| # taz.de -- „Juden. Geld. Eine Vorstellung“: Alter Hass in neuen Facetten | |
| > In der Ausstellung „Juden. Geld. Eine Vorstellung“ spürt das Jüdische | |
| > Museum in Frankfurt am Main einem Bild nach, das die Nazis überlebt hat. | |
| Bild: Erhält im Zusammenhang mit der Vokabel „Jude“ prinzipiell eine negat… | |
| FRANKFURT/MAIN taz | „Silber und Geld nahm der Jude uns weg, Deutschen | |
| liess er diesen Dreck.“ Diese antisemitische Bemerkung ließen völkische | |
| Nationalisten in der Weimarer Republik auf einen 20.000-Reichsmark-Schein | |
| aufdrucken, den die Inflation im Jahre 1923 hervorgebracht hatte. Der Jude, | |
| so die darin verfolgte Imagination, nimmt also nicht nur das Geld, sondern | |
| er sorgt zudem dafür, dass die anständigen, arbeitsamen Nichtjuden das ihre | |
| verlieren. | |
| Auch wenn die Vorstellung vom raffenden Juden nicht zum Kern des | |
| Rassenantisemitismus der Nationalsozialisten zählte, so bedienten sich | |
| diese doch gerne dieses Vorurteils, um das eigene Handeln und Morden | |
| entsprechend zu legitimieren. Dazu zählte die furchtbare Aufschrift „Arbeit | |
| macht frei“ am Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz I, die die | |
| Vorstellung bediente, dass Juden eben nicht nur von ihrem Wesen her | |
| Geldgeschäfte tätigten, sondern dass sie zudem ihren Reichtum nicht | |
| redlicher Arbeit verdankten. | |
| Der Geldschein ist Teil [1][einer beachtenswerten Sonderausstellung des | |
| Jüdischen Museums Frankfurt am Main]. „Juden. Geld. Eine Vorstellung“ | |
| lautet der wohlbedachte Titel der Schau, und nicht etwa „Juden und Geld“ | |
| oder „Geld und Juden“. Mit diesem Titel, so der Museumsleiter Raphael | |
| Gross, wolle man deutlich machen, dass Geld zwar in der Regel ambivalent | |
| dargestellt wird – wer würde schon einen Lottogewinn zurückweisen – , im | |
| Zusammenhang mit der Vokabel „Jude“ aber prinzipiell eine negative | |
| Konnotation erhält. | |
| So folgt die Ausstellung zwei unterschiedlichen Spuren: einerseits der | |
| sozialgeschichtlich bedingten Tatsache, dass tatsächlich viele Juden zum | |
| Geldhandel gezwungen waren und einige dabei großen Wohlstand erreichten, | |
| andererseits aber der antisemitischen Imagination, nach der Juden dieses | |
| Geld nicht nur „unehrlich“ verdienten, sondern ihre damit verbundene Macht | |
| auch dazu nutzen würden, um ihre Umgebung zu beherrschen und auszubeuten. | |
| ## Zinsen als Sünde | |
| Die Spurensuche im Jüdischen Museum beginnt folgerichtig im Mittelalter. | |
| Anhand von Dokumenten wie einer Urkunde über die Wiederansiedlung der Juden | |
| im Speyer vom Oktober 1352 oder Luthers Schrift „Von den Jüden und ihren | |
| Lügen“ wird deutlich, wie Angehörige der Minderheit bevorzugt in Geschäfte | |
| mit dem Geldverleih vordrangen, weil die christliche Kirche das Nehmen von | |
| Zinsen als Sünde betrachtete. | |
| Allein, diese Nische im Wirtschaftsleben mochte vielen Familien eine | |
| Existenz ermöglicht haben, was aber zugleich die Schimäre schuf vom | |
| unehrenhaften, unehrlichen, geizigen und wuchernden Juden, dessen | |
| Vertreibung und Ermordung einer Reinwaschung von der Sünde gleichkam. | |
| So entwickelt sich das Vorurteil parallel zu Wirtschaftsgeschichte. | |
| Beginnend bei den Hoffaktoren und Hofjuden (die vermeintlich ihre Macht | |
| über Gebühr ausnutzten), weitergeführt als Bankiers und Warenhausbesitzer | |
| (die angeblich den Kleinhandel in seiner Existenz bedrohten) bis zum | |
| jüdischen Spekulanten, dessen Bild bei Rainer Werner Fassbinders „Der Müll, | |
| die Stadt und der Tod“ das Klischee vom ausbeuterischen Juden | |
| aufrechterhält, während alle anderen nichtjüdischen Spekulanten unerwähnt | |
| bleiben. | |
| Und so thematisiert die Ausstellung dankenswerterweise zwei weitere | |
| Phänomene, die deutlich machen, dass dem antisemitischen Vorurteil nicht zu | |
| entrinnen war. Da ist einerseits der Judenhass von links, geprägt von der | |
| Vorstellung der Verkörperung des Kapitalismus durch ihre jüdischen | |
| Vertreter. Es waren da keineswegs nur kleingeistige Radaubrüder am Werk, um | |
| diese Behauptung populär zu machen. | |
| Der damals berühmte Werner Sombart etwa vertrat in seinem 1911 erstmals | |
| erschienenen Bestseller „Die Juden und das Wirtschaftsleben“ die These, | |
| dass der Finanzkapitalismus „dem jüdischen Einflusse“ seine Entstehung | |
| verdanke. Wer also den Kapitalismus bekämpften wollte, so die krude Logik, | |
| musste vor allem die Juden ausschalten. | |
| Zum Zweiten aber betrifft das gewandelte, quasi modernisierte Vorurteil vom | |
| reichen Juden ganz direkt die kleine Zahl von Juden, die seit dem Ende des | |
| 19. Jahrhunderts in ihrer Hinwendung zu sozialistischen und kommunistischen | |
| Idealen nicht nur ihre eigene Emanzipation zu betreiben suchten, sondern | |
| erhofften, dass die künftige klassenlose Gesellschaft mit dem | |
| Antisemitismus ein für allemal aufräumen würde. | |
| ## Gegen das Volkswohl | |
| Bekanntlich war das Gegenteil der Fall: Durch ihren Kurs nach links wurden | |
| sie von Rechtsradikalen als Träger eines vermeintlich jüdischen | |
| Bolschewismus identifiziert, der die guten Sitten und das Volkswohl der | |
| geknechteten Mehrheit bedrohte – eine neue Facette des alten Judenhasses. | |
| So gelang den Antisemiten das Kunststück, Juden gleichzeitig als | |
| kommunistische wie kapitalistische Bedrohung erscheinen zu lassen und dies | |
| in beiden Fällen mit ihrer herbeifantasierten finanziellen Allmacht zu | |
| begründen. | |
| Das Klischee vom reichen und mächtigen Juden hat, so die traurige | |
| Quintessenz der Ausstellung, den Nationalsozialismus kaum beschadet | |
| überdauern können. Das machen die Tafeln deutlich, die am Ende der Schau | |
| stehen. Auf einer ist die Anfrage des chinesischen Fernsehsenders CCVT2 | |
| dokumentiert, die dieser 2011 an das Jüdische Museum richtete. Sie lautet: | |
| „Bitte schildern Sie kurz, wie die Juden Geld sehen oder verstehen.“ | |
| „Juden. Geld. Eine Vorstellung“. Jüdisches Museum Frankfurt am Main, | |
| Untermainkai 14/15. Bis zum 6. Oktober. Der Begleitband ist im Campus | |
| Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro | |
| 29 Apr 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://juedischesmuseum.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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