# taz.de -- Wahlen in Kenia: Die Gräben im Graben | |
> Im kenianischen Rift Valley, wo nach den letzten Wahlen Pogrome | |
> stattfanden, bemühen sich die Menschen diesmal um Frieden. Sie glauben | |
> aber nur halb daran. | |
Bild: Einst verfeindet, jetzt Alliierte im Wahlkampf: Präsidentschaftskandidat… | |
RIFT VALLEY taz | Gräber liegen am Rande des umzäunten Feldes. Einige sind | |
mit Plastikblumen geschmückt, andere sind einfache Erdhügel mit Holzkreuzen | |
darauf. Wo jetzt Gras wächst, stand bis vor gut fünf Jahren eine Kirche. | |
Sie wurde am Silvesterabend 2007 in Brand gesteckt, auf dem Höhepunkt der | |
Unruhen nach den letzten Wahlen. 35 Menschen kamen in der Kirche ums Leben. | |
Das Feld im winzigen Bauerndorf Kiambaa ist das wichtigste Denkmal in Kenia | |
für den damaligen Gewaltausbruch, bei dem insgesamt über 1.300 Menschen | |
starben und Hunderttausende vertrieben wurden. „Alle Opfer waren Kikuyu“, | |
sagt Pfarrer Paul Karanja, während er das Eisentor repariert, das Zugang zu | |
dem Feld gewährt. „Milizen des Kalenjin-Volkes zogen mordend und | |
brandstiftend durch die Region. Die Opfer haben geglaubt, dass eine Kirche | |
heilig sei, auch für die Angreifer.“ | |
Im Rift Valley wohnen überwiegend Kalenjin und eine Minderheit von Kikuyu, | |
die ansonsten die größte Ethnie im Vielvölkerstaat Kenia darstellen. Bei | |
den Wahlen 2007 gehörten ihre Führer rivalisierenden politischen Allianzen | |
an. Staatschef Mwai Kibaki, ein Kikuyu, ließ sich zum Wahlsieger ausrufen, | |
obwohl ihn die Auszählungen bis zuletzt an zweiter Stelle sahen. Daraufhin | |
machten im ganzen Land Milizen Jagd auf Kikuyu. Jetzt, am 4. März 2013, | |
finden wieder Wahlen in Kenia statt. | |
## Der Bruder zog weg | |
Kiambaa liegt 15 Kilometer südlich der Stadt Eldoret im Hochland neben dem | |
Rift Valley, dem Grabenbruch, der quer durch Ostafrika verläuft. Die | |
Hochebene, eins der wichtigsten Agrargebiete Kenias, war schon zu | |
Kolonialzeiten bei den britischen Siedlern beliebt wegen des kühlen Klimas | |
in 2.500 Meter Höhe. Viele Bewohner sind Kleinbauern, die Kartoffeln, | |
Blumenkohl und Karotten anbauen. | |
Die erhabene Stille auf dem Friedhofsfeld in Kiambaa wird gestört von einer | |
Dreschmaschine ein Feld weiter. Dort schaut Joseph Kairuri zu, wie sein | |
Sohn Getreide drischt. Er läuft auf eines der Gräber zu. „Hier liegt meine | |
Kusine“, erzählt er leise. „Sie wurde nur zwei Jahre alt. Und meine | |
Schwägerin. Sie verbrannte in der Kirche zusammen mit den anderen. Mein | |
Bruder war so erschüttert, dass er hier nicht mehr leben wollte. Er zog | |
weg. Ich pflege die Gräber.“ | |
Kairuri konnte damals aus der brennenden Kirche fliehen. Aber er wurde mit | |
Macheten angegriffen und schwer verletzt. Tiefe Narben sind auf seinem | |
rechten Arm zu sehen, der schlaff an seinem Körper herunterhängt. | |
Der Bauer gibt die Schuld an den Ereignissen dem damaligen | |
Oppositionsführer Raila Odinga, der sich als eigentlichen Wahlsieger sah | |
und dessen Anhänger nach der Siegeserklärung des Präsidenten zu den Waffen | |
