# taz.de -- Separatismus in Kenia: Palmwein und Protest | |
> „Die Küste ist nicht Kenia“, lautet die Sezessionsparole in Mombasa. | |
> Zusammen mit dem Krieg in Somalia entwickelt sich hier eine für Ostafrika | |
> explosive Krise. | |
Bild: Wachsende Spannung: Kenianische Soldaten patroullieren in Mombasa. | |
MOMBASA taz | Trockenes Gras und Baumstümpfe, so weit das Auge reicht. Rost | |
frisst Löcher in die Wellblechdächer, die Wasserstelle ist weit. Das | |
kenianische Dorf Kinango sieht trostlos aus. | |
„Unsere Kinder haben einen weiten Schulweg“, sagt Harrison Hyawa, ein | |
junger Mann im Ort. „Darum fingen wir an, uns selbst eine Schule zu bauen. | |
Aber nach zwei Klassenzimmern ging uns das Geld aus. Unser | |
Parlamentsabgeordneter hat einen Fonds, aber er reagiert nicht.“ | |
Hyawa absolvierte vor Jahren die Oberschule und will studieren. Aber dafür | |
hat er kein Geld. Er stellt Holzkohle her, um seine Familie zu ernähren. | |
„Aber wir haben schon seit zwei Jahren keinen Regen. Bäume abholzen ist | |
nicht gut für die Umwelt, aber wir müssen doch Geld verdienen“, sagt er | |
entschuldigend. | |
Hyawa glaubt, dass sein Leben besser wäre, wenn Kenias Regierung die | |
Küstenregion nicht benachteiligen würde. Der junge Mann hat große | |
Sympathien für den Republikanischen Rat von Mombasa (Mombasa Republican | |
Council – MRC), der einen eigenen Staat in Kenias mehrheitlich muslimischer | |
Küstenregion will. Für Kenias Regierung ist der MRC eine islamistische | |
Frontorganisation. In den letzten Monaten sind bei blutigen | |
Auseinandersetzungen in Mombasa und entlang der Küste Dutzende Menschen | |
gestorben. | |
## Kaum Arbeitsplätze für Einheimische | |
Viele Küstenbewohner bestätigen die Klagen des MRC. Führende Posten und | |
Arbeitsplätze in der lukrativen Tourismusindustrie gehen an Kenianer aus | |
anderen Landesteilen. 60 Prozent des Bodens entlang der Küste gehört | |
Kenianern aus anderen Regionen oder Ausländern aus dem Nahen Osten und | |
Europa. | |
„Pwani si Kenya“ lautet die MRC-Parole – die Küste ist nicht Kenia. 1890 | |
hatte das britische Empire einen 19 Kilometer breiten Streifen entlang der | |
Küste vom Sultan von Sansibar erworben, als Protektorat. Im Landesinneren | |
entstand die britische Kolonie Kenia. Bei der Unabhängigkeit 1963 wurde die | |
Küstenregion Teil Kenias. Alle drei Präsidenten seit der Unabhängigkeit | |
besitzen riesige Grundstücke an der Küste, auf denen Luxushotels stehen. | |
Für die Entwicklung der Region taten sie wenig. | |
Aus einem Hof in Kinango erklingt Grölen und Lachen. Frauen sitzen auf | |
einem alten Reifen, Männer trinken Palmwein. Schon nach ein paar Schlucken | |
lallen sie heiter über alles und noch was. „Sie wollen das Elend | |
vergessen“, sagt Mwanaharusi Ali, die den Palmwein braut und ausschenkt. | |
Dann sagt sie: „Ich fühle Sympathie mit dem MRC, aber ich will keine | |
Abspaltung. So eine Forderung bringt nur Blutvergießen. Die Regierung wird | |
das niemals zulassen.“ | |
Kenias Wirtschaft braucht die Küste. Jährlich besuchen Hunderttausende | |
Touristen die weißen Strände; Mombasa ist auch der wichtigste Hafen der | |
Region. Unendliche Reihen Lastwagen kriechen über die Straße aus Mombasa | |
ins Landesinnere. Ein Aufstand an Kenias Küste würde ganz Ostafrika | |
treffen. | |
## Kämpfer der islamistischen Shabaab-Milizen kehren zurück | |
„Die Küste leidet schon unter der Gewalt. Investoren und Touristen sind | |
nervös“, meint Najib Balala, Parlamentarier und ehemaliger | |
Tourismusminister. Aber er versteht den Unmut: „Die Regierung hat nie etwas | |
für die Küstenregion getan.“ Balala fürchtet nun einen Einzug radikaler | |
Kämpfer aus Somalia. Zahlreiche junge arbeitslose Kenianer wurden einst von | |
Somalias islamistischen Shabaab-Milizen rekrutiert. Sie kehren zurück, seit | |
Kenias Armee im September den wichtigsten Shabaab-Hafen Kismayo eroberte. | |
„Die jungen Männer sind frustriert, haben nichts zu tun und sind gewohnt an | |
Gewalt“, meint Najib Balala. „Das ist eine gefährliche Mischung.“ Diese | |
Woche starben in Mombasa ein Polizist und zwei mutmaßliche Shabaab-Kämpfer, | |
als die Polizei nachts in ein Haus einfiel. Im Haus wurden Granaten und | |
Munition gefunden. Kirchen und Busbahnhöfe in Kenia wurden bereits Ziele | |
von Anschlägen, aus Rache für Kenias Eingreifen in Somalia. | |
Der MRC dementiert, dass er selbst Untergrundkämpfer ausbilde. „Wir | |
benutzen nur legale Wege“, versichert Rumba Mbui, Führer der | |
Jugendabteilung des MRC. „Wer in unserem Namen Gewalt einsetzt, gehört | |
nicht zu uns.“ Der MRC-Jugendchef war früher DJ. Er erinnert sich: „Als ich | |
mich in Hotels oder Nachtclubs an der Küste bewarb, bekam ich nie Jobs. | |
Immer wieder wurden Kollegen aus dem Binnenland vorgezogen.“ | |
Mbui bestreitet, dass der MRC andere Volksgruppen verjagen will. „Jeder, | |
der hier lebt und arbeitet, soll bleiben. Wir wollen einen Volksentscheid | |
über die Abspaltung. Daran soll jeder Einwohner der Küste teilnehmen.“ | |
19 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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