# taz.de -- Indiecomic-Anthologie „Orang“: Beende deine Jugend | |
> „Heavy Metal“ ist das Thema der finalen Ausgabe des Comickunst-Magazins | |
> „Orang“. Die Macher sind erwachsen geworden, sie müssen jetzt Geld | |
> verdienen. | |
Bild: Geschichte einer schwierigen Mädchenfreundschaft: „Effi redet Blech“… | |
Das Finale ist schön verstörend. Ein hilfloser Supermarktleiter muss mit | |
ansehen, wie alle seine Waren verschimmeln und seine Stammkunden sich in | |
Zombies verwandeln. Zwei Skater werden von einem Gespenst durch eine | |
Aufzuchtstation für E-Gitarren geführt. In einer albtraumhaften | |
Überwachungsdystopie werden Arbeiter der Königin zum Fraß vorgeworfen. | |
„Heavy Metal“ ist das Thema der zehnten und letzten Ausgabe der Anthologie | |
[1][Orang], eines der wichtigsten deutschen Sammelpunkte für | |
zeitgenössische Comickunst. Wie alle Ausgaben versammelt sie rund fünfzehn | |
exklusiv gezeichnete Kurzgeschichten. Zeichenstil wie Storytelling sind | |
markant, experimentell, nicht immer zugänglich. | |
„Zum künstlerischen Anspruch gehört durchaus, dass wir vom Leser einen | |
gewissen Blick für Grafik erwarten, und die Bereitschaft, mitzuarbeiten und | |
nicht nur zu konsumieren“, sagt Orang-Herausgeber Sascha Hommer. Aber es | |
muss sich schon aus sich selbst heraus erklären: „Wir haben nie Sachen | |
genommen, die man nur versteht, wenn man den Künstler kennt oder noch | |
irgendeinen Text dazu lesen muss.“ Deswegen verzichtet die Orang auch | |
komplett auf Artikel oder andere Erklärungen, abgesehen von den englischen | |
Übersetzungen der deutschen Comictexte. | |
## Hamburger Comicschule | |
Gegründet hat Hommer die Orang 2002, als Student an der Hochschule für | |
Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Jener Hochschule, die unter der | |
Professorenschaft von Anke Feuchtenberger seit Jahren aufregende | |
Comiczeicher hervorbringt, gerade erst überzeugte Lukas Jüliger mit seinem | |
Debüt „Vakuum“. | |
Der damals 24-jährige Hommer hatte sich oft darüber beschwert, dass es zu | |
wenig eigeninitiierte Projekte der HAW-Studenten gab. „Bis dann Klaas | |
Neumann zu mir meinte: Ja wenn alles so scheiße ist hier und die Leute zu | |
wenig machen, dann mach’s doch selber.“ Er tat es, gemeinsam mit Neumann, | |
den Namen Orang hatte Hommer aus dem Backpackerurlaub mitgebracht. „’Orang�… | |
ist indonesisch für ’Mensch‘ und erschien mir passend, weil es in | |
Deutschland eigentlich wie ein Kunstwort aussieht, aber eine verborgene | |
Bedeutung hat, die dann einige doch kennen.“ | |
In den ersten Ausgaben, die noch als kopierte DIN-A4-Magazine erschienen, | |
sammelte sich der spätere Zeichnerstamm: Arne Bellstorf, Till Thomas, Klaas | |
Neumann, Line Hoven, Verena Braun, Hommer selbst. Schritt für Schritt ging | |
es voran: Die Auflagen stiegen, das dritte Heft zierte ein Klappcover mit | |
Siebdruck, mit der vierten Ausgabe wechselte man zum Offsetdruck, ab der | |
fünften waren internationale Gäste dabei, und seit der Nummer sechs wurde | |
man beim deutschen Indiecomic-Vorzeigeverlag Reprodukt verlegt – wo auch | |
heute noch erhältliche Restauflagen vertrieben werden. | |
Dass nun Schluss ist, liegt schlicht daran, dass die Orang-Generation | |
erwachsen geworden ist. Mehrere Zeichnerinnen und Zeichner haben Hamburg | |
verlassen oder können neben ihren eigenen Projekten auch nicht mehr die | |
Zeit für exklusive unbezahlte Geschichten aufwenden, mehrfach fällt das | |
