# taz.de -- Schlagloch Ungleichheit: Die Oligarchen sind über uns | |
> Wir tun so, als hätten wir oligarchische Strukturen durch die | |
> parlamentarische Demokratie überwunden. Das ist Quatsch, wie Uli Hoeneß | |
> zeigt. | |
Bild: Man gibt sich gelassen, so als Oligarch: Uli Hoeneß beim Champions Leagu… | |
„ULI, DU TOR“, titelte Bild am Sonntag in gewohnter Ausblendung der | |
Realitäten. Uli Hoeneß ist kein Tor und auch kein Duzfreund des Volkes, | |
sondern ein gerissener Geschäftsmann, der sein Vermögen gegen den einzigen | |
Angriff zu verteidigen suchte, dem Oligarchen sich hierzulande ausgesetzt | |
sehen: der Besteuerung. | |
Vermögen, Reichtum, Wohlstand – es vergeht kaum ein Tag, an dem die Medien | |
nicht die wachsende Ungleichheit, die dubiosen Methoden, sein Geld vor dem | |
Staat zu verstecken, die Löcher in den Säckeln einerseits, die berstenden | |
Safes andererseits thematisieren. | |
Wir glauben inzwischen Bescheid zu wissen: Wer viel Knete hat, bunkert | |
diese auf Konten in Luxemburg, Liechtenstein, der Schweiz oder auf | |
sogenannten Offshore-Accounts (Schmuggler mit deutschem Pass haben dort | |
angeblich 250 Milliarden Euro angehäuft). Wir erfahren, dass in Deutschland | |
zwei Drittel der Bevölkerung so gut wie nichts besitzen, das reichste | |
Zehntel hingegen über 61 Prozent des Gesamtvermögens verfügt. | |
Weltweit sieht es noch extremer aus: Zwei Prozent halten mehr als die | |
Hälfte allen Vermögens. Im Jahre 2011 gab es weltweit 1.210 | |
Dollarmilliardäre, deren kumuliertes Vermögen höher ist als das | |
Bruttoinlandsprodukt Deutschlands. Und während der massenhaften Verelendung | |
der letzten Jahre haben die Reichsten der Reichen nur profitiert. | |
## Die Oberkaste | |
Ein Duktus der folgenlosen Empörung hat sich eingebürgert, so etwa wie der | |
gemeine Bürger über den Stau schimpft, dem er auf der Fahrt in jeden | |
Feierabend ausgesetzt ist. Die öffentliche Debatte bleibt zahm, weil sie | |
unter einem Tabu leidet. Wir diskutieren stets, in welchem Maß umverteilt | |
werden soll (besonders beliebt: die Debatte um den Höchststeuersatz), nicht | |
aber, ob Demokratie mit Vermögenskonzentration überhaupt vereinbar ist. Wir | |
streiten uns um kosmetische Operationen, statt eine grundsätzliche Heilung | |
anzustreben. Das beginnt schon mit der Sprache. Die sehr Reichen heißen bei | |
uns Superreiche, selten Oligarchen. | |
Wir tun so, als hätten wir oligarchische Strukturen durch die | |
parlamentarische Demokratie überwunden und verwenden das Wort nur, um im | |
selben Atemzug demokratische Defizite zu benennen, vor allem wenn es um | |
Russland geht. Dabei gibt es keinen Zweifel, dass es sich bei den | |
heimischen Krösussen um Oligarchen gemäß der gängigen | |
politikwissenschaftlichen Definition handelt (siehe das Standardwerk | |
„Oligarchy“ von Jeffrey A. Winters): Oligarchen sind gesellschaftliche | |
Akteure, die ihr massives Vermögen verteidigen und in politischen Einfluss | |
ummünzen können. Die Regulative der parlamentarischen Demokratie können | |
eine weitere Konzentration des Vermögens in den Händen einer oligarchischen | |
Elite nicht verhindern. | |
Der Einfluss dieser Oberkaste ist historisch gesehen erstaunlich resistent | |
gegen Angriffe von außen. Seit dem Altertum herrscht die Überzeugung vor, | |
