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# taz.de -- Kolumne Schlagloch: Evangelium des Wohlstands
> In Brasiliens Freikirchen folgt der Teufelsaustreibung die Zeche. Denn
> die Gemeinden müssen an den Mutterkonzern Franchise-Gebühren zahlen.
Bild: Der Papst an der Copacabana: Die katholische Kirche hat Konkurrenz bekomm…
Der Weg zur Erlösung war mühsam. Zwischen mir und der Igreja Universal do
Reino de Deus befand sich eine vielspurige Stadtautobahn. Um mich herum
hasteten Menschen dem Feierabend entgegen, vorbei an Verkaufsständen, die
das Wesentliche anboten: Socken, Sonnenbrillen, schwarz gebrannte DVDs.
Alle Ausgänge von der Fußgängerbrücke führten zu Busständen, stets die
weithin erstrahlende Kirche im Blick, aber weiterhin acht Spuren und einen
Kanal von der langgezogenen Treppe entfernt, die zu ihren gläsernen
Eingangstüren führte.
Als ich endlich Zugang fand, stellte ich erleichtert fest, dass der
Gottesdienst noch nicht begonnen hatte. In dem weiten Rund eines nach vorne
spitz zulaufenden Konferenzsaals verloren sich geduldig wartend die
Gläubigen.
Es war still und ruhig. Links und rechts der Bühne zwei gewaltige
Bildschirme, auf denen alles live übertragen werden sollte, und überall
Lautsprecher, wie bei einem Rockkonzert. Sanfte spirituelle Fahrstuhlmusik
beschallte den Raum, der Kameramann übte Fahrten, ein Mitarbeiter
entstaubte zwei Sessel mitten auf der Bühne, ein anderer testete die
Mikrofone.
## Beten mit Flip-Flops
Seit 1980 hat sich die Anzahl aktiver evangelikaler Kirchgänger in
Brasilien verdreifacht, jeder siebte ist inzwischen Mitglied einer
Freikirche, die Zahl der regelmäßig Praktizierenden dürfte bald
vergleichbar sein mit jener unter Katholiken. Unterstützt werden diese
„charismatischen Freikirchen“ von 76 Radiostationen, 20 TV-Sendern und 100
Senderbeteiligungen. Evangelikale Abgeordnete repräsentieren mittlerweile
den wichtigsten Block im brasilianischen Kongress.
Der neue Papst hat sich keineswegs aus sentimentalen Gründen auf seiner
ersten Auslandsreise nach Brasilien begeben; die katholische Kirche ist
drauf und dran, hier ihre Marktführung zu verlieren.
Die Gläubigen trudeln ein, manche mit ihren Einkäufen, andere mit ihren
Schultaschen, manche in Flip-Flops und einige sogar in kurzen Hosen. Viele
sind eher ärmlich gekleidet. Die Deckenstrahler gehen an, ein geschmeidiger
Showmaster tritt auf, energisch, grüßt knapp, bevor er ein erstes
gesungenes Gebet anstimmt, begleitet von einem Pianisten im Hintergrund, er
gibt die Strophen vor, die wir im Chor nachsingen, die Hände hochgehalten
in einer Geste der Ergebenheit.
Schon nach wenigen Minuten ist die Ouvertüre beendet, Mikrofone wandern
durch die vorderen Reihen des inzwischen zur Hälfte gefüllten Saals, die
Gläubigen teilen ihre Sorgen mit, eine zuversichtliche weibliche Stimme
erteilt Rat, im dem das Wort von Glaube und Stärke reichlich Verwendung
findet. Derweil erzeugt das schummrige Licht in dem gewaltigen Raum eine
Stimmung der Intimität. Es melden sich viele zu Wort, obwohl Tausende
zuhören.
