# taz.de -- Protest gegen NPD-„Pressefest“ in Pasewalk: Ein Ruck in Vorpomm… | |
> In Pasewalk bröckelt der Mythos der „national befreiten Zone“. Gegen das | |
> „Pressefest“ des NPD-Parteiorgans „Deutsche Stimme“ gibt es ein breit… | |
> Bündnis. | |
Bild: Auf der Straße von Pasewalk nach Viereck demonstrieren Nazigegner. | |
PASEWALK taz | Am Samstag, 11. August 2012 lädt die Parteizeitung der NPD | |
Deutsche Stimme zum „Pressefest“ nach Vorpommern ein. Dagegen hatte sich | |
erstmals ein breites lokales Aktionsbündnis aus Politik, Wirtschaft, | |
Kirchen und Gewerkschaften aufgestellt. Die Bewohner hätten genug vom | |
braunen Image ihrer Region, so die Botschaft des Bündnisses. „Weltoffen – | |
demokratisch – bunt“ sei Vorpommern. Eine Menschenkette von Pasewalk ins | |
vier Kilometer entfernte Viereck, wo das NPD-Fest stattfand, sollte | |
entstehen. Selten ist die Kleinstadt in der Uckermark so in Wallung geraten | |
wie in den letzten Tagen. Ein Ortstermin. | |
12 Uhr, Treffpunkt für die Menschenkette an der Pommernscheune zwischen | |
Pasewalk und Viereck. | |
Etwa hundert Leute sind da, darunter viele grauhaarige Männer, dazwischen | |
ein paar Antirechts-Aktivisten mit Dreads und bunten Haaren aus Hamburg und | |
Prenzlau. Die Stimmung ist gut. Man begrüßt sich mit Handschlag, Pasewalks | |
Bürgermeister Dambach, örtliche Schulleiter, weitere Bündnisaktivisten. | |
Innerhalb von wenigen Wochen hat man viel geschafft. Man hat der NPD hohe | |
Auflagen gemacht, so dass sie das Programm des Pressefestes von drei auf | |
einen Tag kürzen musste. Gleichzeitig hat man über 40 Organisationen für | |
das Aktionsbündnis gewonnen. Fast 40 Bürgermeister und Gemeindevorsteher | |
haben eine gemeinsame Erklärung zur Haltung zum Rechtsextremismus | |
abgegeben. Und nicht nur das: in den vorangegangenen Tagen hat man | |
Filmvorführungen, eine Lesung und eine Konzert gegen rechts gemeinsam auf | |
die Beine gestellt. Plötzlich haben alle Hand in Hand gearbeitet. | |
Jessica und Fabian warten auf ihre Mitschüler. Bis jetzt sind sie zu acht | |
vom deutsch-polnischen Gymnasium aus Löcknitz. Acht von insgesamt 400 | |
Schülern. Viele hätten es weit, die Polen wohnen über eine Stunde mit dem | |
Auto entfernt. Ein paar Nazis gäbe es auch unter ihren Mitschülern. In der | |
Schule verhielten sie sich unauffällig, sie wählen Polnisch als | |
Fremdsprache und haben gern eine polnische Freundin. „Online toben die sich | |
dann richtig aus“, sagt Jessica. | |
## Transparente im Maisfeld | |
Die Straße nach Viereck ist eine bunte Meile, gesäumt von Plakaten und | |
Transparenten gegen rechts, gedruckte und selbstgemalte. Alle paar hundert | |
Meter folgen ein oder mehrere Stände. Ein Demokratiebus präsentiert sich, | |
der Landesfrauenverband, ein Biobauernhof, die Volkssolidarität, die | |
Parteien. Dabei schreitet man durch unterschiedliche Musikkorridore, je | |
nach Stand Techno, Dancehall, politische Klampfenmusik bei der Linken. Ein | |
paar tanzen, andere befestigen Transparente im Maisfeld. Die Neonazis, die | |
das Pressefest besuchen, müssen alle mit dem Auto vorbei. Es ist viel | |
Verkehr. Die meisten Fahrer verschanzen sich hinter Sonnenbrillen. | |
Auf dem letzten Kilometer vor Viereck wird es leer und still, eine Art | |
Pufferzone vor dem Gelände des Pressefestes, die die Polizei abdichtet. Das | |
Gelände wirkt wie eine Festung aus weißen Zeltplanen, darüber weht die | |
Reichskriegsflagge und die pommersche Flagge mit dem Greifenadler. Der | |
Landtagsabgeordnete Tino Müller macht den Parkplatzeinweiser. Zum | |
Pressefest, für das das in Geldnöten steckende Parteiorgan Deutsche Stimme | |
seit Monaten warb, hat sich viel Parteiprominenz angekündigt. Die | |
Organisation war für die Neonazis im Vorfeld unerwartet schwierig. Keine | |
Erlaubnis zum Zelten, kein Busshuttle und dann hat auch noch jemand den | |
Schweinestall in Brand gesteckt, in dem das Fest stattfinden sollte. Bier | |
und Essen mitbringen hat der Veranstalter untersagt. Trotz allem kostet der | |
Eintritt stolze 23,50 Euro an der Tageskasse. | |
Im Innern der Zeltplanen-Festung schlägt einem die erwartete Phalanx aus | |
Stiernacken, Glatzen und Bierbäuchen entgegen, die mit zynischen | |
