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# taz.de -- Die Wahrheit: Das wilde Leben am Nabel der Welt
> Nachgezählt hab ich es nicht direkt, ich vertraue der errechneten
> Schätzung: Auf diesem Planeten leben derzeit etwas mehr als sieben
> Milliarden Menschen.
Nachgezählt hab ich es nicht direkt, ich vertraue der errechneten
Schätzung: Auf diesem Planeten leben derzeit etwas mehr als sieben
Milliarden Menschen. Die allermeisten wiederum, vermute ich, halten sich –
zwangsläufig, kurzweilig oder mutwillig – für den Nabel der Welt.
Genauso wenig überraschend registriert das „Wortprofil“ des digitalen
Wörterbuchs für die Nabelschau überwiegend abfällige Attribute, es
verzeichnet ideologische, narzisstische, nationale Nabelschau,
provinzielle, selbstverliebte, sentimentale Nabelschau und so fort.
Die hinlänglich bekannten Konstellationen nehmen derweil eine frische Farbe
an, betrachtet man das „Belly Button Biodiversity“-Projekt seitens der
Biologen der North Carolina State University. Sie haben bislang Abstriche
aus einigen hundert Bauchnabeln eingefahren, um die Terra incognita
bakteriologisch zu analysieren.
Schon die Analyse der ersten neunzig hat die Wissenschaftler in
abenteuerliche Urwälder verschlagen: „Wir sahen einen verrückten,
klaffenden Reichtum des Lebens“, schreibt Rob Dunn, einer der Beteiligten,
in seinem Blog. Die entsprechende Internetseite des Projekts heißt
sinnigerweise [1][yourwildlife.org].
Die Vielfalt an Bakterien, die übrigens weitgehend nützliche Dienste
leisten, spielt ins Mysteriöse. Insgesamt 2.368 Arten wurden unterschieden,
1.400 davon waren unbekannt beziehungsweise zuvor auf keines Menschen
Körper angetroffen worden. Dies schreibt auf seinem Blog der
Wissenschaftsjournalist Carl Zimmer, der seinen Bauchnabel entblößt hatte.
Dem wurden 53 verschiedene Keime zugeordnet, 17 davon tauchten in keinem
anderen Wattestäbchen auf.
Eine Art namens Marinas fand man bislang nur im Weltmeer. Eine andere
verdutzte Zimmer so, dass er eine Pointe für seinen Artikel draus
schnitzte. Die Spezies Georgina hat man bis jetzt nur in japanischem Boden
ausgemacht. Er habe sich jedoch noch nie in Japan aufgehalten. „Aber Japan
offensichtlich bei dir“, antwortete ihm Rob Dunn per Mail.
Einer der Teilnehmer, erzählt Dunn, beichtete, er habe sich seit Jahren
nicht gewaschen. Und was entdeckte man? Er beherbergte zwei Archaea-Arten,
das sind Einzeller, die man auch Urbakterien nennt.
Apropos „Ur“: Wir klinken kurz den mikrobiologischen Dschungel-Diskurs aus
und orientieren uns in kulturgeschichtlicher Richtung. Neugierig wollte ja
einst Zeus ergründen, wo die Mitte der Erde liegt. Und so ließ er an deren
entgegengesetzten Enden zwei Adler aufsteigen, die aufeinander zuflogen.
Sie trafen sich in Delphi, wo später mitsamt dem Orakel der Omphalos, der
Nabel der Welt, errichtet wurde.
Unter diesem, klaro: phallischen Stein befindet sich das Grab des Dionysos,
Gott des Weins, der Fruchtbarkeit und der Ekstase. Zugleich ist es, weiß
der Himmel, nicht unwahrscheinlich, dass das Sinnbild vom Nabel der Welt
auch deshalb eindrücklich entsprungen ist, weil unser Bauchnabel das Portal
ist, durch das wir mit der Mutter verbunden waren. Unsere allererste Narbe
verwildert ekstatisch. Oder so ähnlich.
5 Dec 2012
## LINKS
[1] http://yourwildlife.org
## AUTOREN
Dietrich zur Nedden
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