## Mikrofon als Waffe
„Es gibt in den Freikirchen eine direkte Verbindung zu Gott“, hatte mir
einige Tage zuvor ein streng gläubiger Baptist erklärt. „In der
katholischen Kirche steht der Priester vorne, die Bibel in der Hand, und
verhandelt mit Gott im Namen seiner Gemeinde. Bei uns ist der Pastor ein
normaler Mensch, einer von uns, bei uns geht es demokratischer zu. Wir
lesen gemeinsam oft in der Bibel, die Predigt hat etwas mit unseren
Alltagssorgen zu tun, wir haben eine direkte Beziehung zu Gott, überall,
jederzeit.“
Auf einmal verändert der Showmaster drastisch seine bislang frohlockende
Stimme. Im kämpferischen Duktus raunt er, schreit er, hastet umher, seine
Stimme mal tief, mal spitz, das Mikrofon die wichtigste Waffe seiner
Spiritualität, fast überschlagen sich seine Worte, er springt von der
Bühne, um an vorderster Front den Gläubigen beizustehen, die erstaunlich
schnell das Böse in sich zum Vorschein bringen, auf dass es ausgetrieben
werde. Ich war vorgewarnt, der Freitag gilt der „Befreiung“ von bösen
Geistern.
Während wir uns mit über dem Kopf verschränkten Händen schützen, gibt wie
aus dem Nichts ein Lebewesen unmenschlich klingende, bellende Laute von
sich, schrille weibliche Schreie ertönen, immer mehr, zunehmend intensiv.
Wir wiegen uns, wir schütteln uns, selbst der reinen Vernunft laufen
Schauer über den Rücken. Der Showmaster attackiert die Dämonen, „Sai! Sai!…
(„Raus! Raus!“), beschwört in jedem Satz den Heiligen Geist, die suggestive
Stimmung verdichtet sich im Dämmerlicht.
Mehrfach stoßen wir die Dämonen mit den Armen weg, schließlich drehen wir
uns um, dem Ausgang entgegen, strecken die Arme wieder aus, hoch, zwei
Minuten lang, der Showmaster zählt herunter, eine Minute, 30 Sekunden, zehn
Sekunden, umdrehen, die Hand auf die Stirn legen und kurz darauf in einem
letzten Akt der Reinigung mit beiden Händen die letzten Rückstände des
Bösen von unseren Körpern wegwischen, von Kopf bis Fuß, wie einer, der sich
in der Wüste nur mit der Luft waschen kann.
## Prinzip Franchise-Kirche
Während des gesamten Gottesdienstes ist eine Vielzahl von hervorragend
geschulten Mitarbeitern, gekleidet wie Stewards und Stewardessen, im
Laufschritt in dem Konferenzsaal unterwegs. Ihr Pensum ist beachtlich:
geweihtes Wasser in kleinen Plastikbechern verteilen, Blätter einsammeln,
auf denen die Gläubigen ihre Sorgen, Nöte, Wünsche notiert haben, Formulare
austeilen, auf denen Spenden zugesichert werden, und wieder einsammeln. Der
erfolgreichen Teufelsaustreibung folgt die Zeche. Barzahler eilen nach
vorne, um ihren Obolus in die weinroten Säckel zu entrichten.
Die Universalkirche des Bischofs Edir Macedo, eines Millionärs, der seinen
internationalen Konzern von New York aus leitet, bildet Gemeinden auf
kommerzieller Basis, die nach dem Franchise-Prinzip funktionieren: Wer eine
neue Filiale eröffnet, muss Lizenzgebühren an den Gründer zahlen. Einige
der Gläubigen trugen passenderweise Avon-Taschen, Brasilien ist inzwischen
der weltweit größte Markt dieser ähnlich operierenden Kosmetikfirma. Hier
herrscht das Evangelium des Wohlstands. Weitere Gesänge heben an. Eine
Erleichterung nach vollbrachter Arbeit ist spürbar. Entspannt singen wir
dem Ende entgegen.
17 Oct 2013
## AUTOREN
Ilija Trojanow
## TAGS
Brasilien
Franchise
Papst
Guantanamo
Uli Hoeneß
Schlagloch
Buch
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