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# taz.de -- Joseph Ratzingers Erbe: Schluss mit heilig
> Papst Benedikt XVI. hat in seiner Amtszeit vieles falsch gemacht. Mit
> seinem Rücktritt aber zeigt er der katholischen Kirche einen Weg ins 21.
> Jahrhundert.
Bild: Tschüüüüüüüüüüüüüss!
Der letzte Arbeitstag für den Stellvertreter Christi ist klar geregelt:
Morgens um sieben Uhr feiert Papst Benedikt XVI. heute die Messe mit seinen
engsten Vertrauten. Um elf Uhr verabschiedet er sich im Audienzsaal von
seinen Kardinälen. Am Nachmittag fliegt ihn ein weißer Helikopter auf den
Sommersitz der Päpste nach Castel Gandolfo.
Danach ist nichts mehr klar. Es beginnt ein neues Kapitel in der
2.000-jährigen Geschichte der katholischen Kirche.
Joseph Kardinal Ratzinger alias Benedikt XVI. lässt eine traumatisierte
Gemeinde hinter sich. 1,2 Milliarden Gläubige, hunderttausende von
Priestern und Ordensfrauen und 116 Kardinal-Wahlmänner fragen sich, wer und
was jetzt kommt. Als hätte die Kirche nicht schon genug Probleme mit
verkalkten Strukturen, Machtspielen, Missbrauchsskandalen, dem Verlust von
Ansehen und Mitgliedern in den westlichen Ländern und der Konkurrenz von
Islam und Freikirchen, zieht jetzt auch noch der erste Rücktritt eines
Papstes seit 700 Jahren den Gläubigen den Boden unter den Füßen weg.
Vor allem den Vertretern der römischen Amtskirche, stets an ein enges und
jahrhundertealtes Korsett aus Vorschriften, Verboten und Dogmen gewöhnt,
fehlen plötzlich eine Richtschnur, eine Tradition, eine Anweisung. So etwas
fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser. Aber es ist die größte Chance
auf Veränderungen in der römisch-katholischen Kirche seit Ende des Zweiten
Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren.
## Papst ist nun ein Amt
Denn wenn ein Papst zurücktreten kann, sind noch ganz andere Dinge denkbar.
Wer sein Amt aufgibt, das er laut offizieller Lehre vom Heiligen Geist
zugewiesen bekommen hat, der ist vielleicht doch nicht unfehlbar in
Glaubensfragen. Der kann vielleicht Zweifel zulassen, dass alles und jedes
in einer Weltkirche aus Rom gelenkt werden muss. Und der könnte sogar
darüber nachdenken, ob seine Kirche wirklich die einzige wahre und im
Besitz der absoluten Wahrheit ist.
Wichtig ist nicht, wen die Kardinäle wählen, sondern dass sie in einer
Situation wählen, die historisch praktisch einmalig ist. Der freiwillige
Rückzug von Benedikt XVI. ist das Ende des Papsttums, wie wir es kennen.
Jetzt ist Papst ein Amt, kein Hochamt mehr. Der „Heilige Vater“ hat
ausgedient. Der Begriff grenzt ohnehin aus katholischer Sicht an
Gotteslästerung: Heilig ist nur, wer nach seinem Tod in einem komplizierten
Verfahren dazu gemacht wird. In Zukunft wird der Papst nur noch Vater sein,
„Il Papa“. Und unter den Papas dieser Welt gibt es bekanntlich gute und
schlechte. Ein schlechter muss also in Zukunft möglicherweise damit
rechnen, dass man ihm den Rücktritt nahelegt.
Und nicht nur ihm: Wenn es der oberste Chef konnte, warum soll sich dann
ein unfähiger Priester, Abt oder Bischof von seinen Gläubigen nicht anhören
müssen: „Mach den Benedetto!“ Und warum sollen katholische Eheleute weiter
glauben, auch eine zerrüttete Beziehung sei zu ertragen, „bis dass der Tod
euch scheidet“, wenn sich auch der Papst in seiner Beziehung zu Gott nicht
daran gehalten hat?
