| # taz.de -- Archäologie im „Dritten Reich“: Unverwüstliche Germanen | |
| > Eine Bremer Ausstellung nimmt es mit einem hartnäckigen Gegner auf: dem | |
| > römischen Germanen-Mythos. Der verhalf der Archäologie im „Dritten Reich�… | |
| > zu ungeahnten Aufschwüngen – und Trugschlüssen | |
| Bild: Herbert Jankuhn (2. v. r.) in seinem Element: "Germanische" Ausgrabung im… | |
| BREMEN taz | Julius Cäsar hat Schuld. Mit seinem „De Bello Gallico“ wurden | |
| nicht nur zahllose Generationen von Lateinschülern gequält – der | |
| umfangreiche Kriegsbericht ist auch die Geburtsurkunde des Germanenmythos. | |
| Der Feldherr machte es sich einfach: Sämtliche unbesiegte | |
| Bevölkerungsgruppen östlich des Rheins nannte er „Germanen“ und beschrieb | |
| sie als äußerst tapfer, hart und sittenstreng. Das war eine gute Begründung | |
| für die missglückte Unterwerfung – und zugleich als moralischer Spiegel für | |
| die „dekadente“ römische Gesellschaft gedacht. Hätte man Tacitus’ ähnl… | |
| akzentuiertes Werk „Germania“ nicht Mitte des 15. Jahrhunderts im Kloster | |
| Hersfeld wiederentdeckt, was den Beginn einer bis heute ungebrochenen | |
| Begeisterung für die „Germanen“ markiert – sie wären geblieben, was sie… | |
| Altertum waren: eine römische Projektion. | |
| „Es gab kein Volk, das sich selbst Germanen nannte oder seine Heimat | |
| ’Germanien‘“, sagt Karin Walter vom Bremer Landesmuseum für Kunst und | |
| Kulturgeschichte. Sie ist Kuratorin der Ausstellung „Graben für Germanien“, | |
| die das Thema Archäologie im „Dritten Reich“ erstmals umfassend darstellt. | |
| Die Sonderschau greift weit zurück – und endet in der Gegenwart, bei | |
| Kinderspielzeug und rechtsextremen Plattencovern, von denen grimmige, | |
| Nazi-affine Nordmänner-Figuren starren. | |
| Dabei ist die von der Kulturstiftung des Bundes mitfinanzierte Schau alles | |
| andere als effekthaschend aufgezogen: Es spricht für die | |
| Ausstellungsmacher, dass sie als Leitmotiv für Plakat und Katalog ein eher | |
| unspektakuläres Motiv gewählt haben – keine steinzeitliche | |
| Hakenkreuz-Keramik, auch nicht den Goldschatz von Eberswalde, den die | |
| NS-Propaganda als Beleg frühgermanischer Kulturhöhe ausschlachtete. | |
| Stattdessen: ein Schwarzweiß-Foto. | |
| Vier Männer stehen in einer großen Grube, in der unscheinbare Mäuerchen | |
| freigelegt sind. Im Hintergrund: eine weite, grasbewachsene Steppe. Auf | |
| diesem Bild, aufgenommen 1943 in der Ukraine, sind wesentliche Aspekte und | |
| personelle Verflechtungen der NS-Archäologie auf einen Blick erfassbar. | |
| Der bemerkenswerte Ausgrabungs-Furor der Nazis vor allem in Osteuropa | |
| sollte handfeste Beweise für die Legitimität der Expansionspolitik liefern. | |
| Demnach galten die Deutschen nicht nur als „Volk ohne Raum“, sondern auch | |
| als rechtmäßige Erben eines europaweiten frühgermanischen Reiches – dessen | |
| Spuren es schnellstmöglich zu sichern galt. Die Konkurrenz zwischen | |
| Heinrich Himmlers „SS-Ahnenerbe“ und Alfred Rosenbergs „Reichsbund für | |
| Vorgeschichte“, den beiden wichtigsten NS-Organisationen in Sachen | |
| prähistorischer Forschung, führte dabei zu einem aberwitzigen | |
