# taz.de -- Kolumne Blicke: Schön nah und schön bunt | |
> In Vorpommern geht was. Gegen Nazis. Aber vor allem für ausgesprochen | |
> gute Laune. Da verliert sogar ein Plenum seinen Schrecken. | |
Bild: Und schöne Röhren gibt es auch: Ausgegrabener Tunnel in Pasewalk. | |
Pasewalk ist näher an Berlin als gedacht: Man steigt kurz nach 16.00 Uhr | |
vor der Haustür in die U 8, fährt zum Gesundbrunnen, wechselt in den | |
Regionalexpress, und um 18.17 Uhr ist man schon da. In Vorpommern. | |
Pasewalk gehört zu den Städten, in denen man im Dunkeln am Bahnhof stehend | |
nicht unbedingt weiß, wo sich das Zentrum befinden könnte. Man läuft also | |
einfach los, es ist kalt und auf den Straßen sind nur Menschen mit ihren | |
Hunden unterwegs. Ein Halbwüchsiger mit freundlichem Wauwau nimmt auch brav | |
seine Kopfhörer raus. Marienkirche? Er blickt mich verständnislos an. | |
Heilige Maria – heißt es vielleicht Josephskirche? Aber nein. Der junge | |
Mann kann einfach nicht glauben, dass jemand nicht weiß, wie man zur | |
Marienkirche gelangen könnte. Und so wiederholt er verblüfft „Na eben | |
geradeaus, geradeaus!“ | |
In St. Marien haben sich knapp hundert Leute versammelt. Sie gehören zum | |
Bündnis „[1][Vorpommern – weltoffen, demokratisch, bunt]“, dem es im | |
letzten Jahr gelungen ist, 2.000 Leute gegen das alljährliche Pressefest | |
der NPD auf die Straße zu bringen, zu Protest und Party. Und die es dabei | |
überhaupt nicht bewenden lassen wollen. | |
Was diesen Freitagabend – nachdem die Veranstalter zu Beginn die | |
ortsüblichen Restnazis von hilfsbereiten Ordnungskräften hatten | |
hinausbegleiten lassen – zu einem unvergesslichen Erlebnis machte, war aber | |
dann nicht der Zulauf von Menschen, die lange Autofahrten im nicht enden | |
wollenden Winter 2013 auf sich nehmen, um sich zu engagieren; es war auch | |
nicht das Thema des Engagements selbst, denn niemand braucht Berliner | |
Journalisten, die Leute auf dem flachen Land dafür loben, dass sie den | |
Nazis nicht die Straßen und Köpfe ihrer Wohnorte überlassen wollen. | |
Nein, was mich beeindruckte, war die Freundlichkeit, die Gelassenheit und | |
die rhetorische Disziplin, mit denen hier fast ein ganzes Jahr an | |
antifaschistischen Aktivitäten in knapp zwei Stunden durchgeplant wurde; | |
die Fähigkeit von Menschen aus einem Spektrum von der CDU bis zur Antifa, | |
sich auseinanderzusetzen, ohne das Anliegen aus den Augen zu verlieren | |
(oder sich wechselseitig in Grundsatzdebatten), wegen dem man sich in einer | |
mäßig warmen Kirche traf, anstatt andere schöne Dinge zu tun. | |
Dieses Treffen war so gut, dass ich mein durch einen zehnjährigen | |
Aufenthalt in der freien Theaterszene manifestes Plenums-Trauma als | |
überwunden betrachten darf. Es geschah in Vorpommern. | |
Am nächsten Tag, bei den „1. Pasewalkern Gesprächen zur Demokratischen | |
Kultur“, die das Aktionsbündnis organisiert hatte, waren nicht alle | |
Beiträge auf diesem Niveau. Machte aber nichts. Es gab nette, interessante | |
Menschen und gutes Essen, es wurde gelacht und auch ein bisschen gestritten | |
und für eine Stadt in Grenznähe arg wenig polnisch gesprochen. | |
Trotzdem weiß ich seit Samstag, dass es 80 Kilometer von Berlin eine Stadt | |
namens [2][Slubfurt] gibt und eine Region „[3][Nowa America]“. Beide lohnen | |
den Besuch – geht auch im Netz. Und was Pasewalk angeht: Man kommt auch | |
schnell wieder nach Berlin zurück. Will man dann aber gar nicht. | |
28 Feb 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.vorpommern-weltoffen-demokratisch-bunt.eu/wp/ | |
[2] http://www.slubfurt.net/indexx.html | |
[3] http://www.nowamerika.net/ | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
Ambros Waibel | |
## TAGS | |
Nazis | |
Polen | |
Blockupy | |
Eurokrise | |
Verlagswesen | |
Schwerpunkt Christian Semler | |
Sexismusdebatte | |
Ambros Waibel | |
Silvester | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Mittelalter: Arroganz für Fortgeschrittene | |
Wie wir uns fremden Welten nähern, sagt einiges über uns aus. Ob es nun um | |
Kinderlose geht oder um das Erlernen der polnischen Sprache. | |
Kolumne Blicke: Rauchen gegen eine schlechte Welt | |
In Frankfurt sprühen Polizisten Pfefferspray auf alte Damen, die CSU hasst | |
mal wieder die Demokratie. Da kommt ein Zigarettchen gerade recht. | |
Kolumne Blicke: Meine Vision für 2014 | |
So macht die Zukunft Spaß: Ein heiterer Ausblick auf das | |
Weltkriegsjubiläumsjahr. Mit Musik am Ende und am Anfang. | |
Kolumne Blicke: Der Preis des Schreibens | |
Die deutsche Literatur ist üppig subventioniert. Wer was vom Kuchen abhaben | |
will, zahlt mit Erniedrigung. Aber es geht auch anders. | |
Kolumne Blicke: Historische Leerstellen | |
Wenn ein US-Historiker Albert Speer einen „fähigen Manager“ nennt, dann | |
schweigen die deutschen Rezensenten. Vor Freude? | |
Kolumne Blicke: Reden und foltern | |
Alle reden über Herrenwitze: Jetzt ist der Moment, die Kampfzone | |
auszuweiten – auf diese überzeugten Amokquatscher. | |
Kolumne Blicke: Vergewaltigung unter ferner liefen | |
Warum gibt es keinen gesellschaftspolitischen Masterplan gegen sexuelle | |
Gewalt? So wie für die Energiewende oder für mehr Frauen in | |
Führungspositionen. | |
Kolumne Blicke: Auf einer Bank an Gleis 1 | |
Auch 2013 und gerade auf einem Neue-Bundesländer-Bahnhof gilt: unabhängig | |
bleiben! | |
Protest gegen NPD-„Pressefest“ in Pasewalk: Ein Ruck in Vorpommern | |
In Pasewalk bröckelt der Mythos der „national befreiten Zone“. Gegen das | |
„Pressefest“ des NPD-Parteiorgans „Deutsche Stimme“ gibt es ein breites | |
Bündnis. | |
Kommentar Verfassungsschutz: Geh ma Akten schreddern | |
In Pasewalk haben viele Bürger begriffen, dass man den Rechten keine | |
Plattform geben darf. In den Stuben der Verfassungsschutzämter wird lieber | |
geschreddert. | |
Keine Rechten in Pasewalk?: „Wir wollen das hier nicht“ | |
Die NPD-Nazis wollten in aller Ruhe ihr Pressefest in Pasewalk feiern. | |
Warum daraus nichts wird, erklärt Bürgermeister Rainer Dambach. |