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# taz.de -- Protest: „Der Oranienplatz ist unser Kampfplatz“
> Napuli Langa vom Kreuzberger Flüchtlingscamp spricht über die Probleme,
> Forderungen und Hoffnungen ihrer Gruppe.
Bild: Das Flüchtlingscamp Anfang Januar.
taz: Frau Langa, Sie sind seit Oktober im Flüchtlings-Protestcamp auf dem
Oranienplatz, bei Regen, Schnee und Minusgraden. Wie halten Sie das aus?
Napuli Langa: Wir haben es uns ausgesucht, hier zu sein. Ja, es ist kalt,
es regnet in die Zelte, wir können oft tagelang nicht duschen. Aber all das
ist besser, als in einem Gefängnis zu sein. Hier sind wir frei, können
kommen und gehen, Freunde treffen.
Im Dezember haben einige von Ihnen die alte Gerhart-Hauptmann-Schule an der
Ohlauer Straße besetzt. Warum verbringen Sie nicht dort den Winter?
Die Schule ist der Ort, wo wir unsere Kräfte auftanken, dort sind die
Kinder und die Kranken. Unser politisches Zentrum aber ist hier. Hier
können wir unser Anliegen in die Öffentlichkeit bringen. Der Oranienplatz
ist unser Kampfplatz, hier ist unsere Küche und unser Plenum. Ich bin fast
immer hier, ein Zelt trägt sogar meinen Namen. Fragen Sie nach dem
Napuli-Zelt – jeder hier wird es Ihnen zeigen. (lacht)
Der Bezirk duldet die Schulbesetzung bis Ende März. Werden Sie dann
freiwillig gehen?
Wir haben ja gesagt, wir brauchen die Schule nur für den Winter. Wenn die
Kälte vorbei ist, geben wir das Haus sofort wieder zurück. Wir sind keine
Besetzer, das ist nicht unsere Sache. Wir wollten nur zeigen: Es gibt hier
Menschen, die einen warmen Platz brauchen. Und dafür haben wir gesorgt.
Wie lange wird es das Camp am Oranienplatz noch geben?
Das entscheiden nicht wir. Wir haben drei Forderungen und werden so lange
bleiben, bis diese erfüllt sind: Abschaffung der Residenzpflicht,
Abschaffung der Flüchtlingslager, Abschaffung von Abschiebungen.
Das sind ziemlich große Forderungen. Wäre es nicht besser, sie etwas
herunterzuschrauben, um zumindest einen Teilerfolg zu erreichen?
Ja, das sind große Forderungen. Aber ich glaube, dass nichts unmöglich ist
in dieser Welt. Ich glaube an Gott – Gott ist allmächtig. Aber wir reden
von Gesetzen, die Menschen gemacht haben.
Abschiebungen sind seit Jahrzehnten Bestandteil deutscher
Flüchtlingspolitik.
Selbst das muss nicht für immer so sein. Und schauen Sie: In Hessen wurde
die Residenzpflicht gerade abgeschafft, in Baden-Württemberg wird darüber
diskutiert, in Niedersachsen auch. Das alles ist vor unserem Protest nicht
passiert.
Wann werden Sie Ihren Zielen näherkommen?
Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass jetzt der Zeitpunkt ist, an dem
sich etwas ändert. Wir haben ja auch schon einiges erreicht: Wir haben die
Pflicht gebrochen, in unseren Lagern zu sein. Und wir haben, um hierher zu
kommen, auch die Residenzpflicht gebrochen.
Die besagt, dass Sie als AsylbewerberIn den Landkreis oder das Bundesland
Ihres Flüchtlingsheims nicht verlassen dürfen.
Ja. Diese beiden Sachen hat uns niemand gewährt, wir haben sie uns
erkämpft. Und wir werden hier bleiben, bis auch die anderen Ziele erreicht
sind. Und wenn es Jahre dauert – dann machen wir das Camp eben zu unserem
Zuhause und zum Zentrum des Flüchtlingswiderstands.
