| # taz.de -- Kolumne Blicke: Reden und foltern | |
| > Alle reden über Herrenwitze: Jetzt ist der Moment, die Kampfzone | |
| > auszuweiten – auf diese überzeugten Amokquatscher. | |
| Bild: Laber Rhabarber: Fast so schlimm wie Sexismus | |
| Der Boden glänzt, kraftvolle Diskursreiniger haben das verbale | |
| Brüderle-Smegma weggeätzt, die Debatte hat auch tiefe Verkrustungen gelöst. | |
| Aber ist nach der siegreichen Schlacht unter dem Himmelreich-Kommando auch | |
| der Krieg gewonnen? Natürlich nicht. | |
| In der Kampfpause wollen wir den Blick etwas weiten. Denn wenn Laura | |
| Himmelreich und, na gut, der Stern, diese Republik verändert haben – und | |
| verdammt, das haben sie –, dann blicken wir doch auch mal 3.000 Zeichen | |
| lang auf diejenigen, die uns eben nicht nur mit ihrem Sexismus nerven, | |
| sondern mit ihrer tiefen Überzeugung, so oft, so lang und so bescheuert | |
| reden zu können wie sie wollen. | |
| Auf die Abteilungsleiter also, die Professoren, die Alt-68er und die | |
| Alt-Punks, die Projektleiter, Präsentationsspezialisten und Dozenten, die | |
| Fußballtrainer und Skatbrüder, die Lehrer, Journalisten und cordbehosten | |
| Totalitarismusexperten, die alten Nazis, das mittlere Management und die | |
| jungen Vollidioten. | |
| Schauen wir auf all jene, die uns Untergebenen den fauligen Atem ihrer | |
| nicht enden wollenden Ansprachen entgegenpesten, mit einer wohl nur von | |
| Sarrazin zu erklärenden Verve und Ausdauer. | |
| ## Es hört nie auf | |
| Es beginnt in der Grundschule, wenn die Tante an der Tafel einfach kein | |
| Ende findet, während draußen die Sonne scheint und drinnen kleine Kinder | |
| sitzen, die eigentlich hier angetreten waren, weil sie etwas lernen | |
| wollten, aber nun zum ersten Mal in ihrem jungen Leben den dunklen Sog der | |
| Geschwätzigkeit an sich zerren fühlen. | |
| Und es geht weiter in höherer und hoher Schule, in den dumpfen | |
| Sprechstundenräumen des Lehrpersonals, bei den Terminen, auf die man | |
| stundenlang gewartet hat, um dann mit keiner einzigen Frage konfrontiert zu | |
| werden, sondern mit einem unerschütterbaren Sermon des Wissenden, der jeder | |
| noch so zarten gedanklichen Versuchung widersteht, sein Gegenüber könne | |
| vielleicht doch auch ein vollwertiger Mensch sein mit eigenem Wert und | |
| originellen Ansichten. | |
| Doch zum Glück lässt man ja jene Wesen, die sich selbst gar nicht genug von | |
| Dialektik reden hören können, aber nie den Lichtstrahl der zweiten Meinung | |
| in die dunklen Kammern ihres Selbst lassen – also: irgendwann verlässt man | |
| die Uni. | |
| ## Foltereffekte im Einsatz | |
| War man so klug, in einen nichtakademischen Beruf zu wechseln, kann es | |
| sein, dass man den Monologisten von nun an entkommt: Beim Malern oder | |
| Kochen geht es eher wortkarg zu. Will man aber zur gesellschaftlichen Elite | |
| gehören, verbringt man den Rest seiner Tage face to face mit Wesen, die | |
| nach scheindemokratischem Beginn die rhetorische Abnutzungsschlacht | |
| starten. | |
| Man muss ihnen dabei nicht mal immer Absicht unterstellen. Sie schaffen es | |
| einfach nicht, noch den simpelsten Sachverhalt einmal klar darzulegen, | |
| sondern ergehen sich in paraphrasenhafter Umständlichkeit – in jüngster | |
| Zeit mit dem verschärften Foltereffekt des „Öhm“, was irgendwie | |
| US-amerikanisch klingen soll, aber am Ende nur auf ein Rülpsen rausläuft. | |
| So, ich muss schließen, ich hoffe, ich bin niemandem zu nahe getreten. | |
| Falls doch entschuldige ich mich nicht, sondern gebe lediglich zu bedenken: | |
| Am Ende sind wir alle nur Menschen. | |
| 31 Jan 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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