# taz.de -- Türkischer Starpianist verurteilt: Bewährungsstrafe für Blasphem… | |
> Gotteslästerliche Tweets sind keine Kleinigkeit – zumindest nicht in der | |
> Türkei. Dort steht der Pianist Fazil Say nun nach eigenem Bekunden vor | |
> der Exilierung. | |
Bild: Skeptischer Blick in die Zukunft: Fazil Say. | |
ISTANBUL taz | Der einzige türkische Pianist und Komponist von Weltrang, | |
Fazil Say, ist am Montag [1][wegen Blasphemie] in Istanbul zu zehn Monaten | |
Gefängnis verurteilt worden. Der 43jährige Fazil Say soll durch mehrere | |
[2][Tweets] die religiösen Gefühle von drei Klägern herabgewürdigt haben. | |
Da Fazil Say nicht vorbestraft ist, wurde die Gefängnisstrafe für fünf | |
Jahre zur Bewährung ausgesetzt. | |
Der Pianist Fazil Say, der schon mit den Berliner Philharmonikern und den | |
großen Orchestern in New York, Tokio und Israel spielte, hat sich bei den | |
türkischen Konservativen unbeliebt gemacht, weil er als erklärter Atheist | |
zu den bekanntesten Kritikern der regierenden islamischen AKP gehört. Seine | |
Musik wird im Gegenzug von AKP-Funktionären oft als westlich geschmäht, die | |
vom türkischen Volk abgelehnt werde. | |
Anlass für die Verurteilung, hinter der drei Kläger stecken, die zumindest | |
teilweise zu einer bekannten türkischen Kreationistenbewegung gehören, sind | |
mehrere Tweets, in denen Fazil Say sich über einen Imam lustig macht, oder | |
islamische Verse eines mittelalterlichen Dichters, Ömer Kkayyam, retweetet | |
hatte, der damals schrieb: „Du sagst, in den Flüssen (im Paradies) wird | |
Wein fließen – ist denn das Paradies eine Kneipe“? Sein später am | |
häufigsten zitierter Tweet lautete: „Ich weiß nicht ob du es bemerkt hast, | |
aber immer wenn du Dumme und Lügner triffst, sind sie Gläubige an Gott“. | |
Die Verteidigung von Fazil Say hatte argumentiert, die Tweets seien | |
persönliche Meinungsäußerungen, die privaten Chrakter hätten, da sie ja nur | |
einem begrenzten Personenkreis zugänglich gewesen seien. Das Gericht lehnte | |
diese Argumentation jedoch ab, und sah die Kläger in ihren religiösen | |
Gefühlen verletzt. | |
## Symbiose Anatoliens und des Westens | |
In türkischen Künstlerkreisen ist die Verurteilung von Fazil Say mit | |
Entsetzen aufgenommen worden. Der bekannte Bildhauer Mehmet Aksöy, dessen | |
riesige Friedensstatue unweit der türkisch-armenischen Grenze auf Geheiß | |
von Ministerpräsident Tayyip Erdogan abgerissen werden musste, sagte, das | |
Urteil gegen Fazil Say „wirft uns 900 Jahre, hinter die Zeit von Ömer | |
Khayyam, zurück“. Für die Meinungsfreiheit in der Türkei sei die | |
Verurteilung von Fazil Say eine Katastrophe. | |
Fazil Say, der während der Urteilsverkündung nicht anwesend war, hatte | |
schon zu Prozessbeginn angekündigt, er werde die Türkei wohl verlassen, | |
falls er verurteilt wird. Das wäre nicht nur für ihn persönlich ein | |
schwerer Schlag, sondern auch für die türkische Kunst ein großer Verlust. | |
Denn anders als es ihm von den Kulturpolitikern der Regierung vorgeworfen | |
wird, zeichnen sich seine Kompositionen gerade dadurch aus, dass er eine | |
Symbiose von anatolischer Volksmusik mit westlicher Klassik versucht. Er | |
hat mit seiner Musik auch immer wieder auf aktuelle gesellschaftliche | |
Entwicklungen reagiert, zuletzt mit einer Komposition für den ermordeten | |
armenischen Journalisten Hrant Dink. | |
15 Apr 2013 | |
## LINKS | |
[1] /Kommentar-Verfahren-gegen-Fazil-Say/!103848/ | |
[2] http://twitter.com/fsayofficial | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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