# taz.de -- Die Wahrheit: Bolzenschneider für Sexistenschlösser | |
> Rund um die Welt bezeugen Paare ihre ewiglich währende Verbundenheit, | |
> indem sie gravierte Vorhängeschlösser an Brückengeländern verankern. | |
Bild: Liebe? Wohl eher zwanghafte Obsession | |
Neulich gegen Abend fügten sich zwei wohltuend triviale Begebenheiten | |
raffiniert aneinander. Zunächst eilte ich zum Programmkino. Eilte, weil in | |
wenigen Minuten „Kiss me, Stupid“ anfangen würde, Billy Wilders zynische | |
Komödie, den die Kritik überwiegend notorisch unterbewertet. Dean Martin | |
spielt darin mehr oder minder dieselbe Rolle, die ihn als Entertainer | |
berühmt gemacht hat. Eingangs witzelt Martin im Finale einer | |
Las-Vegas-Show, auf eine der Revuetänzerinnen deutend: „Ist sie nicht | |
sagenhaft? Gestern Nacht hat sie eine Dreiviertelstunde an meine Tür | |
geklopft!“ (Pause) „Aber ich habe sie nicht rausgelassen.“ So viel zur | |
Sexismus-Debatte anno 1964. | |
Ich gehöre zu der Sorte kauziger Zeitgenossen, die ohne Smartphone | |
auskommen, radelte also nach „Küss mich, Dummkopf“ kurz ins Büro, um das | |
Netz und die Elektropost zu checken. Reflexhaft erklickte ich „spiegel.de“, | |
und es sprang mich eine Schlagzeile an: „Milliardenschwerer Forschungsplan: | |
Das teuerste Gehirn der Welt“. Wie jeder normale Mensch dachte ich, man | |
meine mich und werde mir demnächst eine erkleckliche Summe anbieten. | |
Pustekuchen, Fehlanzeige, denkste. | |
Insofern gab ich mich nur leidlich zufrieden mit der Verknüpfung aus | |
Blödigkeit und Genialität, sodass der Einfaltspinsel in mir zum Durchlüften | |
eine Laufrunde um den See zu drehen sich anschickte. Während der | |
Verschnaufpause bei meditativen Dehnübungen, die Profitrainer bestaunen | |
würden, fiel mein Blick auf das Geländer, das den Bootssteg säumt. | |
Wie an der Hohenzollernbrücke in Köln, wie in Dresden, Hamburg, München, | |
wie in St. Petersburg, Paris, Helsinki und an der Brooklyn Bridge in New | |
York hängen hier Liebesschlösser: Ein Paar beweist seine Verbundenheit, | |
indem es ein Vorhängeschloss, gern graviert mit den Vornamen und einem | |
Datum, am Geländer verankert, somit gleichsam sich selbst ankettet und den | |
Schlüssel ins Wasser wirft, auf dass es ewiglich währe. | |
Es handele sich um eine „Statusmarkierung“, so nennt es der Soziologe | |
Kai-Olaf Maiwald: „Mit der Beseitigung der Schlüssel machen sich ihre | |
Besitzer selbst symbolisch zu den unbefugten Dritten, gegen die ihr Besitz | |
– die Beziehung – gesichert werden muss. Die Verbindung selbst erscheint | |
damit als prekär, weil jederzeit lösbar.“ | |
Diese Deutung entsprach einem Gedankenspiel, das mich auf dem Bootssteg | |
öfters verfolgt. Ich entdecke ein Vorhängeschloss mit „Iris + Jens“, eines | |
mit „Iris + Hubert“, ein drittes nennt „Iris & Michael“, und so fort. Es | |
gesellten sich merkwürdigerweise Vorhängeschlösser von Joschka Fischer | |
(lebt in fünfter Ehe) und Gerhard Schröder (in vierter Ehe) hinzu. Jene | |
Iris aber war überall und gewissermaßen nirgendwo. „Wenn in unserem | |
Bekenntnis zur Beziehung noch gegenwärtig ist, dass wir selbst das größte | |
Risiko ihrer Auflösung darstellen, dann ist der Gedanke an den | |
Bolzenschneider nicht weit.“ | |
Bolzenschneider, das Stichwort gefiel mir. Und ich trottete munter weiter, | |
quer durch die Sexismus-Debatte Richtung Las Vegas womöglich. | |
5 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Dietrich zur Nedden | |
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