all die
Prozeduren für deine Reise bezahlen zu können, alles zusammen um die 80
Euro.“
Dass ausgerechnet die Bürger des von den Institutionen der internationalen
Gemeinschaft am strengsten überwachten Land Europas um Visa anstehen, ist
im grenzenlosen Europa eigentlich anachronistisch. Neben der
Rechtsstaatsmission Eulex mit ihrer Polizeimission stehen nach wie vor
Eufor-Schutztruppen im Land. Und trotzdem legt Europa den Kosovaren viele
Steine in den Weg. Viele EU-Staaten fürchten einen Massenexodus.
Dazu will Afrim Hima zuerst nichts sagen. Doch dann bricht es doch aus ihm
heraus: „Stimmt schon, viele wollen weg. Ich auch, am besten sofort. Komm
in mein Dorf, dann sage ich dir, warum.“ Die Fahrt führt von Prishtina aus
nach Osten, Richtung Gniljane.
Der Verkehr ist dicht, Prishtina hat sich seit Ende des Krieges 1999
ausgedehnt, entlang der Straße nach Gracanica breitet sich ein Wildwuchs
aus neuen Gebäuden und Geschäften aus, die mit ihren Reklameschildern und
Tankstellen, Motels und Supermärkten an Vororte US-amerikanischer Städte
erinnert. „Wenn gebaut wird, gibt es doch auch Arbeit“, sage ich. „Nur f�…
wen und unter welchen Bedingungen“, antwortet Afrim. „Den wenigen Reichen
geht es gut. Die meisten Leute aber arbeiten für 220 Euro im Monat, wie
willst du da eine Familie ernähren?“
Afrim bedauert, dass er nach dem Krieg der Nato gegen Serbien von
Deutschland nach Kosovo zurückgekehrt ist. „Ich hatte eine gute Stelle bei
einer Firma in Esslingen. Der Chef war mit mir sehr zufrieden. Ich
verdiente gutes Geld und hätte nach ein paar Jahren sogar Deutscher werden
können. Aber mein Vater wurde krank. Als jüngster Sohn habe ich nach
unserer Tradition die alten Eltern zu betreuen.“ Afrim bat um Urlaub und
kam nach Kosovo zurück. Der Vater musste ins Krankenhaus und wurde
operiert. Die Wunde entzündete sich, Vater starb kurz darauf . „Dann bat
mich meine Mutter zu bleiben.“ Nach ihrem Tod war der Weg zurück verbaut:
Afrim hatte sein deutsches Aufenthaltsrecht verloren.
## Ein selbst gebautes Haus im Dorf seiner Vorfahren
Er traf seine Jugendliebe wieder, heiratete. „Jetzt habe ich vier Kinder,
von bis 12 Monaten bis 10 Jahre.“ Seine Gesichtszüge entspannen sich.
„Meine Eltern lebten in der Stadt, doch mit den Kindern wollte ich zurück
in unser altes Dorf, wo unsere Familie seit Jahrhunderten ansässig ist.
Dort gibt es frische Luft und man muss nicht so auf die Kinder aufpassen.
Die sind dort frei.“ Die Stadtwohnung wurde verkauft. Mithilfe der Nachbarn
und Verwandten machte er sich ans Werk. „Wir haben das Haus selbst gebaut.“
Die Straße führt vorbei an einem Stausee, dessen Wasserspiegel bedenklich
niedrig ist. „Es hat zu wenig geregnet.“ Nach dem Ort Slivovo verengt sich
das Tal, um sich dann plötzlich auszuweiten. „Dort ist Dragac, oben auf dem
Berg steht mein Haus.“
Eine geteerte Straße führt den Berghang hinauf, vorbei an neuen
villenähnlichen, von Bäumen und Gärten umgebenen Anwesen. „Die gehören
entfernteren Verwandten, die im Ausland leben.“ Frau Larija hängt gerade
Wäsche auf. Die Wiese, der Gemüsegarten, der Schuppen mit dem Traktor, all
das macht einen gepflegten Eindruck. Im recht geräumigen Wohnzimmer ist
nach Art der Albaner eine Sitzlandschaft gebaut, das Sofa zieht sich an
zwei Wänden entlang, auf dem Teppich liegen Kissen, auf denen sich die
Kinder räkeln.