| archäologischen Wettlauf: Teilweise wurde schon direkt auf dem Schlachtfeld | |
| oder unmittelbar hinter der Front gegraben, um die jeweils anderen | |
| auszustechen. Einer der schnellsten war SS-Obersturmbannführer Herbert | |
| Jankuhn, der als Haithabu-Ausgräber auch noch in der Bundesrepublik große | |
| Anerkennung genoss. Jankuhns Sonderkommando rückte regelmäßig zusammen mit | |
| Waffen-SS und Wehrmacht in die eroberten osteuropäischen Städte ein: | |
| Während die einen die jüdische Bevölkerung massakrieren, plünderten die | |
| anderen – Jankuhn – die örtlichen Museen auf der Suche nach „germanische… | |
| Objekten. | |
| Die dahinter stehende Theorie war simpel: Während der Völkerwanderungen | |
| seien einige Germanen östlich der Oder zurück geblieben, was die dortigen | |
| slawischen Völker überhaupt erst zu Staatenbildungen befähigt habe. So | |
| absurd sie war – diese Annahme führte zu groß angelegten rassenbiologischen | |
| Untersuchungen der ansässigen Bevölkerung, um sie in „eindeutschungsfähig�… | |
| und „minderwertig“ zu sortieren. | |
| Das Foto aus dem ukrainischen Solonje zeigt aber nicht nur Jankuhn, der | |
| sich, die Hand an der Uniform-Koppel, offenbar höchst zufrieden mit einem | |
| weiteren Uniformierten unterhält. Auf zwei weiteren Mäuerchen stehen | |
| Tropenhelm-Träger: klassisch weiß gewandete Archäologen – „befreundete | |
| Forscher aus germanischen Ländern“, wie Jankuhn schreibt. Es ist kein | |
| Zufall, dass es sich hier um seinerzeit bekannte niederländische | |
| Wissenschaftler handelt: Während ein Großteil der dortigen Archäologen mit | |
| den Deutschen kooperierte, war die Situation etwa in Norwegen ganz anders. | |
| Die „nordgermanischen“ Kollegen widersetzten sich in ihrer überwältigenden | |
| Mehrheit hartnäckig der Instrumentalisierung durch die Deutschen. | |
| ## Widerspenstige Norweger | |
| Die Osloer Museumsdirektoren Anton Brøgger und Sigurd Grieg ließen sich | |
| lieber verhaften, als das wegen seines hohen Alters und seiner reichen | |
| Verzierungen berühmte Snartemo-Schwert an Himmler herauszugeben. Nicht | |
| einmal Bestechung half: Vergebens sicherten die Deutschen den Einsatz von | |
| viel Geld und technischen Errungenschaften wie der mit Hochdruck | |
| entwickelten Dendrochronologie für die norwegischen Ausgrabungsstätten zu. | |
| Und noch drei weitere Menschen auf dem klug gewählten Foto werfen | |
| Schlaglichter auf Bedeutung und Abgründe der Archäologie im „Dritten | |
| Reich“: Ein hochmodern wirkendes Kamerateam steht am Rand der Grube – Teil | |
| des riesigen Propaganda- und Dekorationsaufwands, mit dem das „Germanentum“ | |
| das Leben im NS-Staat durchwob. In der Ausstellung sind zahlreiche Exponate | |
| aus allen Bereichen des Alltags zu finden: Kein Autobahnbau ohne Verweis | |
| auf „germanische“ Bohlenwege, kein Weihnachten, respektive: Julfest, ohne | |
| runenverzierte Christbaumkugel. | |
| Uta Halle, Bremer Landesarchäologin und Initiatorin der Ausstellung, sieht | |
| wenig Positives in der Vergangenheit ihrer Zunft: „Fast alle deutschen | |
| Archäologen beteiligten sich an der Verbreitung nationalsozialistischer | |
