# taz.de -- Bizarre Stadtentwicklung: Oper gegen Künstler | |
> Senat will Zinnwerk in Wilhelmsburg abreißen, um Platz für den | |
> Opernfundus zu machen. Kreative und Kleingewerbe sollen weichen. | |
Bild: Große Oper braucht großen Fundus: Britten-Inszenierung. | |
Viel ist nicht mehr übrig vom alten Wilhelmsburg. Nun soll es auch den | |
roten Backsteinbauten am Veringkanal an den Kragen gehen. Der Senat will | |
das alte Zinnwerk abreißen, um Platz für den neuen Fundus der Hamburgischen | |
Staatsoper zu schaffen. Für den Opernfundus soll hier ein 18 Meter hoher | |
Neubau entstehen. | |
Das ehemalige Zinnwerk hat sich seit 2011 vor allem zu einem Schmelztiegel | |
für die Wilhelmsburger Kreativszene entwickelt. Insgesamt 24 KünstlerInnen | |
sind hier heute angesiedelt. „Was hier entstanden ist, stellt doch | |
eigentlich den Traum eines jeden Stadtplaners dar“, sagt Marco Antonio | |
Reyes Loredo, der mit seiner Hirn und Wanst GmbH die Show „Konspirative | |
Küchenkonzerte“ produziert. Die Sendung war bereits zwei Mal für den | |
Grimme-Preis nominiert. Die KünstlerInnen sehen sich als eine kleine | |
Familie und sind eng mit dem Standort verbunden. | |
Auch Christin Hinrichs ist Teil der Familie am Veringkanal. Die Kinder der | |
Online-Projektmanagerin können unbeschwert in den Räumen der Zinnfabrik | |
spielen. Es gibt sogar eine kleine Spielecke, falls die Kinder einmal nicht | |
in die Kita um die Ecke können. „Es ist hier ideal, um selbstständig | |
arbeiten zu können“, sagt Hinrichs, die sich ein Büro mit Jörg Ehrnsberger | |
teilt. „Für mich ist es wichtig, hier im Stadtteil zu sein und den Alltag | |
der SchülerInnen zu erleben“, sagt Ehrnsberger, der für die gemeinnützige | |
Bildungsorganisation Teach First verschiedene Schulen in Wilhelmsburg | |
betreut. | |
Auch die SchülerInnen profitieren von der Nähe zu den KünstlerInnen in der | |
Zinnfabrik. „Es ist eine einzigartige Bereicherung für viele Projekte. Man | |
darf das nicht auf verschiedene Flächen aufteilen“, sagt Ehrnsberger. Antje | |
Truelsen schätzt die Zusammenarbeit in der Zinnfabrik. Die Bildhauerin | |
musste bereits ihr Atelier in St. Pauli aufgeben. „Ich hatte das Gefühl, | |
hier angekommen zu sein und bleiben zu können“, sagt sie. | |
Warum der Opernfundus ausgerechnet nach Wilhelmsburg kommen soll, ist den | |
KünstlerInnen unverständlich. Aus einer Kleinen Anfrage der Grünen in der | |
Bürgerschaft geht hervor, dass es Alternativen in Billbrook oder Moorfleet | |
gibt. „Leider ist die Politik des Senats sehr intransparent“, sagt Loredo. | |
Für die Bedürfnisse des Opernfundus hat er Verständnis. „Ich wünsche mir | |
einen schönen Ort für den Opernfundus, aber nicht auf einer Fläche, die | |
noch so viel Potenzial hat wie diese.“ Die Bezirkspolitik sucht derzeit | |
nach Ausweichmöglichkeiten für die Kreativen und KünstlerInnen. Für das | |
Kleingewerbe am Veringkanal wird es jedoch kaum Alternativen geben. | |
Getränkehändler Klaus Meerkötter war einer der Ersten, der die Kündigung | |
der Sprinkenhof AG in den Händen hielt. Der Laden, den er gemeinsam mit | |
seiner Frau Renate betreibt, steht vor dem Aus. Dabei ist der letzte Umzug | |
noch nicht lange her. Bereits 2011 musste das Traditionsgeschäft den | |
Standort wechseln, um Platz für den Energiebunker der Internationalen | |
Bauausstellung (IBA) zu machen. Sein Vater hatte den Getränkehandel 1954 | |
gegründet. „Wir sind ein Stück vom Stadtteil. Nächstes Jahr hätten wir | |
60-jähriges Betriebsjubiläum, aber einen weiteren Umzug werde ich nicht | |
schaffen“, sagt Meerkötter. | |
Nach dem letzten Umzug hatte er hier auf eigene Kosten alles renoviert. | |
Schon im Juni muss der Laden schließen. Die Nähe zu seinen KundInnen ist | |
Meerkötter wichtig. Es ist für ihn selbstverständlich, älteren KundInnen | |
die Wasserkiste bis in die Wohnung zu tragen. „Wir haben durch den letzten | |
Umzug bereits Kunden verloren. Die Kündigung nimmt uns alle Perspektiven“, | |
sagt seine Frau Renate. | |
Auf dem Nachbargrundstück sind auch der Reifenhandel von Oktay Akkaya und | |
die Lackiererei von Naim Elezaj in ihrer Existenz bedroht. Akkaya hatte | |
1997 das Gelände für sein Unternehmen erst bebaubar gemacht. 40 | |
Lkw-Ladungen Kies waren nötig, um die brach liegende Fläche herzurichten. | |
Auch Elezaj hat in seine Lackiererei viel investiert. Seit 32 Jahren | |
besteht der Betrieb in Wilhelmsburg. „Gerne würde ich noch weitere | |
Arbeitsplätze schaffen, aber durch die Kündigung müssen wir jetzt wohl | |
dicht machen“, sagt er. | |
Am Veringhof hoffen alle auf ein gutes Ende. Schon lange ist das Sommerfest | |
der Hamburger Kreativgesellschaft auf dem Gelände der Zinnfabrik geplant. | |
Alle hier würden zu dieser Gelegenheit gerne mit Senatoren und dem | |
Opernfundus auf die Zukunft der alten Zinnfabrik anstoßen. „Jeder ist hier | |
willkommen, nur keine Abrissbagger“, sagt Loredo. | |
29 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Dominik Brück | |
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taz.gazete | |
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