Schnell ist ein Saft gebracht, auf den Kaffee muss man noch ein bisschen
warten. „Warum bist du so verbittert, das ist doch schön hier?“ Den Blick
auf das Tal und die sanft geschwungenen Berghänge gerichtet, stimmt Afrim
zu. Aber in ihm arbeitet es. Die Ärzte hätten bei der Behandlung seines
Vaters geschlampt. „Im Krankenhaus müssen die Doktoren bestochen werden,
alle Medikamente müssen wir selbst bezahlen, beim Staat angestellten
Mediziner haben nebenbei private Praxen. Sie sagen: Dort werden wir dich
richtig behandeln.“ Er ist sicher: In Deutschland hätte sein Vater
überlebt.
Noch etwas anderes nagt an Afrim. „Sieh mal die Kinder an, die werden bald
groß sein. Welche Perspektive kann ich ihnen hier bieten? Das Schulsystem
ist schlecht. Es gibt Lehrer, die gar keine sind. Die haben sich
eingekauft, haben Geld für ihre Stelle bezahlt. Überall herrscht
Korruption, im Gesundheitswesen, in der Schule, bei den Behörden.“ Erst als
Frau Larija von der Familie erzählt, hellt sich sein Gesicht wieder auf.
Ein Bruder lebt in Deutschland, ein anderer in Schweden, nur zwei sind im
Kosovo geblieben. „Im Sommer kommen sie alle mit ihren Familien hier ins
Dorf. Dann sind wir alle zusammen.“
## Zusammen kommt die Familie nur im Sommer
Früher sei auch das Verhältnis zu den örtlichen Serben gut gewesen. „Mein
Pate war Serbe, er kam zu mir, schnitt mir die Haare, erzählte Geschichten,
ich habe ihn gemocht.“ Doch dann änderte sich alles. 1987 kam Slobodan
Milosevic an die Macht, die Albaner wurden fortan diskriminiert. „Einmal
pfefferte ein serbischer Gemeindebeamter meinen Ausweis in eine schmutzige
Ecke und befahl mir, ihn wieder sauber zurückzubringen. Viele Albaner
wurden geschlagen, kamen ins Gefängnis. 1991 war ich Student, Vater sagte,
ich sollte gehen, nach Deutschland am besten.“
Afrim machte sich auf den Weg. Erreichte die damalige Tschechoslowakei.
Versuchte, illegal über die deutsche Grenze zu kommen. Wurde geschnappt und
zurückgebracht. Doch beim zweiten Versuch hat es dann geklappt. „ich
stellte einen Asylantrag, zwei Jahre später durfte ich arbeiten, dann bekam
ich den Aufenthaltsstatus und letztlich die Stelle in Esslingen. Dort würde
ich gerne wieder anfangen.“
Afrim ist besessen von der Idee, wegen seiner Kinder nach Deutschland zu
gehen. Er meint, er sei gerade noch jung genug, um dort noch einmal neu
anfangen zu können.Vielleicht sieht er deshalb nicht, dass es in seiner
Gegend auch einige Fortschritte gibt. Die neue und schmucke Schule in dem
nahe gelegenen Novo Brdo wurde mit Schweizer, US-amerikanischer und
britischer Hilfe gebaut, die Norweger haben in seinem Dorf ein Institut zur
Forstwirtschaft eingerichtet.
Novo Brdo, das jetzt auf Albanisch Artane heißt, ist noch immer eine
national gemischte Region, hier leben Albaner und Serben längst wieder
friedlich nebeneinander. Der rührige albanische Bürgermeister der Gemeinde
hat nicht nur die Straßen verbessern, sondern auch Wanderwege um die aus
der Römerzeit stammenden Burg anlegen lassen. Artane hat sich im letzten
Jahr zu einem Anziehungspunkt für Erholung suchende Städter und andere
Touristen entwickelt.
Wir fahren zurück in die Hauptstadt. Neben Afrims Versicherungsgeschäft
haben sich noch andere kleine Geschäfte angesiedelt: ein Elektriker, der
allerlei Geräte repariert, zwei Schneider, zwei Frisöre, ein Schnellimbiss.
Man trifft sich auf der Straße und redet miteinander. Der Elektriker
verdient 10 Euro am Tag, die Frisöre nicht viel mehr, und allen sitzt die
Steuerbehörde im Nacken „Alle sechs Monate müssen wir eine Steuererklärung
abgeben,“ sagt Afrim. Doch einer der Frisöre will nicht nur klagen. Seit
der Unabhängigkeit „müssen wir alles neu aufbauen, Schulen, Straßen, einen
funktionierenden Staat, das braucht Zeit.“ Afrim schweigt. Er will zurück
nach Deutschland. Der Kinder wegen.
18 Feb 2013
## AUTOREN
Erich Rathfelder
Erich Rathfelder
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