Gerade scheint der Gesprächsfaden zur Politik abgerissen. Wie werden Sie
ihn wieder aufnehmen?
Wir werden nicht betteln. Es ist die Regierung, die für Menschenrechte
verantwortlich ist. Sie hat diese unterzeichnet und muss sie einlösen. Wenn
sie schweigt, macht sie sich schuldig. Das ist ja das Verrückte: Sie nennen
uns Illegale, aber sie sind es, die uns unsere Rechte nehmen, uns in
Gefängnisse stecken. Durch unseren Protest kommt das jetzt an die
Öffentlichkeit. Und davor haben sie Angst.
Mitstreiter von Ihnen erkämpften mit einem Hungerstreik Ende November ein
Gespräch im Bundestag. Sie und drei andere sprachen vor dem Innenausschuss.
Was war Ihr Eindruck?
Die Politiker erschienen mir unsicher. Sie haben sich widersprochen und
ihre Verantwortung immer auf irgendein Gesetz geschoben, das sie nicht
beeinflussen könnten. Sie wollten von mir wissen, was meine persönlichen
Probleme seien, welche Papiere ich brauche, damit ich nach Hause gehe. Aber
das wollte ich gar nicht! Ich war nicht für mich dort, sondern für uns
alle.
Am Ende sind Sie mit leeren Händen nach Hause gegangen: Der
Ausschussvorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) sagte, er lehne Ihre
Forderungen ab.
Ich kenne Politiker, mein Vater war einer. Vielleicht sagen sie, dass das
Thema beendet ist. Aber innerlich sieht es anders aus. Die Politiker
wissen: Wenn sie uns ignorieren, werden wir unsere Probleme sichtbar
machen, europaweit. Inzwischen gehen ja auch in Italien, Österreich oder
Frankreich Flüchtlinge auf die Straße.
Wie, außer mit dem Camp, wollen Sie Ihre Ziele erreichen?
Wir werden uns bemerkbar machen, keine Sorge. Wir sind nicht auf dem Platz,
um zu schlafen.
Wird ein erneuter Hungerstreik diskutiert?
Das ist ein Weg, es gibt aber auch viele andere. Glauben Sie mir: Wir
meinen es sehr ernst. Wenn die Regierung will, dass wir unser Leben für
unsere Forderungen aufs Spiel setzen, dann werden wir auch das tun.
Ich hoffe nicht, dass Sie so weit gehen.
Ich will das auch nicht. Aber es ist nicht unsere Wahl.
Sie sind im letzten Sommer aus dem Sudan nach Deutschland geflohen und
haben sich bereits im September dem Asylprotest angeschlossen. Wie kam das?
Ich war in Braunschweig im Lager und eines Tages stand ein Bus mit Menschen
davor, die sagten, sie seien Flüchtlinge und kämpften für ihre Rechte. Als
sie von ihren Forderungen erzählten, habe ich gesagt: Genau das fühle ich
auch! Ich habe meine Sachen gepackt und bin am nächsten Tag in den Bus
gestiegen. Andere im Lager meinten, ich spinne: Ich wisse doch gar nicht,
was das für Folgen hat. Aber das war mir egal. Ich habe gesehen, wie Leute
im Lager verrückt geworden sind, anderswo haben sich welche aufgehängt. So
will ich nicht enden.
Hatten Sie Probleme mit den Behörden, weil Sie Ihr Flüchtlingsheim
verlassen haben?
Bisher nicht. Im Januar war ich in München, um eine Flüchtlingskonferenz
vorzubereiten. Danach war ich in Würzburg auf einer Demonstration für
Mohammed, einen iranischen Flüchtling, der sich dort im letzten Jahr
umgebracht hat – der Auftakt unserer Protestbewegung. Ich bin hingefahren,
einfach so. Wenn sie mich kontrollieren wollen, sollen sie es tun. Ich habe
keine Angst.
Und die anderen im Camp?