es wäre ungerecht, das Ungleichgewicht, das sich aus Vermögenskonzentration | |
ergibt, zu korrigieren. Viele Ungerechtigkeiten sind erkannt, bekämpft und | |
überwunden worden, doch beharrlich hält sich die Auffassung, es wäre | |
falsch, gar böse, massiv konzentrierten Wohlstand zu verhindern oder zu | |
zerschlagen. Alle anderen Formen der Ungleichheit sind infrage gestellt und | |
viele abgeschafft worden, nicht aber die oligarchische Macht. | |
## Die Wachhunde | |
Kaum wagt einmal jemand einen Vorstoß in diese Richtung, heulen die | |
medialen Wachhunde des Vermögens auf. Der Spitzensteuersatz „greift den | |
Reichen in die Tasche“, er sei „exorbitant“, die Diskussion „fördert d… | |
Sozialneid“. Es werden Interviews mit Experten geführt, die bei einer | |
höheren Belastung der Vermögen den Untergang des Abendlandes vorhersehen. | |
Kein Wunder, sind diese doch Teil einer florierenden Branche, der | |
Vermögensverteidigungsindustrie, bestehend aus eifrigen Buchhaltern, | |
Rechtsanwälten, Steuerberatern und Lobbyisten. Extremes Vermögen erlaubt | |
einem, die eigenen Kerninteressen auf umfangreiche Weise zu schützen. | |
Michael Bloomberg, Milliardär und selbst gekaufter Bürgermeister von New | |
York (ein oligarchischer Champion im Vergleich zu dem Regionalisten Uli | |
Hoeneß), erklärte einmal süffisant: „Man kann jene, die mobil sind, gar | |
nicht überbesteuern!“ | |
## Die Verhandlungssache | |
Massiver persönlicher Reichtum beschädigt den Gleichheitsanspruch, auf den | |
eine halbwegs demokratische Gesellschaft nicht verzichten darf. Es gibt | |
kaum eine extremere Form von sozialer und politischer Machtkonzentration. | |
Materielle Ungleichheit bedingt politische Ungleichheit. Geld ist Macht, | |
sagt der Volksmund. Der überproportionale Einfluss der Oligarchen ist uns | |
allen bekannt, und doch wird im konventionellen Diskurs so getan, als wären | |
wir alle gleich, weil ein jeder von uns beim Wählen eine Stimme hat. | |
Die enorme Ungleichheit als gesellschaftliches Problem wird mit der | |
Schutzbehauptung weggewischt, die Privilegien der wenigen verurteilten | |
keineswegs die Minderbemittelten zu einem Leben voller Nachteile. Selbst | |
wer den kausalen Zusammenhang zwischen Armut und Reichtum leugnet, wird das | |
historische Faktum nicht abstreiten können, dass materielle Ungleichheit zu | |
sozialen Konflikten führt. Statt dies zu problematisieren, erklärt eine | |
Armada von Analysten der Öffentlichkeit mit der Regelmäßigkeit einer | |
Gelddruckmaschine, das Wohl der wenigen komme der Mehrheit zugute (der | |
Trickle-Down-Effekt), eine Schutzbehauptung, die empirisch so eindeutig | |
bewiesen ist wie die unbefleckte Empfängnis. | |
Wir vergessen meist, dass Eigentum Verhandlungssache ist. Der Satz „Das | |
gehört mir“ kann jederzeit infrage gestellt werden durch ein „Sagt wer?“ | |
oder „Wieso?“. In Krisen nehmen die Herausforderungen an das Eigentum zu. | |
Es ist höchste Zeit, dass wir massives Vermögen grundsätzlich infrage | |
stellen. Es gefährdet das Gemeinwohl und ist durch nichts zu rechtfertigen. | |
Wer das Thema umgeht, ist der Vermögensverteidigungsindustrie | |
anheimgefallen, die neben der Geldwäsche auch die Gehirnwäsche beherrscht. | |
25 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Ilija Trojanow | |
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