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# taz.de -- Die Wahrheit: Eigendebatte im Halbschlaf
> Das Gehirn sei genauso doof wie die Milz, versicherte neulich, noch ehe
> der Morgen graute, eine innere Stimme, ohne die Quelle für ihre schlanke
> These zu offenbaren.
Das Gehirn sei genauso doof wie die Milz, versicherte neulich, noch ehe der
Morgen graute, eine innere Stimme, ohne die Quelle für ihre schlanke These
zu offenbaren. Dass der Satz in dem zuerst genannten Körperorgan reflexhaft
klabasterte, nimmt nicht Wunder. So wenig wie das Geständnis, dass niemand
im gesamten Ich-Ensemble zu erklären vermag, was die Milz im leiblichen
Gesamtgefüge eigentlich so treibt. Gleich nach den ersten drei Espressi
würde ich das in dieser Hinsicht gar nicht doofe Netz ansteuern.
Ich döste, rang um ein paar Restschlaftricks. Ein Buchfink zippte geduldig
im Hof. Weitere fadenscheinige Nachtgedanken mäanderten im Hin und Wider,
zunächst solche, die auf soliden Selbstzweifeln gründen. Die gelten als
Indiz fürs Erwachsensein, wie ich mir habe sagen lassen, ich wusste bloß
grad nicht, von wem. Die Ratlosigkeit, was den Autorennamen anbelangt,
verknüpfte sich sofort mit der leidigen Urheberrechtsdebatte, die
schiefläuft, weil die meisten Urheber dies Recht mit den Nutzungsrechten zu
verwechseln scheinen. Niemand will das Urheberrecht abschaffen. Mit den
Nutzungsrechten jedoch hat der eine oder andere Verlag, Ewigkeiten bevor
die digitale Inflationsepoche anbrach, Autoren gegenüber Schindluder
getrieben.
Der seriöse Tonfall war dringend zu verscheuchen, auch eingedenk eines
Satzschnipsels des Systemtheoretikers Peter Fuchs, der irgendwo „den ganzen
Budenzauber der humorlosen Besserwisserei“ füglich anprangert. Untalentiert
geriet ich in flache Gefilde. Probehalber und kalendarisch bedingt strickte
ich die Eisheiligen in die Scheinheiligen. Einmal dürfen Sie raten, was mir
das doofe Hirn anbot? Die Scheißheiligen.
Da ich mit denen nichts anzufangen verstand, schnappte ich nach dem
Stichwort „stricken“. Ich las dieser Tage ab und zu in Homers „Odyssee“.
Als Patronin aller Strickliesel und Luftmaschenhäkler gilt Penelope, die
Gemahlin des Odysseus. Während dessen Irrfahrt trickst sie die zahllosen
Freier aus. Bevor sie einen von ihnen erwähle, müsse sie ein Totentuch
stricken für ihren Schwiegervater, beteuert Penelope. Des Nachts trennt
sie, was sie tags gewebt hat. Jetzt blätterte ich im neunzehnten Gesang.
Als Odysseus im Gewand eines zerlumpten Bettlers zurückkehrt, erkennt ihn
Penelope nach zwanzig Jahren nicht, ermuntert den Fremdling jedoch: „Aber
wohlan! Nun höre und deute mir folgendes Traumbild.“
Penelopes Unachtsamkeit lässt sich erklären, doch es gibt etliche
Schattierungen der Vergesslichkeit. Das Hirn des Ehemanns, der den
Hochzeitstag vergisst, muss nicht im Tunnel der Magnetresonanztomografie
bebildert werden, ungeachtet der Ansicht seiner Gattin. Hat er allerdings
vergessen, verheiratet zu sein, wäre ein Neurologe der Fachmann der Wahl,
nicht die Eheberaterin.
Die sprießenden Traumbilder und Verbindungsnetze, von denen hier ein
kümmerlicher Ausschnitt scheinheilig präsentiert sei, überlappte der Alltag
flugs. Worauf man sich verlassen kann, wie doof das Gehirn auch sein mag.
6 Jun 2012
## AUTOREN
Dietrich zur Nedden
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