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# taz.de -- Kolumne Blicke: Vergewaltigung unter ferner liefen
> Warum gibt es keinen gesellschaftspolitischen Masterplan gegen sexuelle
> Gewalt? So wie für die Energiewende oder für mehr Frauen in
> Führungspositionen.
Bild: Manifestation der Selbstbestimmung: Slutwalk in London
„Ich bin nicht schwul: Schwule sind Leute, die sich seit Jahrzehnten
erniedrigen lassen und kein einziges Antidiskriminierungsgesetz
durchgebracht haben.“
Ob ich diesen Satz aus dem Theaterstück „Angels in America“ aus der
Erinnerung richtig zitiere? Eher nicht. Ich könnte jetzt natürlich
nachsehen. Aber das Interessante, hat ja Heiner Müller immer gesagt, sind
die Fehler – oder so ähnlich.
Mitte der Neunziger sah ich mich jedenfalls als Schauspieler und sollte in
einer semiprofessionellen Inszenierung des Stücks von Tony Kushner
mitmachen. In „Angels in America“ geht es um die Reagan-Ära und die Anfän…
von Aids, ich wurde für die Rolle eines Managers oder Anwalts angefragt,
der sich das HI-Virus geholt hatte, beim schnellen Sex in Klappen (das,
liebe Netz-Kinder, waren … ach, egal). Im Verlauf des Stücks wird mein High
Potential dann aufgefordert, sich zu outen – und gibt stattdessen den
wohlgesinnten Aktivisten oben Gesagtes mit auf ihren langen Marsch.
Und jetzt zitieren wir mal wörtlich, und zwar die Berliner Morgenpost:
„Sabine K. (Name geändert) kam von einem Freund. Sie war angetrunken,
aufgekratzt und zunächst offenbar auch bereit, sich mit einer Gruppe junger
Männer zu unterhalten. Dieses Zusammentreffen gab es in der Nacht des 3.
Juni 2011. Den Polizei-Ermittlungen zufolge wurde die 20-Jährige wenig
später von den drei jungen Männern mehrfach vergewaltigt.“
Weil Sabine K. unter dem Einfluss von Drogen oder K.-o.-Tropfen stand,
wurden die Angeklagten aber nicht wegen Vergewaltigung, sondern wegen
„Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person“ zu Bewährungsstrafen
zwischen 11 und 13 Monaten und einer Zahlung von je 500 Euro Schmerzensgeld
an ihr Opfer verurteilt. Nach Jugendstrafrecht. Tatort war ein Spielplatz
in der Nähe der Berliner U-Bahn-Station Hermannstraße, aber da wir ja aus
berufenem Munde wissen, dass Neukölln überall ist, soll uns das nicht
weiter beschäftigen.
## Die Unsitte, Ratschläge zu erteilen
Wenn ich etwas abgeschmackt finde, dann die Unsitte, Leuten, die sich für
die eigenen Rechte oder die anderer engagieren, Ratschläge zu erteilen,
wofür oder wogegen es sich mehr lohnen würde, zu kämpfen. Anders gesagt:
Ich weiß es nicht besser.
Aber wenn ich an meine Rolle aus „Angels in America“ denke, dann frage ich
mich schon, warum es keinen gesellschaftlich-politischen Masterplan gibt –
wie für die Energiewende oder für mehr Frauen in Führungspositionen –, der
detailliert ausführt und einfordert, wie es erreicht werden könnte, dass,
sagen wir, 2020 Vergewaltigungen in Deutschland der Vergangenheit
angehören; oder wenigsten die Zahl von Vergewaltigungen um 30 Prozent
zurückgegangen ist; oder in dem von mir aus die Todesstrafe für
Vergewaltiger gefordert wird; oder warum es kein Theaterstück gibt, in dem
eine Frau sagt: „Ich bin keine Frau: Frauen sind Leute, die sich seit
Jahrtausenden vergewaltigen lassen und nichts daran ändern.“
Bei „Angels in America“ habe ich dann doch nicht mitgemacht. Das lag nicht
am Stück. Es lag an mangelnder Leidenschaft – bei allen Beteiligten.
17 Jan 2013
## AUTOREN
Ambros Waibel
Ambros Waibel
## TAGS
Ambros Waibel
Blicke
taz.gazete
Vergewaltigung
Sexuelle Gewalt
Nazis
Schwerpunkt Christian Semler
Sexismusdebatte
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