| Ideen und der Plünderung fremder Kulturgüter.“ Das sei bis in die | |
| 90er-Jahre hinein Tabu-Thema gewesen. Gab es gar keinen „archäologischen | |
| Widerstand“? Halles Antwort: „Null.“ | |
| Nach 1945 waren dann trotzdem alle im Widerstand gewesen. Das gängige | |
| Argumentations-Schema: Man musste der SS beitreten, damit die Archäologie | |
| nicht dem völkischen Eiferer Rosenberg anheimfiel, der zum „Reichsminister | |
| für die besetzten Ostgebiete“ avancierte. Im Februar 1945 waren es | |
| allerdings die SS-Archäologen, die den Parteiausschluss von Hans Reinerth | |
| erreichten, Rosenbergs oberstem Ausgräber. Sie warfen ihm | |
| Judenfreundlichkeit vor: Er habe es unterlassen, einen jüdischen Mann aus | |
| einem Ausgrabungsfoto zu retouchieren. | |
| Eine wichtige Leistung der Ausstellung besteht darin, nicht nur die | |
| Nachkriegs-Karrieren der Wissenschaftler, sondern auch die Spur des | |
| Germanenmythos bis in die Gegenwart hinein zu verfolgen. Spannend ist dabei | |
| die gesellschaftliche Spreizung der Exponate: CD-Booklets und Magazine | |
| belegen die Begeisterung der Rechtsextremen für alles „Germanische“ – in | |
| den Vitrinen finden sich aber auch Titelseiten von Stern und Spiegel. Für | |
| letzteren war die Entdeckung der Himmelsscheibe von Nebra Anlass genug, die | |
| vermeintlichen lang unterschätzten Vorfahren endlich von den Bäumen zu | |
| holen. Der Spiegel-Originalton im Jahr 2002: „Nun treten jäh auch aus dem | |
| nordischen Hain Mathematiker und gewiefte Kosmologen. Nebra beweist: In | |
| Ur-Germanien lebten kleine Einsteins.“ | |
| ## Ungebrochene Präsenz | |
| Was aber hat die Spielzeug-Figur „Gefürchteter Nordmann“ in der | |
| Museums-Vitrine zu suchen? Die brachte die Firma Schleich noch im | |
| vergangenen Jahr auf den Markt – in der Reihe „Neue Helden“. Für Kurator… | |
| Halle ist sie in ihrem wild-furchtlosen Gestus ein Beleg für die | |
| ungebrochene Präsenz NS-geprägter Germanen-Bilder. Bekannt ist, dass sowohl | |
| bei Wikinger-Reenactments als auch bei Mittelaltermärkten unter anderen | |
| rechtsextrem orientierte Akteure vertreten sind. Aber zeugen | |
| Runen-verzierte Werkstücke nicht schlichtweg von einem unreflektierten | |
| Dekorationsbedürfnis? Oft stecke mehr dahinter, sagt Dirk Mahsarski, | |
| Historiker und Mitkurator der Ausstellung. In Gesprächen mit Handwerkern | |
| und Ausstellern sei er wiederholt mit rechtslastiger Ideologie konfrontiert | |
| worden. | |
| Im Übrigen liefert selbst der renommierte Theiss-Verlag aus Stuttgart, der | |
| den hoch informativen Ausstellungskatalog herausbrachte, Beispiele für eine | |
| ungebrochene Germanen-Mythologisierung: Unbekümmert lässt er Magazine mit | |
| opulenten „Germanen“-Covern drucken – als habe er die eigene | |
| Forschungspublikation gar nicht zur Kenntnis genommen. Cäsar hat ganze | |
| Arbeit geleistet. | |
| ## „Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz“: bis 8. Septembe… | |
| Bremen, Focke-Museum | |
| 15 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Henning Bleyl | |
| Henning Bleyl | |
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| Museum | |
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