Rücktrittsforderungen werden in der Kirche kommen, ist sich Thomas
Großbölting, Professor für Theologie und Geschichte an der Universität
Münster, sicher. Für ihn bröckelt mit dem Rücktritt die „Sakralisierung d…
Papstamtes“, die beim Ersten Vatikanischen Konzil 1869/70 zementiert wurde.
Damals reagierte die katholische Kirche auf die Moderne und den Verlust
ihrer Basis mit einem rigiden Zentralismus und Papstkult, der in den
Jahrhunderten des Mittelalters undenkbar gewesen wäre.
Benedikts Rücktritt ist für Großbölting, der im „Exzellenzcluster Religion
und Politik“ an der Uni Münster forscht, ein „ungeheuerlicher Bruch mit dem
Amtsverständnis“ der vergangenen 200 Jahre. Das habe Folgen für die
Zukunft: „Der Katholizismus kann nicht mehr von der Sakralisierung seiner
Organisation und seiner Spitze zehren. Die bedingungslose Verehrung des
Papstes, von der sich auch eine besondere Stellung der Bischöfe und des
Klerus ableiten ließe, gehört der Vergangenheit an.“ Mit der Schwächung der
Zentrale geht aber eine Stärkung der Ränder einher: in den
Ordensgemeinschaften und an der Peripherie wie in Südamerika oder Afrika.
„Reformen kommen in der Regel nicht aus Rom“, sagt Großbölting, „sondern
von den Rändern der Kirche.“
Doch gerade die Querdenker wurden in den Jahren der Restauration unter
Benedikt und seinem Vorgänger Johannes Paul II. gegängelt und mundtot
gemacht. Auch die Ordensgemeinschaften sind nicht mehr so widerständig wie
früher. Das kritische Potenzial in der katholischen Kirche ist
ausgetrocknet. Umso schwerer wiegt die Erschütterung durch die
Selbstpensionierung des konservativen Benedikt. In scharfem Kontrast zu
seinem Amtsvorgänger und engem Vertrauten Johannes Paul II. demonstriert er
nicht öffentlich seine Hinfälligkeit und sein Sterben. Er tritt zurück,
weil seine körperlichen Kräfte nachgelassen haben, auch weil er durch
„Vatileaks“ und andere Affären menschlich tief enttäuscht ist, wie
Beobachter berichten. Und sicher auch, weil er gemerkt hat, dass er gegen
die Intrigen der vatikanischen Machtmaschine, der „Kurie“ mit ihrem
Verwaltungsapparat der Kirche, keine Chance mehr hatte.
## Schwäche und Verantwortung
Gerade dieser Papst, der wie kaum ein anderer als jahrelanger Chef der
Glaubenskongregation gnadenlos theologische Disziplin eingefordert hatte,
schmeißt seinen Job hin. Gerade der Papst, dem westlicher Individualismus
und „Relativismus“ ein Gräuel waren, stellt seine eigenen Interessen an
einem ruhigen Lebensabend über die der Kirche nach sicherer Führung.
Oder doch nicht? Ist die Einsicht in die eigene Schwäche nicht auch ein
Beweis für sein Verantwortungsbewusstsein gegenüber der „Mutter Kirche“?
Ist sein Überraschungscoup eine letzte Attacke gegen die übermächtige
Vatikanverwaltung? Sollte gerade Joseph Ratzinger, ein überaus
scharfsinniger Kenner der Kirche mit Jahrzehnten von Erfahrung im römischen
Ränkespiel, nicht sehen, dass es in der römischen Kirche einige Lawinen
lostreten kann, wenn sich das Oberhaupt der Katholiken die Freiheit eines
Christenmenschen nimmt und geht?
