# taz.de -- Stadt wird entwickelt: Gentrifizierung von oben | |
> Am Samstag öffnet die Internationale Bauausstellung (IBA) in Hamburg ihre | |
> Tore. Die Aufwertung, die die Stadt heute in anderen Vierteln bremsen | |
> will, wird hier bis zum 3. November gefeiert. | |
Bild: Macht ihrem Namen alle Ehre: Die Bauausstellung ist noch nicht fertig. | |
HAMBURG taz | Eigentlich hängt es einem in Hamburg ja schon ziemlich aus | |
den Ohren raus, dieses ganze Gerede von der IBA. Sieben Jahre lang zog die | |
Internationale Bauausstellung (IBA) in Wilhelmsburg auf einer Fläche von 35 | |
Quadratkilometern 63 Projekte hoch, die für den lange vernachlässigten | |
Hamburger Süden wegweisende Lösungen bringen sollen. An diesem Wochenende | |
öffnet die IBA Hamburg ihre Tore und präsentiert ihre Vision für die Stadt | |
von morgen. | |
Unter dem Slogan „Sprung über die Elbe“ ist der Hamburger | |
„Problemstadtteil“ Wilhelmsburg in den Fokus der Stadtentwicklung geraten. | |
An das Postulat erinnert ein springendes Männchen, das zum Symbol für den | |
Sprung vom Hamburger Norden über die Elbe und zum Symbol der Bauausstellung | |
geworden ist. Insgesamt eine Milliarde Euro sind durch die IBA, ein | |
Tochterunternehmen der Stadt, in die Entwicklung der Elbinsel geflossen. | |
Unter der Maßgabe den bis dahin vernachlässigten Stadtteil nach allen | |
Regeln der Kunst aufzuwerten. | |
Für KritikerInnen ist das nichts anderes als Gentrifizierung von oben: Die | |
Pläne stießen in Wilhelmsburg von Anfang an auf Widerstand. Im September | |
2007 schon initiierten KünstlerInnen der Hochschule für bildende Künste | |
(HfbK) die Internationale Abriss-Ausstellung (IAA). | |
Die IBA-Planer sprechen dagegen von einer „Aufwertung ohne Verdrängung“. Um | |
dieses Ziel zu erreichen, hat es sich die IBA zur Aufgabe gemacht, neue | |
Bevölkerungsschichten – nämlich solche mit höherem Einkommen und Kreative, | |
die für ein hippes Image sorgen sollen – nach Wilhelmsburg zu locken. | |
Die Idee folgt dem Leitbild der „wachsenden Stadt“, das der Senat unter | |
Bürgermeister Ole von Beust (CDU) bereits im Jahr 2001 aus dem Hut | |
gezaubert hat, um Hamburg fit zu machen für den Wettbewerb der Metropolen. | |
Damit trieb von Beust die schon von seinen SPD-Vorgängern initiierte | |
Innenstadterweiterung voran, die sich nicht nur auf das ehemalige | |
Hafengelände, die Hafencity erstrecken sollte – sondern später auch auf die | |
Stadtteile auf den Elbinseln. Diese Stadtteile sollten mit der | |
Bauausstellung stärker in die Stadt integriert werden. | |
## Der Stadtteil | |
Wilhelmsburg ist ein armer Stadtteil. Einer Studie des Bezirksamtes Hamburg | |
Mitte zufolge sind über elf Prozent der Menschen arbeitslos – das sind fast | |
doppelt so viele wie im Hamburger Durchschnitt. Jede vierte | |
WilhelmsburgerIn lebt von staatlichen Transferleistungen. Mehr als die | |
Hälfte der Wilhelmsburger Haushalte haben im Monat weniger als 1.500 Euro | |
zur Verfügung. Wilhelmsburg ist aber auch ein kulturell vielfältiger | |
Stadtteil. Jede dritte WilhelmsburgerIn kommt aus einem anderen Land, | |
beinahe jede zweite hat einen Migrationshintergrund. Und der Stadtteil ist | |
im Vergleich zum Hamburger Durchschnitt besonders jung. | |
Gerade wegen dieser Vielfalt, aber auch, weil die Mieten hier immer noch | |
niedrig waren – im Jahr 2000 langen sie im Schnitt noch bei 3,50 Euro –, | |
zogen Studierende und Menschen dort hin, die die steigenden Mieten in | |
anderen Stadteilen nicht mehr bezahlen konnten oder wollten. | |
Auch städtebaulich gilt Wilhelmsburg als ein Stadtteil der Gegensätze. Im | |
Norden und Westen der Elbinsel liegt der Hafen mit seinen Industrie- und | |
Lagereibetrieben, daneben Wohnviertel, im Osten und Süden ist es fast | |
ländlich, wären da nicht die vielen Straßen, auf denen Abertausende Autos | |
