# taz.de -- Kenia plant neues Familienrecht: Eine Ehefrau ist keine Ware | |
> Abschaffung des Brautpreises, Zulassung von Polygamie und Kohabitation: | |
> Umfassende Reformen sollen in Kenia Konflikte um Viehdiebstahl eindämmen. | |
Bild: Ein Masai mit seinen beiden Ehefrauen im Kajiado-Bezirk in Kenia. | |
NAIROBI taz | Kenias Regierung macht sich an eine Reform des | |
Familienrechts. Der Brautpreis soll abgeschafft werden, Polygamie wird | |
legalisiert und Paare, die länger als ein halbes Jahr zusammenleben, sollen | |
als legal verheiratet gelten. Die Gesetzesvorlagen sollen Frauen und | |
Kindern mehr Schutz bieten. Aber nicht jeder Betroffene freut sich darüber. | |
Lucy ist eine zwanzigjährige Musikstudentin an der Daystar-Universität in | |
der Hauptstadt Nairobi. Sie lebt mehr als ein Jahr mit einem | |
Mathematikstudenten zusammen. „Wir mögen einander und teilen uns die Miete. | |
Aber ich will nicht den Rest meines Lebens mit ihm verbringen“, sagt sie. | |
Lucy und ihr Freund teilen sich ein kleines Zimmer, in das gerade ein Bett | |
und ein Tisch passt. „Unsere Eltern wissen nicht, dass wir zusammenleben“, | |
sagt sie. „Das zu erklären, wäre zu umständlich. | |
Stell dir vor, wenn die Regierungspläne Gesetz werden, dann sind wir auf | |
einmal verheiratet! Unsere Eltern würden uns umbringen.“ | |
Auch außerhalb der Studentenwelt ist diese Art von Verhältnis populär. | |
„Komm, wir bleiben zusammen“ heißt das im Volksmund. Oft aber wird die Frau | |
schwanger und der Mann verschwindet spurlos. | |
## Meldepflicht für wilde Ehe | |
Um das zu verhindern, plant die Regierung eine Meldepflicht für Paare, die | |
mehr als sechs Monaten zusammenleben. Wenn die beiden auseinandergehen, | |
soll das auch wieder gemeldet werden. | |
Ron Voti, 39, hat gleichzeitig drei „Komm, wir bleiben | |
zusammen“-Beziehungen. „Ich habe insgesamt fünf Kinder“, sagt er stolz. | |
„Natürlich sorge ich für sie. Das braucht mir kein Gesetz vorzuschreiben.“ | |
Der Händler aus Matasia, ein Dorf nicht weit von Nairobi, beschreibt sich | |
selbst als Polygamist, aber hat seine drei Frauen nicht offiziell | |
geheiratet. In Kenia existiert neben dem modernen Recht, das nur eine | |
Ehefrau zulässt, auch die traditionelle Gesetzgebung, in der Polygamie | |
erlaubt ist. Voti hat keine Lust auf eine moderne Hochzeit: Er will kein | |
Geld für den Brautpreis verschwenden, wie er sagt. | |
## Geklaute Kühe und Ziegen | |
In Kenia leben mehr als vierzig Volksgruppen, jede mit eigenen Traditionen | |
und eigener Kultur. Bei den Hirtenvölkern muss bei einer Heirat der Mann | |
viel Vieh an die Familie der Braut zahlen. Junge Männer, die nicht genügend | |
Kühe, Kamele oder Ziegen haben, um sich eine Frau zu kaufen, gehen darum | |
oft auf Viehdieberei bei Nachbarvölkern. Das geht oft sehr blutig aus. | |
Auch bei Bauernvölkern ist eine Braut oft eine Kuh wert, dazu vielleicht | |
ein Kasten Bier, ein Wassertank und was der Mann sonst so braucht. | |
Heiratslustige junge Bauern verschulden sich daher oft massiv. | |
„Ich habe kein Vieh, ich bin nicht reich, aber ich habe ein gutes Herz“, | |
erklärt Voti während er im winzigen Garten seiner dritten und jüngsten Frau | |
mit einem seiner Söhne spielt. „Ich spendiere das Geld lieber für die | |
Kinder.“ | |
## Für jede Frau ein Haus | |
Die 22-jährige Rizpa, die dritte Frau von Voti, hat gerade ihr zweites Kind | |
bekommen. „Wir sind alle zufrieden mit der Situation“, sagt sie. „Jede Fr… | |
hat ihr eigenes Haus und wir mögen uns wie Freundinnen. Ron ist ein guter | |
Vater und Ehemann und sorgt für uns alle.“ Anders als er aber freut sie | |
sich, dass die Regierung Polygamie legalisieren will. | |
Die Regierung will auch, dass Männer und Frauen gleiche Rechte in der Ehe | |
bekommen. Das bedeutet zum Beispiel, dass Witwen zukünftig von ihren | |
verstorbenen Ehemännern erben können. | |
In vielen kenianischen Kulturen gibt es das nicht. Oft bekommen Witwen beim | |
Tod des Mannes nichts, die Familie des verstorbenen Ehemannes erbt seinen | |
ganzen Besitz und verstößt die Frau. | |
## Frauen dürfen Frauen heiraten | |
Gleichberechtigung für Schwule ist in den Regierungsplänen nicht | |
vorgesehen. Es ist immer nur von Beziehungen zwischen Mann und Frau die | |
Rede. Aber Frauen werden nach wie vor Frauen heiraten dürfen. | |
Bei einigen Volksgruppen ist dies möglich, wenn eine Frau unfruchtbar ist. | |
Sie kann dann eine Frau heiraten, die sich schwängern lässt, und das Kind | |
gehört dann beiden Frauen. | |
Ob die Regierungspläne durch das Parlament gehen, ist ungewiss. Mehr als 90 | |
Prozent der Abgeordneten sind Männer. | |
14 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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