Wort „Brotjobs“, wenn Hommer von den gewandelten Lebensumständen erzählt. | |
„Früher war Orang das wichtige Projekt, auch um sich selber zu featuren“, | |
sagt er. Doch das Verhältnis habe sich umgedreht: „Die eigenen Projekte | |
sind inzwischen viel größer und laufen automatisch, während Orang immer | |
klein bleibt, man dafür immer kämpfen muss.“ | |
So sind letztlich vor allem er und Arne Bellstorf verblieben, eine | |
„funktionierende Organisationseinheit“ zwar, aber mit den Diskussionen und | |
gemeinsamen Redaktionssitzungen fehlt ein elementarer Bestandteil des | |
Orang-Produktionsprozesses. Denn das sollte Orang immer sein: ein Labor, in | |
dem man sich trifft und diskutiert. Und weil die HAW-Dozenten ihre | |
Studenten im Zweifel unterstützen mussten, „haben wir eben versucht, das | |
Gegenteil zu machen und immer in die Wunde zu fassen“. Es ging darum, sich | |
selbst zu trainieren, „dass man so ein bisschen Abstand hat von der eigenen | |
Arbeit und das einen das auch nicht verletzt“. | |
Zugleich, sagt Hommer, würde es für ihn immer schwerer, aufregende Comics | |
zu finden. Auch das ist wieder eine Frage des Älterwerdens und kein | |
Qualitätsproblem, wie er betont – der Drang, Geschichten unbedingt | |
publizieren zu müssen, lässt nach. „Als wir jünger waren, war vieles für | |
uns noch neu. Dieser Enthusiamus ist inzwischen eingeebnet“, so Hommer. | |
„Außerdem habe ich bei der neuen Welle von rund zehn Jahre jüngeren | |
Zeichnern zunehmend Schwierigkeiten zu unterscheiden: Was ist gut und was | |
ist nicht gut? Weil es nach anderen Codes funktioniert.“ Im Moment gebe es | |
international etwa viele Zeichner, die viel mit 80er-Jahre-Retroästhetik | |
und Remineszenzen auf bestimmte Computerspiele und Fernsehserien arbeiten. | |
So endet also ein Teil des gemeinsamen Wegs der HAW-Generation der frühen | |
nuller Jahre. Traurig macht Hommer das alles nicht. „Ich habe da überhaupt | |
kein sentimentales Gefühl und finde es ehrlich gesagt eher befremdlich, | |
wenn Leute in meinem Alter schon anfangen, ihre Studentenzeit zu | |
romantisieren“, sagt er. „Außerdem hat das Magazin auch vieles eingelöst, | |
wozu es da war.“ | |
## Beim Durchbruch geholfen | |
Das allerwichtigste Ziel, sich selbst beizubringen, wie man Bücher macht, | |
hat man erreicht, genau wie die Etablierung einer Comic-Anthologie, die | |
Vernetzung von deutschen und internationalen Autoren und auch, neue | |
Zeichnerinnen und Zeichner beim Durchbruch zu unterstützen, wie etwa Moki, | |
Marijpol, Till Thomas und den Chinesen Yan Cong. Zudem sind einige Aufgaben | |
inzwischen auch weggefallen, heute ist es für deutsche Zeichner viel | |
einfacher, auch im Ausland verlegt zu werden – eine Entwicklung, an der | |
Orang einen maßgeblichen Anteil hat. | |
Entsprechend ist die Lücke, die das Ende von Orang reißt, betrauernswert, | |
aber nicht letal. Die gute Verlagsarbeit von Avant, Reprodukt und Edition | |
Moderne, das vierteljährliche Schweizer Strapazin, die jährliche, nur von | |
Frauen gestaltete Anthologie Spring und Comicfestivals wie etwa Erlangen | |
oder Hamburg sorgen weiterhin für viel Vernetzung und Bewegung in der | |
deutschen Alternativcomicszene. | |
Orang-Releasepartys: 15. März, Comics & Graphics Fest, Leipzig; 5. April, | |
Hinterconti, Hamburg; 12. April, LQR Company, Berlin | |
3 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.orang-magazin.net/ | |
## AUTOREN | |
Michael Brake | |
Michael Brake | |
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