griffen. Odinga gehört zum westkenianischen Luo-Volk, die Kalenjin waren | |
vor fünf Jahren Teil seiner Parteienallianz. Die Kalenjin seien von Raila | |
Odinga instrumentalisiert worden, davon ist der Kikuyu-Bauer Kairuri | |
überzeugt. Er wird laut und zornig. „Raila schickt die Kalenjin vor, um uns | |
anzugreifen. Er gehört vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den | |
Haag.“ | |
## Poltisches Kalkül | |
Mehreren kenianischen Politikern soll dort demnächst der Prozess gemacht | |
werden. Odinga, der durch ein Friedensabkommen im März 2008 Premierminister | |
unter Präsident Kibaki wurde, gehört nicht dazu. Wohl aber der heute | |
wichtigste Kikuyu-Politiker. Uhuru Kenyatta, Sohn von Kenias erstem | |
Präsidenten, der jetzt als Präsidentschaftskandidat antritt, sowie William | |
Ruto, ein Repräsentant der Kalenjin. Den beiden bedeutendsten Politikern | |
des Rift Valley droht jetzt ein Prozess. Und während sie vor fünf Jahren | |
verfeindet waren, haben sie sich jetzt verbündet: Ruto ist Kenyattas | |
Vizekandidat. | |
Dahinter steckt politisches Kalkül. Die Kikuyu sind das größte Volk in | |
Kenia, die Kalenjin die drittgrößte ethnische Gruppe. Gemeinsam wären sie | |
stark. Und obwohl Kenyatta und Ruto hoch und heilig versprochen haben, sich | |
auch dann persönlich dem Internationalen Strafgerichtshof zu stellen, wenn | |
sie die Wahlen gewinnen, kann man davon ausgehen, dass genau dies nicht der | |
Fall sein wird. Gewinnen ist eine Sache des politischen Überlebens für das | |
Duo. | |
Pfarrer Karanja glaubt, dass wegen der neuen Freundschaft zwischen Kalenjin | |
und Kikuyu die Wahlen diesmal friedlich verlaufen. „Wir haben einander | |
vergeben“, sagt er. „Ich glaube auch, dass kein Kenianer will, dass sich | |
die Hölle von 2008 wiederholt.“ Bauer Kairuri hat da seine Zweifel. Er | |
traut seinen Kalenjin-Nachbarn nicht. „Dieses Mal lasse ich mich nicht | |
überraschen“, sagt er, bevor er zu seiner Dreschmaschine zurückgeht. „Wenn | |
es sein muss, bin ich vorbereitet.“ | |
## Ein Friedenskomitee gebildet | |
Während in Kiambaa die Bauernhöfe und Äcker der Kalenjin und Kikuyu wild | |
gemischt sind, leben die beiden Völker 150 Kilometer südöstlich strikt | |
geschieden. In Kihingo leben Kikuyu, in Teret Kalenjin. Beide Bauerndörfer, | |
südlich der Stadt Nakuru, sind aber nur durch einen schmalen staubigen Pfad | |
voneinander getrennt. Auch hier gab es 2008 Blutvergießen. | |
Die Einwohner der beiden Dörfer haben nun ein gemeinsames Friedenskomitee | |
gebildet. Überall in Kenia existieren solche Gruppen, die mit finanzieller | |
Hilfe von lokalen und internationalen Organisationen die Bevölkerung | |
überzeugen wollen, neue Gewalt zu vermeiden. | |
Um Eintracht zu demonstrieren, läuft das Friedenskomitee gemeinsam über den | |
Grenzpfad zwischen Kihingo und Teret. Bei einem nagelneuen Haus, gebaut aus | |
in der Sonne gehärteten Steinen, macht die Truppe Halt. Komiteevorsitzender | |
Kamende Wainaina, ein Kikuyu, erklärt, dass das alte Haus 2008 abbrannte | |
und der Bewohner, ein Kikuyu, nur knapp mit dem Leben davonkam. | |
