Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Streit der Woche: Zerbricht Italien an der Wahl?
> Italien wählt und Berlusconi ist zurück. Für eine Mehrheit im Parlament
> wird es nicht reichen, aber im Senat könnte er die Politik blockieren.
Bild: Ungleiche Gegner in einem populistischen Wahlkampf: Mario Monti (r.) und …
Es vergeht kaum ein Tag, an dem Silvio Berlusconi nicht in einer Talkshow
auftritt. Wie in „Domenica live“ auf Canale 5: Im dunkelblauen Zweireiher
macht er sich auf einem weißen Sofa breit und erklärt der Journalistin im
kleinen Schwarzen die Welt. Die Steuer aufs Eigenheim, mit der sein
Vorgänger Mario Monti den Staatshaushalt sanieren wollte, werde er nicht
nur abschaffen, sondern zurückzahlen, verspricht er.
Dann schimpft er auf das Gericht von Milano, das ihn wegen
Steuerhinterziehung in seinem Medienkonzern Mediaset zu vier Jahren Haft
verurteilt hat – auch wenn er höchstwahrscheinlich gar nicht ins Gefängnis
muss. Und verkündet, dass er jetzt mit seiner 28-jährigen Flamme verlobt
ist. „Es ist offiziell“, jubelt die Journalistin und gratuliert ihrem
76-jährigen Chef. „Eine Napolitanerin. Wie ich! Nur viel jünger.“
Italien wählt am Sonntag und am Montag ein neues Parlament. Dabei treten
keine Parteien, sondern bereits gebildete Koalitionen aus bis zu acht
Parteien gegeneinander an – ansonsten wäre dieser chaotische Wahlkampf mit
den vielen kleinen Gruppierungen noch unübersichtlicher als ohnehin schon.
In Italien spricht man von einer „Schicksalswahl“ – sie könnte über die
wirtschaftliche Zukunft des instabilen Landes entscheiden.
Der Cavaliere hat sich rechtzeitig zurückgemeldet - der bunte Vogel, der
vor der grauen Wand des Technokratenkabinett Mario Montis flattert und mit
seiner Show die Wählerstimmen abfängt. Zwar ist der Sozialdemokrat Pier
Luigi Bersani der eigentliche Favorit der Wahl - im Januar lag Berlusconi
deutlich zurück, kaum jemand glaubte an seine Wiedergeburt. Doch inzwischen
ist der Abstand auf weniger als fünf Prozentpunkte geschrumpft.
## Der seriöse Professor ist ein Politiker geworden
Ende 2011 musste Silvio Berlusconi zurücktreten, als Italien wegen
Staatsschulden von 120 Prozent des BIP zunehmend unter Druck geriet und
immer mehr Zinsen für frisches Geld zahlen musste. Dann bestellte der
Staatspräsident Giorgio Napolitano den erznüchternen Mario Monti ins Amt.
13 Monate hatte der Wirtschaftsprofessor Zeit, die italienische
Gesellschaft samt Korruption, Misswirtschaft und Realitätsverlust
„generalzuüberholen“, wie er selbst sagte.
Seine Bilanz: Ein 30-Milliarden-Sparpaket, eine Rentenreform nach deutschem
Vorbild. Er schaffte es, dass die Finanzmärkte Italien wieder vertrauten
und führte einen neuen politischen Stil ein, der sich durch den Glauben an
die Institutionen des Staates auszeichnete und durch Respekt vor dem
politischen Gegner. Doch nach der Halbzeit erlahmte sein Reformwillen, im
Dezember trat er zurück.
Aus dem seriösen Professor ist inzwischen ein ganz normaler Politiker
geworden: Statt das Wahlprogramm seiner „Scelta Civica con Monti per
l'Italia“ zu erklären, schießt er auf seinen Gegner Berlusconi, der eine
Koalition der Mitte-Rechts-Parteien organisiert hat. Der holt auf, während
Monti mit etwa 15 Prozent auf der Strecke bleibt.
Sogar Beppe Grillo von der populistischen Protestbewegung „Movimento 5
stelle“, der allen Ernstes al-Qaida auffordert, das Parlament in Rom zu
bombardieren, liegt Umfragen zufolge vor Monti. Dem Professore fällt es
nicht leicht, seinen ersten Wahlkampf zu überstehen, gegen seine
Konkurrenten kommt er hölzern und bieder daher. Medienprofi Berlusconi
hingegen kennt die Sehnsüchte und Ängste des kleinen Mannes. Er kauft
Stimmen, indem er Geld für Starfußballer des AC Milan locker macht und
utopische Versprechen gibt.
