# taz.de -- Streit um Archäologie im Dritten Reich: Wikinger jetzt nazifrei | |
> Der schleswig-holsteinische Landesarchäologe boykottiert den Versuch | |
> seiner Bremer Amtskollegin, die Geschichte der NS-Archäologie | |
> aufzubereiten. | |
Bild: Da lacht das Landesarchäologen-Herz: Wikingerboot-Treffen in Haithabu. | |
BREMEN taz | Kommende Woche beginnt im Bremer Landesmuseum eine Ausstellung | |
mit bundesweiter Bedeutung: Unter dem Titel „Graben für Germanien“ wird | |
erstmals die ideologisch und geostrategisch nicht zu unterschätzende Rolle | |
der NS-Archäologie umfassend dargestellt. Eine der spektakulärsten | |
NS-Grabungen fand in der als „germanisch“ subsumierten Wikingersiedlung | |
Haithabu in Schleswig-Holstein statt. Doch warum taucht die in der Bremer | |
Ausstellung nicht auf? | |
„Leider haben wir aus Schleswig keine Objekte bekommen“, sagt die Bremer | |
Landesarchäologin Uta Halle auf Nachfrage. Und fügt, auf abermalige | |
Nachfrage, hinzu: „Mein dortiger Kollege möchte keine Verknüpfung des | |
heutigen Images von Haithabu mit der NS-Geschichte.“ | |
Das wäre ein schwierig zu erfüllender Wunsch: Die propagandistische und | |
ideologische Bedeutung von Haithabu im Dritten Reich kann kaum überschätzt | |
werden. Das SS-Ahnenerbe investierte über die Hälfte seines | |
Ausgrabungsetats allein in Haithabu. Die Schirmherrschaft übernahm Heinrich | |
Himmler persönlich. Aber würde es die beliebten Wikinger-Reenactments | |
tatsächlich stören, wenn man die NS-Geschichte des Ortes thematisiert? | |
Claus von Carnap-Bornheim, als schleswig-holsteinischer Landesarchäologe | |
auch Chef des Wikinger-Museums, möchte über den Vorgang nicht sprechen. Gab | |
es inhaltliche Gründe für die Ablehnung der Leih-Anfrage? „Kein Kommentar�… | |
sagt Frank Zarp, Sprecher der Schleswig-Holsteinischen Landesmuseen. | |
Vielleicht konservatorische Bedenken? „Kein Kommentar.“ | |
Die Haithabu-Ausgrabungen, die sich in mehreren Reihen bis 1939 | |
erstreckten, waren nicht nur wegen ihrer ungewöhnlichen Fundfülle wichtig. | |
Im Weltbild der NS-Führung kam ihnen geostrategische Bedeutung zu: | |
„Haithabu fungierte als Bindeglied zu den vermeintlich nordgermanischen | |
Wikingern“, sagt der Historiker Dirk Mahsarski, der über den | |
Haithabu-Grabungsleiter Herbert Jankuhn promoviert hat. Jankuhn avancierte | |
zum Sturmbannführer im persönlichen Stab Himmlers, für den Haithabu immense | |
Bedeutung hatte. | |
Bei der Anwerbung von skandinavischen Freiwilligen für die Waffen-SS wurden | |
die archäologischen „Beweise“ für die übergreifende germanische | |
„Artgemeinschaft“ intensiv ausgeschlachtet. Und als „nordisches Korinth“ | |
sollte Haithabu die vermeintlich überlegene Kulturhöhe eines fiktiven | |
großgermanischen Reiches belegen. | |
Mahsarski, der zum Bremer Ausstellungsteam gehört, spricht von einer | |
„evidenten Lücke“, die durch das Fehlen der Haithabu-Exponate entstehe. | |
Zudem bedauert er eine „verpasste Chance“: Die NS-Geschichte der | |
Wikinger-Ausgrabungen sei öffentlich „noch nie groß diskutiert“ worden. | |
Das Museum in Haithabu habe seinen kürzlich vorgenommenen Relaunch zwar für | |
eine „hervorragende“ Aufbereitung des aktuellen Forschungsstands genutzt – | |
die NS-Prägung des Ortes werde Besuchern jedoch nicht vermittelt. Dabei | |
stelle Haithabu für rechtsextreme Gruppen nach wie vor eine wichtige | |
Bezugsgröße dar. | |
In der Tat haben Germanen- und Wikinger-Artefakte, hat die „gemeinsame | |
Abstammung von einer überlegenen Nordrasse“ eine Klammerfunktion für die | |
verschiedenen rechtsextremen Szenen. Die Flensburger Gruppe der | |
„Identitären Bewegung“, die vor wenigen Tagen als „Nachfolgerin“ der N… | |
auftauchte, präsentiert sich auf Facebook mit dem in Schleswig | |
ausgestellten „Nydam-Schiff“. Die Bremer Lürssen-Werft baute diesen | |
spektakulären Fund in den 30ern nach, er wurde für Schulungsfahrten der | |
Hitlerjugend eingesetzt. | |
Für Schweden waren all diese virulenten Bezüge mit ein Grund, sich aus aus | |
dem „Welterbe Wikinger“-Antrag zurückzuziehen: 2013 sollte Haithabu | |
gemeinsam mit Fundorten in fünf weiteren Ländern in die | |
Weltkulturerbe-Liste aufgenommen werden. In Schweden wurden allerdings | |
Bedenken laut, ob die problematischen ideologischen Verknüpfungen | |
ausreichend in den Antrag einbezogen worden waren. | |
In Schleswig-Holstein selbst ist zumindest die Nichtbeteiligung an der | |
Bremer Ausstellung umstritten. „Ich finde das problematisch“, sagt Ulrich | |
Müller auf Nachfrage – er ist Professor für Ur- und Frühgeschichte an der | |
Universität Kiel mit Schwerpunkt historische Archäologie. Müller nennt | |
Haithabu „einen Meilenstein der modernen Archäologie“. Die SS habe hier in | |
der Vermessungs- und Dokumentationstechnik neue Maßstäbe gesetzt. Jankuhn | |
ist zudem Pionier der Luftbild-Archäologie. | |
Vor allem aber habe Haithabu, sagt Müller, eine besondere Funktion als | |
„Hotspot der Mystifizierung“, der Erschaffung einer politisch motivierten | |
Ersatzreligion. Müller: „Es wäre besser, mit Haithabus NS-Geschichte | |
offensiv umzugehen.“ | |
Die Schleswig-Holsteinischen Landesmuseen haben die Chance verpasst, diese | |
Arbeit von ihren Bremer Kollegen erledigen zu lassen. | |
1 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
Henning Bleyl | |
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Hitler | |
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