Es kommen ständig Briefe wegen Verstößen gegen die Residenzpflicht. Bisher
haben wir das einfach ignoriert. Und die Residenzpflicht ist ja auch nur
eine Auflage, kein Gesetz. Sollen sie uns Hunderte Briefe schreiben, egal!
Einigen von Ihnen droht aber auch die Abschiebung. Wie gehen Sie damit um?
Das betrifft rund zehn Leute. Wir versuchen, sie zu schützen. Zwei wurden
schon abgeschoben, die Polizei hat sie in Kreuzberg mitgenommen. Zu einem
haben wir Kontakt, er will zurückkommen. Viele übersehen, dass wir nicht
aus Spaß herkommen, sondern weil wir vertrieben wurden. Und das oft, weil
die europäischen Länder bei uns Krieg führen oder unsere Konflikte mit
ihren Waffen aufrüsten.
Sie klingen so tough. Woher nehmen Sie die Kraft?
Wie gesagt, ich bin die Tochter eines Politikers, eines strengen Mannes,
und aufgewachsen in einem Umfeld von NGOs, in dem es immer um
Menschenrechte und Gewaltfreiheit ging. Mich hat Gandhi immer beeindruckt.
Der hat gesagt: Sei der Wandel, den du in der Welt sehen willst. Ich bin
überzeugt: Wenn du an etwas glaubst, wirst du auch etwas verändern. Und als
ich auf den Protest hier stieß, habe ich gespürt: Das ist meine Aufgabe.
Hat Sie der Protest verändert?
Ja, ich bin viel kommunikativer geworden. Auf der Bustour sollte ich einmal
plötzlich eine Rede halten. Ich meinte, ich kann das nicht. Sie haben mich
überredet, ich habe gesprochen und Leute haben geweint. Seitdem habe ich
oft Reden gehalten. Ich bin allein aus dem Sudan gekommen, und jetzt habe
ich Hunderte Freunde, die ich alle sonst nicht kennengelernt hätte!
Im Camp leben Flüchtlinge aus den verschiedensten Ländern, unter harten
Bedingungen. Schafft das nicht Konflikte?
Unser Problem ist vor allem die Sprache. Manche sprechen Arabisch, andere
Farsi oder Französisch. Manchmal versteht man nur die Hälfte und das führt
natürlich zu Missverständnissen. Du musst alles immer wiederholen und
übersetzen. Dadurch kann ein Plenum schon mal drei, vier Stunden dauern.
Im Dezember gab es eine Messerstecherei in der Schule. Wie hat sich das
ausgewirkt?
Wir vertrauen uns weiter. Das war ein Einzelfall, ein sehr bedauerlicher.
Es zeigt aber auch, wie krank manche von uns sind, wie sehr die Flucht und
die Situation hier sie traumatisiert hat.
Im Camp sind auch Unterstützer aus Berlin. Sind Sie mit denen immer einer
Meinung?
Die Entscheidungen treffen wir Flüchtlinge. Die Unterstützer reden mit der
Polizei, sie helfen bei der Suche nach Ansprechpartnern oder Sachen fürs
Camp. Ich rede gar nicht von Unterstützern – sie gehören zu uns, sind
unsere Brüder und Schwestern.
Sehen Sie Ihre Zukunft in Deutschland?
Heimat ist immer da, wo man sie fühlt. Und ja, ich fühle meinen Platz
gerade hier. Ich habe nicht mal was gegen die Regierenden, sondern gegen
das System. Wir sollten alle zusammen daran arbeiten, es besser zu machen.
Und ich habe hier so tolle Menschen kennengelernt, auch hier in der
Nachbarschaft! Die Leute bringen Spenden und Lebensmittel, laden uns nach
Hause ein. Wie sagt man? Wenn du die Menschen liebst, liebst du den Ort.
19 Feb 2013
## AUTOREN
Konrad Litschko
Konrad Litschko
## TAGS
Flüchtlingscamp Oranienplatz
Schwerpunkt Afghanistan
Abschiebung
Flüchtlingslager
Demonstrationen
Flüchtlinge
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