# taz.de -- Christian Meyer über die Agrarwende: „Wir wollen überzeugen“ | |
> Eine nachhaltige und ökologisch-vertretbare Landwirtschaft lässt sich | |
> nicht befehlen – aber mit Anreizen auf den Weg bringen, sagt der | |
> Grünen-Politiker Christian Meyer. | |
Bild: Soll in Niedersachsen besser vermarktet werden: Weidemilch von glücklich… | |
taz: Herr Meyer, sind Sie ein Bauernschreck? | |
Christian Meyer: Nein. Im Wahlkampf hatte ich viele Veranstaltungen mit | |
Landwirten, sowohl auf dem Podium als auch unter den Zuschauern. Es ist nie | |
einer erschrocken. Und ausgebuht hat man mich auch nicht. | |
Gab’s nicht beim Landvolk Vorbehalte? | |
Es ist klar, dass einige Funktionäre lieber einen CDU-Minister gehabt | |
hätten. An der Basis ist das Bild aber ein anderes: Den Grünen wird in | |
Niedersachsen mehr Landwirtschaftskompetenz zugetraut als jeder anderen | |
Partei. Und ich habe sehr viele positive Rückmeldung bekommen – von | |
Ökobauern, aber auch von konventionellen, von Milchviehhaltern und von | |
Rübenbauern: Es hat sich herumgesprochen, dass wir an der Seite von | |
bäuerlichen Betrieben stehen, gegen Finanzinvestoren, die Boden als | |
Spekulationsobjekt aufkaufen, oder für eine Verteilung der Subventionen, | |
von der eine mittelständische Landwirtschaft profitiert. | |
Das passt zu den Plänen von EU-Agrarkommissar Dacian Cioloş: Wird das | |
Projekt der Agrarwende jetzt am Bund vorbei im Zusammenspiel von Ländern | |
und EU wiederbelebt? | |
Klar ist: Wir haben eine rot-grüne Mehrheit im Bundesrat, und keine Partei | |
stellt auf Länderebene so viele Agrarminister wie die Grünen. Da wird sich | |
auch Frau Aigner überlegen müssen, ob sie an ihrer Position festhält: Wir | |
unterstützen dabei das von Cioloş geforderte Greening als ökologische | |
Komponente, wir wollen eine Agrarförderung, die gesellschaftliche | |
Leistungen wie Tier und Umweltschutz stärker honoriert. | |
Dann wäre es ja doch schlau gewesen, die Europa-Politik im Agrarressort | |
anzusiedeln, wie Stephan Weil es vorhatte. Warum hat man die Idee | |
verworfen? | |
Hat man ja nicht: Kern der Idee war, die EU-Förderung besser zu | |
koordinieren. Das hatte die alte Landesregierung geradezu verweigert, | |
sodass ihre Minister mit gezückten Portemonnaies durchs Land liefen, um mal | |
hier ein Fehlprojekt wie die Erlebniswelt Weserrenaissance anzuleiern oder | |
mal dort ein paar Millionen für Schneekanonen im Harz zu verpulvern. | |
Deshalb wird’s bei uns eine Stabsstelle geben. | |
Aber nicht im Agrarressort. | |
Nein, in der Staatskanzlei: Alle Ressorts sind betroffen. Von daher ist es | |
sinnvoll, eine übergreifende Abstimmung beim Ministerpräsidenten | |
anzusiedeln… | |
… der alles beaufsichtigt? | |
Diese Stelle hat eine klare Koordinierungs, keine Kontrollfunktion. Die | |
entmachtet die Ressorts nicht, sondern entwickelt mit ihnen eine gemeinsame | |
Strategie. | |
Dabei kommt Agrar aber eine Sonderrolle zu? | |
Wir sind in Niedersachsen – vom Umsatz – Deutschlands Agrarland Nummer 1. | |
Wir können das aber nur bleiben, wenn wir neue Märkte erschließen. Wir | |
dürfen beispielsweise den Bio-Boom nicht länger an uns vorbeiziehen lassen: | |
Da gab’s im vergangenen Jahr sechs Prozent Umsatzwachstum… | |
… nur in Niedersachsen ist die ökologisch bewirtschaftete Fläche | |
geschrumpft. | |
In diese Bereiche müssen wir dringend stärker hineingehen. Da müssen wir – | |
wie es Nordrhein-Westfalen tut – Anreize setzen, indem wir die Ökoprämien | |
erhöhen. Und wir würden gerne auch Vorreiter beim Tierschutz sein: Wenn wir | |
hier schneller sind, wenn wir das Schnäbelkürzen stoppen und die | |
Käfighaltung beenden, hat das auch Signalwirkung für Europa. | |