## Bereits die 60. Regierung
Alle paar Jahrzehnte kommt in Italien ein Charismatiker an die Macht. Wenn
die Leute merken, dass es die „starken Männer“ auch nicht besser machen,
dürfen wieder die Parteien ran und es folgt eine Phase, in der die
Ministerpräsidenten ständig wechseln. Denn das italienische Parteiensystem
ist zersplittert und instabil. Ständig regieren wechselnde Bündnisse von
bis zu acht verschiedenen Parteien – wenn eine Partei den Beschluss des
Ministerpräsidenten nicht mitträgt und austritt, muss sich das Parlament
häufig neu formieren.
Am Sonntag und Montag wird deshalb die bereits 60. Regierung seit 1947
gewählt. Dabei sind alle Italiener verpflichtet, eine Stimme für den Senat
und das Abgeordnetenhaus abzugeben. Als Favorit der Wahlen gilt weiterhin
Bersani vom Mitte-Links-Bündnis, der Sohn eines Tankstellenwarts, der ohne
Jacket mit hochgekrempelten Ärmeln vor seinen Anhängern spricht. Er wird
voraussichtlich die meisten Stimmen im Abgeordnetenhaus holen.
Doch die Mehrheit im Senat kann Berlusconi noch gewinnen. Denn dort werden
die Sitze an Senatoren aus den Regionen vergeben und die
bevölkerungsreichste Region, die Lombardei, ist traditionell
Mitte-Rechts-orientiert. Mit einer Mehrheit im Senat könnte Berlusconi die
Regierung blockieren und Italien damit unregierbar machen. Doch eine
wackelige Regierung, die nach einigen Monaten wieder zurücktreten muss,
wäre verheerend für Italien und Europa. Wird Italien an der Wahl
zerbrechen?
Diskutieren Sie mit! Die sonntaz wählt unter den interessantesten
Kommentaren einen oder zwei aus und veröffentlicht sie in der sonntaz vom
23./24. Februar. Der Kommentar sollte etwa 900 Zeichen umfassen und mit dem
Namen, Alter und der E-Mail-Adresse der Autorin oder des Autors versehen
sein. Oder schicken Sie uns bis Mittwoch, 20. Februar, eine Mail an:
[email protected]
19 Feb 2013
## AUTOREN
Julia Maria Amberger
## TAGS
Italien
Wahl
Streit der Woche
Silvio Berlusconi
Mario Monti
Pier Luigi Bersani
Italien
Italien
Schwerpunkt Korruption
Italien
Silvio Berlusconi
Italien
Italien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Möglicher Wahlsieger Pierluigi Bersani: Lieber graue Maus als Märchenonkel
Der Mitte-Links-Kandidat Pierluigi Bersani liegt zumindest im
Abgeordnetenhaus vor Silvio Berlusconi, obwohl er viel langweiliger ist.
Oder gerade deshalb?
Streit der Woche: „Ihr Deutsche redet Italien schlecht“
Italien erlebe eine Zeit des Umbruchs, wird aber nicht zerbrechen, sagt der
Satiriker Dario Fo. Ein italienischer Politologe widerspricht.
Italiens Wirtschaft: Bange Blicke nach Rom
Die Wirtschaft in Italien stagnierte im vergangenen Jahrzehnt. Bei den
Wahlen entscheiden die Menschen über den ökonomischen Kurs. Europa fiebert
mit.
Korruption in Italien: Tiefflug in Indien
51 Millionen Euro „Provisionsgebühr“ waren dann doch zu viel. Der Chef des
größten Technologiekonzerns Italiens sitzt nun wegen Bestechung im Knast.
Italien vor der Wahl: Komplex und voller Überraschungen
„Verhältniswahl mit Mehrheitsbonus“ heißt das italienische Wahlsystem. Es
könnte Berlusconi eine Sperrminorität im Senat verschaffen.
Wahlen in Italien: Westerwelle warnt vor Berlusconi
Umfragen zeigen Silvio Berlusconi vor der Wahl in Italien im Aufwind. Das
passt der deutschen Regierung gar nicht. Sie fürchtet um die
Zukunftsfähigkeit des Partners.
Wahlkampf in Italien: Wenn ein Komiker den Nerv trifft
Beppe Grillo mischt die etablierte Politik auf. Seine populistischen
Parolen stechen. Die Italiener könnten seine Bewegung bei der Wahl auf 20
Prozent hieven.
Wahlkampf in Italien: Schrille Töne
Nach Parlamentsauflösung: Fünf mögliche Koalitionen, zahlreiche Parteien
und Silvio Berlusconi. Italien steht eine Schlammschlacht bevor.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.