Botschaften in Form von T-Shirt-Motiven und Tattoos überfrachtet sind. | |
„Heiliger Krieg“, „Anatolian Airlines“, „Oderfront“ und „Sieg üb… | |
Für Frauen gibt es T-Shirts mit „Heil Kitty“ zu kaufen. Der nationale Barde | |
Frank Rennicke muss den Pausenclown spielen. Er lässt Volksliedertexte | |
austeilen, um das Publikum auf den Bänken zum Singen zu animieren, doch | |
dabei bleibt er ziemlich erfolglos. Das zum Teil junge Publikum wartet | |
vermutlich eher auf etwas rockiges. Die Band „Lunikoffverschwörung“ wird am | |
Abend erwartet. | |
## Zwei goldene Parteiabzeichen | |
Im Hauptzelt spricht der NPD-Bundesvorsitzende Holger Apfel, der gerade von | |
der „Flaggschifftour“ zurückkehrt. Mit einem LKW gastierte die NPD auf | |
Marktplätzen deutscher Städte. Apfel wirkt matt, seine Auftritte waren von | |
vielen Gegenprotesten begleitet. Er redet über die „Verfremung“ und | |
„Gängelung“ seiner Partei beim NPD-Verbotsverfahren, beim Fall Drygalla und | |
bei den NSU-Untersuchungen. Auf sein Drängen soll die Band „Gigi und die | |
braunen Stadtmusikanten“ vom Pressefest ausgeladen worden sein. Sie hatte | |
die NSU-Morde in einem Lied bejubelt. Am Ende zeichnet Apfel zwei | |
„Kameraden“ mit dem goldenen Parteiabzeichen aus, die auf der | |
Deutschlandreise das „Flaggschiff“, den LKW, sicher durch die Stürme der | |
Proteste gelenkt haben. | |
Auf dem Gelände dürften sich NPD-Mitglieder und -Freunde fragen, warum | |
Apfels Frau ihn gerade mit den Kinder verließ und aus der NPD austrat – um | |
„außerhalb der Partei einen neuen Freundeskreis“ aufzubauen. In der Szene | |
wird schon getratscht: Wenn Apfel keine Familie führen kann, wie soll er | |
dann eine Partei lenken? In diesen Kreisen wird so gedacht. Seine Amtszeit | |
läuft bisher wenig glücklich. Seitdem er im November 2011 den langjährigen | |
Parteivorsitzende Udo Voigt verdrängte, kann er keine großes politische | |
Erfolge aufzeigen. Auch Voigt ist als Redner angekündigt. | |
Rund 450 Besucher zählt die Polizei mittags. Vor sechs Jahren kamen zum | |
Pressefest an die 6.000 Besucher. An diesen Erfolg konnten die NPD-Feste | |
nicht mehr anknüpfen. Beim letzten Fest kamen 2.000 Gäste. In den letzten | |
Jahren hat sich das Angebot an Rechtsrock-Konzerten und | |
Parteiveranstaltungen verbreitert. Um zum Beispiel die | |
„Lunikoffverschwörung“ zu erleben, muss man nicht mehr unbedingt auf das | |
Pressefest warten. Dennoch ist das Fest für das bundesweite Netzwerken | |
gerade von entscheidender Bedeutung. Und so kommen bis zum späten | |
Nachmittag doch rund 1.000 Neonazis in Viereck zusammen. | |
## „Ein braunes Nest“ | |
Auf der Zufahrtstraße vor der Pufferzone säumen immer mehr Menschen den | |
Straßenrand. Am Himmel kreist ein Hubschrauber. Aus dem benachbarten Anklam | |
sind Demonstranten mit zwei Bussen gekommen. Eine Anklamerin sagt: „Es | |
heißt, hier bei uns sei ein braunes Nest. Dabei sind das ja Wessis, die | |
hierhergekommen sind und dann die Jugendlichen verführen, die keine Arbeit | |
und keine Perspektive haben.“ | |
Gegen halb zwei formiert sich wie geplant die Menschenkette, ganz ohne | |
Megafon-Ansagen. Leicht verlegen und guter Dinge fasst man sich an die | |
Hand, rückt ein Stück auf und zurück, alle sehen sich fragend um, ob die | |
Lücken nun geschlossen sind. Man kann es nicht genau sehen auf der geraden | |
Straße in der flachen pommerschen Landschaft. | |
Die Kette reicht nicht für die ganze Strecke von Pasewalk bis Viereck, auf | |
schätzungsweise zwei Kilometern säumen Menschen die Straße. Von 2.000 | |
Teilnehmern wird man später sprechen. Pasewalks Bürgermeister Dambach, | |
gegen den die NPD erst vor wenigen Tagen eine Unterlassungsklage fallen | |
lassen musste, weil er zum Widerstand aufgerufen hatte, genießt einen | |
kleinen Triumpf. In einer knallbunten Fahrradrikscha, aus der ein | |
Gettoblaster Shantel spielt, passiert er die Menschenkette und schlägt mit | |
all den Verbündeten ein. Er hat das Gefühl, dass etwas anders ist: „Wir | |
sind jetzt nicht mehr allein.“ | |
12 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Nancy Waldmann | |
Andreas Speit | |
## TAGS | |
NPD | |
Nazis | |
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