täglich an Kleingärten und Wohnhäusern vorbeirauschen. Hier verläuft die | |
Bahnstrecke, die Hamburg mit dem Süden der Republik verbindet, und die A1 | |
von Bremen nach Lübeck. Im Osten stehen in einer Siedlung Einfamilienhäuser | |
neben Hochhäusern, beinahe ein ländliches Idyll – wäre daneben nicht die | |
Autobahn. | |
## Die Bauausstellung | |
Die IBA-Planer hatten den Auftrag, für die drängenden Probleme des | |
Stadtteils vorbildliche Konzepte zu liefern. Zur Eröffnung macht die | |
Bauausstellung ihrem Namen alle Ehre: 17 Bauprojekte werden am Wochenende | |
noch im Bau sein, rund drei Viertel der IBA-Projekte sind inzwischen | |
fertig. Die IBA setzt auf Experimente. So ist das Algenhaus mit seinen 15 | |
Wohnungen das erste Gebäude mit Mikroalgen in der Fassade. Wilhelmsburg | |
soll von originellen Wohnräumen, Bildungsprojekten und klimafreundlichen | |
Energiequellen profitieren. Eine ehemalige Giftmülldeponie wurde | |
umfunktioniert zum Energieberg, dort sollen zwei Windräder und eine | |
Photovoltaikanlage 4.000 Haushalte mit Strom versorgen. | |
Die Verkehrsprobleme wollte die IBA ebenfalls angehen. Doch in Sachen | |
Verkehrsplanung konnte sich die IBA nicht durchsetzen. Eigentlich wollte | |
IBA-Chef Uli Hellweg eine der großen Verkehrsachsen, die Wilhelmsburger | |
Reichsstraße, stadtteilverträglich zurückbauen, doch damit scheiterte er am | |
Senat, der die Straße gegen den Willen vieler WilhelmsburgerInnen an die | |
Bahntrasse verlegen will. Dass mit dieser Entscheidung der Charakter einer | |
Stadtautobahn noch verstärkt wird, kritisiert auch der Umweltverband BUND. | |
Manfred Braasch, der Geschäftsführer des Hamburger BUND, sagt, der große | |
Wurf zum Thema Klimawandel sei der IBA nicht gelungen. Denn zentrale | |
Klimaschutz-Projekte, wie die Klimahäuser an Haulander Weg, in denen 350 | |
Wohnungen entstehen sollten, seien zwar geplant, aber nie umgesetzt worden. | |
Die größte Herausforderung des Klimaschutzes – die Sanierung bestehender | |
Gebäude – hat die IBA aus Sicht des BUND nur unzureichend gemeistert. Denn | |
um die Großwohnsiedlungen im Wilhelmsburger Süden hat die IBA bei der | |
Sanierung einen großen Bogen gemacht. | |
## Bezahlbarer Wohnraum | |
In Hamburg mangelt es an bezahlbaren Wohnraum. Im sogenannten | |
„Weltquartier“ wurden die Wohnungen nach den Bedürfnissen der Bewohner | |
saniert, weil die Wohnflächen dort vergrößert wurden. Dabei sind jedoch | |
einige Wohnungen weggefallen. Andere Bauvorhaben, wie das im | |
Korallusviertel, wurden nicht umgesetzt. Die IBA ist dennoch stolz, dass | |
sie 1.217 neue Wohnungen gebaut hat. Das Statistikamt Nord, das auch die | |
abgerissenen Wohnungen abzieht, kommt dagegen auf 280 neue Wohnungen, die | |
seit 2007 in Wilhelmsburg gebaut wurden. Viel zu wenig, finden die | |
Kritiker. | |
Während in der ganzen Stadt über den Bau bezahlbarer Wohnungen diskutiert | |
werde, richten sich die von der IBA geförderten Bauvorhaben zum Großteil an | |
Besserverdienende, kritisiert die Initiative „Arbeitskreis | |
Umstrukturierung“ (AKU). Sogar die sogenannten „Smart Price Houses“ in der | |
neuen Mitte Wilhelmsburg mit ihren 150 Quadratmeter großen | |
Zwei-Zimmer-Wohnungen werden für elf Euro kalt pro Quadratmeter angeboten. | |
Weil in den letzten Jahren aber mehr Menschen nach Wilhelmsburg gezogen | |
sind, verschärfe, so die Kritiker, die IBA die Lebensbedingungen im | |
Stadtteil. | |
Als Folge der Aufwertung sind die Mieten in Wilhelmsburg in den letzten | |
Jahren stark gestiegen: Der durchschnittliche Quadratmeterpreis für | |
Mietwohnungen liegt inzwischen bei rund sieben Euro kalt. Zwischen 2006 und | |
2012 sind die Mieten damit um 20 Prozent, die Angebotsmieten bei | |
Neuvermietung sogar um 35 Prozent gestiegen. | |
22 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
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