Die Kirche steckt in einem Dilemma: Sie braucht Reformen, hat aber ihre
Reformer verteufelt. Und selbst in einem Macht- und Ideenvakuum, wie es
derzeit in Rom herrscht, sind Hoffnungsträger kaum zu sehen – vor allem
nicht im Konklave. Derzeit bauen Liberale aus aller Welt eine
Erwartungshaltung auf, die mit Sicherheit enttäuscht wird. Woher bitte soll
denn ein Reformer kommen, wenn alle Kardinäle von Ratzinger oder seinem
Vorgänger berufen wurden?
Wie soll jemand die Kirche umkrempeln, wenn die Kurie gut aufpasst, dass
der Neue nicht aus dem Ruder läuft? Dazu kommt: Welche „Reformen“ nötig
sind und was die Kirche braucht, ist je nach Herkunft und Interesse des
neuen Papstes sehr verschieden: Eine Stärkung gegen die Konkurrenz aus den
evangelikalen Freikirchen? Gegen den Islam? Dialog mit Nichtgläubigen? Der
Einsatz für eine gerechte Wirtschaftsordnung oder zum Schutz der Schöpfung?
Sicherlich werden dem Neuen im Petersdom die Themen Zölibat, Frauen am
Altar oder wiederverheiratete Geschiedene nicht als zentral erscheinen, nur
weil sie den Deutschen mit gerade zwei Prozent der Katholiken weltweit so
wichtig sind.
## Irrglaube an das Führerprinzip
Aus der Hoffnung auf den „guten Papst“, der die Probleme löst, spricht der
Irrglaube an das Führerprinzip. Das aber hat in einer Gemeinschaft nichts
verloren, die sich auf die Lehre der bedingungslosen Liebe beruft, die ein
antiautoritärer Wanderrabbi vor 2.000 Jahren in Palästina verkündet hat.
Wer seinen eigenen Kopf an der Kirchentür abgibt, der betet brav das nach,
was ihm die hohen Herren seit Jahrhunderten vorhalten: „Die Kirche ist
keine Demokratie!“
Nichts hält die Schäfchen besser ruhig als der Glauben daran, dass sie
ohnmächtig sind. Dabei gründete der Erfolg des „Kirchenvolksbegehrens“ vor
einigen Jahren nicht zuletzt auf dem Slogan: „Wir sind das „Kirchen-)Volk�…
Doch auch das ist wieder die Sichtweise aus dem säkularen Europa. In Asien,
Afrika und Südamerika ist liberales Gedankengut oft sogar ein
Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz.
Die Kirche steht vor der Herausforderung aller Global Player: Wie ist man
auf allen Märkten unter völlig verschiedenen Bedingungen erfolgreich, ohne
sein Produkt zu verraten? So zerrissen die Welt ist, so zerrissen ist auch
die Kirche. Das einzugestehen und Abweichler nicht mit harter Hand und dem
theologischen Bannstrahl aus Rom auf Linie zu bringen, wäre schon ein
unglaublicher Fortschritt für eine Kirche, die sich auf Denkmuster und
Strukturen des Römischen Reichs gründet.
Joseph Ratzinger steht der modernen Welt kritisch gegenüber und preist die
Traditionen und Traditionalisten. Trotzdem räumt gerade dieser
Cäsarenpapst, der mit unumschränkter Gewalt seinen Kirchenstaat regierte,
mit der Idee vom Übermenschen am Altar auf. Papst Benedikt XVI. ist in
vielem gescheitert: Er war ein Mann des Apparats, dem die Kurie auf der
Nase herumtanzte. Er war ein Mann des Worts, dem die Worte oft
ausrutschten.
Aber er wird durch seinen schwachen, starken Abgang vielleicht als einer
der großen Reformer der katholischen Kirche in die Geschichte eingehen.
Sein Vermächtnis umfasst kluge Bücher und engstirnige Dekrete. Aber gewollt
oder ungewollt hat er seiner Kirche einen Weg ins 21. Jahrhundert gezeigt.
Dem Papst, diesem geschlechtslosen Weltgewissen in Weiß, ergeht es wie dem
Christuskind zu Weihnachten: Er wird Mensch.
27 Feb 2013
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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Verschwörung
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