Allerdings: den Initiativen wird das zu langsam gehen – und wenn ein | |
Maststall genehmigt wird, sind jetzt Sie schuld! | |
Das glaube ich nicht. Ich kenne viele der Initiativen sehr gut: Die | |
Menschen, die sich engagieren, sind aufgeklärte Bürger. Die wissen, was | |
sich auf Landesebene erreichen lässt, und was nicht. Die sind auch im | |
Stande, zu würdigen, dass wir hier einen einzigartig guten | |
Koalitionsvertrag mit klaren Zielen formuliert haben. Wir führen in | |
Niedersachsen eine Tierschutzverbandsklage ein, und wir wollen in | |
Kooperation mit den anderen Bundesländern dafür sorgen, den | |
Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung zu halbieren: Das ist ein ehrgeiziges | |
Ziel. Auf Landesebene können wir dafür sorgen, dass es einheitliche | |
Umwelt-Standards bei der Genehmigung von Stallbauten gibt: Das wird den | |
Initiativen und den Kommunen helfen. Vor allem aber gilt es, Anreize für | |
die Agrarwende zu schaffen. | |
Zum Beispiel? | |
Da hat der Koalitionsvertrag doch eine ganze Menge zu bieten: Das reicht | |
von dem Plan für ein 100-ökologische-Kantinen und ein Schulobstprogramm | |
über die Einführung freiwilliger vegetarischer Tage bis zur regionalen | |
Weidemilchvermarktung. | |
Und das soll was bringen? | |
Derartige Pilotprojekte werden den Dialog in Gang setzen, welche | |
Lebensmittelerzeugung wir eigentlich wollen. In der Stadt und auf dem Land. | |
Und das ist das wichtigste. Denn eine neue, ökologische Landwirtschaft | |
lässt sich nicht dekretieren. Ein solches Leitbild muss im Gespräch | |
zwischen Initiativen, Verbrauchern, Verbänden, den unterschiedlichen | |
Gruppen der Landwirtschaft und mit den Kommunen entwickelt werden. Wir | |
wollen überzeugen, damit die Bereitschaft wächst, sich mit uns auf den Weg | |
in eine neue, nachhaltige und ökologisch verträgliche Landwirtschaft zu | |
machen. | |
18 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
EU | |
Stephan Weil | |
Niedersachsen | |
Schwerpunkt Landtagswahlen | |
Landwirtschaft | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Christian Meyer über die Agrarwende: „Die Reform hat Rückenwind“ | |
Trotz Dauerkritik der Verbände sieht sich Niedersachsens grüner | |
Landwirtschaftsminister mit seiner Reformpolitik nicht allein. | |
EU-Verhandlungen Agrarreform: Ilse Aigner wäscht sich grün | |
Die Ministerin gibt sich als Unterstützerin von ökologischen | |
EU-Subventionen. Doch in Brüssel sorgt sie dafür, dass Bauern weiter | |
umweltschädlich arbeiten dürfen. | |
Regierungswechsel in Niedersachsen: Warten auf Weils Wahl | |
Ab dem heutigen Dienstag wollen SPD und Grüne regieren – mit nur einer | |
Stimme Mehrheit. Raum für Streit gibt es bereits: Zum Beispiel beim Thema | |
Gorleben. | |
Landesregierung Niedersachsen: Gestatten, Koalitionsvertrag! | |
SPD und Grüne in Hannover haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. | |
Die Grünen sollen demnach vier der neun Ministerposten bekommen. | |
Grüne nach Niedersachsen-Wahl: Erfolg im Atomlager- und Mastland | |
Das grandiose Wahlergebnis der Grünen kommt nicht von ungefähr. Sie setzten | |
konsequent auf Themen, bei denen man die höchste Kompetenz bei ihnen sieht. | |
Der Geruch der Agrarindustrie: Gülle Gülle Niedersachsen | |
Niedersachsen ist das Schlachthaus der Nation und setzt voll auf | |
industrielle Tierhaltung. Doch der Grüne Christian Meyer plant die | |
Landwirtschaftswende. | |
Interview über die Agrarindustrie: "CDU ist radikale Minderheit" | |
Nur eine Agrarwende kann Niedersachsens Höfesterben stoppen, sagt Christian | |
Meyer, Vize der Landtags-Grünen. Mit der CDU sei das nicht denkbar. |