## Land bekommen, Land genommen | |
Abseits im Schatten einiger Bäume steht Samuel Keino, der Vizevorsitzende | |
des Komitees. Er ist Kalenjin, und leise sagt er: „Die Kikuyu bekamen neue | |
Häuser von der Regierung gestellt, nachdem ihre vor fünf Jahren abgebrannt | |
waren. Aber auch einige von uns haben ihr Haus verloren. Wir bekamen | |
nichts.“ | |
Die Konkurrenz und Gewalt zwischen Kalenjin und Kikuyu hat eine lange | |
Vorgeschichte. Schon seit Jahrzehnten streiten die beiden Ethnien um Land | |
im Rift Valley. Unter der britischen Kolonialverwaltung war das fruchtbare | |
Gebiet für Weiße reserviert. Die exotischen, lila blühenden Jacaranda-Bäume | |
zeugen von dieser Zeit. Die ursprünglichen Einwohner, die Maasai und | |
Kalenjin, wurden von den Kolonisatoren verjagt. | |
Nach der Unabhängigkeit im Jahr 1963 gingen viele weiße Farmer weg, und | |
Präsident Jomo Kenyatta half seinem Kikuyu-Volk, das Land zu kaufen. Die | |
Kalenjin empfinden die Kikuyu deswegen noch heute als Eindringlinge. Kenias | |
nächster Präsident, Daniel arap Moi, war ein Kalenjin, und er verschenkte | |
während seiner Amtszeit oft Staatsland an Mitglieder seines Volkes. Auch | |
die Einwohner von Teret erhielten auf diese Weise Land. | |
## Ein ewiges Hin und Her | |
So ging es hin und her. Auf Moi folgte 2002 der Kikuyu Kibaki als | |
kenianischer Präsident. „Eine der ersten Amtshandlungen von Präsident | |
Kibaki war es, unsere Landeigentumspapiere für ungültig zu erklären“, | |
murmelt Keino. „Seitdem lebe ich illegal auf meinem eigenen Land.“ | |
Der Vorsitzende des Friedenskomitees, Kamende Wainaina, wartet, bis sein | |
Kalenjin-Kollege weggeht. Dann flüstert er: „Kalenjin sagen nie, was sie | |
denken und fühlen. Man muss auf der Hut sein vor ihnen.“ | |
## „Ein nächstes Mal!“ | |
Wenn er so eine Bemerkung hört, seufzt der Parlamentskandidat Ben Gathogo | |
Kihanya, ein Kikuyu. „Wenn werden wir endlich Kenianer und hören auf mit | |
dem ethnischen Denken“, fragt er entnervt. „Es ruiniert unsere Politik, es | |
ruiniert unser Land.“ Der junge Mann wuchs in Nakuru auf und kandidiert | |
weder für die Partei Kenyattas noch für die von Ruto. „Die Kikuyu und | |
Kalenjin betrachten mich als Verräter. Also habe ich auch keine Chance, in | |
einer Stadt zu gewinnen, die vor allem aus Kalenjin und Kikuyu besteht. | |
Aber es gibt ja immer ein nächstes Mal!“ | |
Trotz seiner Bedenken wird der junge Politiker auf der Hotelterrasse | |
ständig begrüßt. Kihanya glaubt, dass am Montag keiner der acht Kandidaten | |
für das Amt des Präsidenten eine Mehrheit bekommen wird. Dann findet im | |
April eine Stichwahl statt. Wer auch gewinnt, Kihanya sieht schwarz für | |
Kenia. „Ich freue mich, dass sich durch die Allianz von Kenyatta und Ruto | |
zwei Völker annähern.“ Aber sollten sie verlieren, könnten ihre Anhänger | |
die Schuld beim jeweils anderen Volk suchen. „Das führt dann wieder zur | |
alten Feindschaft und zu Gewalt.“ | |
4 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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