Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Als Israeli in Deutschland: „Ich will verstehen, wie sie denken“
> Seit Maor Shani nach Bremen zog, verteidigt der regierungskritische
> Israeli sein Heimatland. Antisemiten, ob rechts oder links, geht er kein
> bisschen aus dem Weg.
Bild: "Ich bin oft frustriert, wenn eine Diskussion endet, weil jemand als Anti…
taz: Herr Shani, Sie lassen wenig Gelegenheiten aus, sich mit
Antisemitismus zu konfrontieren.
Maor Shani: Ja, ich war sogar schon einmal Gast in einer Radioshow in den
USA, wo ich zwei Stunden lang mit Holocaust-Leugnern diskutiert habe. Es
war furchtbar. Sie haben Sachen gesagt, die jenseits jeder Vorstellung
waren. Sie bewunderten die Nazis dafür, dass sie die Juden losgeworden
sind. Das ist paradox, weil sie auf der anderen Seite behaupten, der
Holocaust habe nie stattgefunden.
Warum tun Sie sich das an?
Es interessiert mich, ich will verstehen, wie solche Leute denken.
In Deutschland treten sie selten so offen auf.
Stimmt, hier findet man eher das, was sekundärer Antisemitismus genannt
wird: „Die Juden nutzen ihre Leiden aus“, „Sie tun anderen an, was ihnen
geschehen ist“, „Wir reden nur über die jüdischen Opfer der Nazis“, „…
geht nur darum, Geld in die ’jüdische Holocaust Industrie‘ zu pumpen“ –
solche Aussagen gelten als legitim. Am komfortabelsten ist es, wenn man
einen Juden findet, der so etwas sagt.
Ist denen, die so reden, bewusst, dass das antisemitische Argumente sind?
Wissen Sie, ich benutze das Wort Antisemitismus nicht so gerne, weil es vom
Hass und dem Fanatismus, der dahintersteckt, ablenkt. Da wird schließlich
eine ganze Gruppe von Menschen dämonisiert. Ich bin oft frustriert, wenn
eine Diskussion endet, weil jemand als Antisemit bezeichnet wurde. Das ist
einfach, dann brauchst du nicht mehr zu argumentieren.
Worüber diskutieren Sie?
Viele wundern sich darüber, dass Israel – ein demokratisches und liberales
Land mit Gay-Pride-Paraden in Tel Aviv – ein anderes Land besetzt,
Checkpoints baut und eine Mauer. Manche Leute erklären das damit, dass
Israelis bösartig sind.
Und Sie?
Es gibt Gründe für diese Politik, so schrecklich das für die Betroffenen
sein mag. Ich war wie alle nicht-orthodoxen Juden nach dem Abitur drei
Jahre in der Armee und habe an Checkpoints gestanden. Wir haben explosive
Stoffe gefunden und Selbstmordattentäter gestellt.
Es war bewiesen, dass diese Leute Attentate verüben wollten?
Bei einigen, ja. Es war eine sehr chaotische Zeit, nicht wie heute, wo die
Checkpoints fast wie normale Grenzübergänge sind. Ich war dort, als im
Oktober 2000 die zweite Intifada startete. Wir wussten nie, wen wir
durchlassen sollten und wen nicht.
Hatten Sie damit ein Problem?
Mir taten die Leute leid, ja. Aber ich wusste, warum wir dort waren. Alle
zwei Tage explodierte ein Bus.
Und schon sind wir mitten im Nahost-Konflikt. Haben Sie häufig das Gefühl,
Israel verteidigen zu müssen?
Ich habe darüber neulich mit einem israelischen Freund aus Berlin
gesprochen. In Israel würden wir zu Demos gegen die Regierung gehen – und
hier verteidigen wir ihre Politik! Aber das ist auch kein Wunder: Wir
werden oft attackiert, nicht als Individuen, sondern weil wir als
Repräsentanten Israels gesehen werden.
Von wem?
In der Uni passiert das oft. Ich bin dort einer von zwei Israelis. Sobald
jemand, den ich nicht kenne, mitbekommt, woher ich komme, geht es um
Politik. Das ist nicht schlecht und zeigt ein Interesse. Aber es gibt
Leute, die gegen Israel argumentieren wollen und sich freuen, ein Opfer
gefunden zu haben.
Sie suchen aber auch die Auseinandersetzung, gehen zu Vorträgen, bei denen
Sie wissen: Es wird Streit geben.
Ich gehe nicht zu allen diesen Veranstaltungen, aber zu vielen, ja. Das
gehört zu meinem akademischen und politischen Leben.
Sind Sie ein Botschafter Ihres Landes?
Ich sehe mich nicht so, aber ich will definitiv das Image Israels
verbessern. Es gibt mehr als den Nahost-Konflikt. Der ist ein Teil des
Lebens dort, aber er hält niemand davon ab, sein Leben zu leben. Wenn ich
vor Schülern spreche, sind die meistens überrascht, dass junge Israelis
dieselben Interessen haben wie sie, Musik hören und ausgehen.
Ist Israels Image schlecht?
In Deutschland nicht, die Medien berichten viel ausgewogener als in anderen
europäischen Ländern. Und auch die deutsche Linke ist entweder neutral oder
sogar Pro-Israel. Das ist in England und Frankreich ganz anders.
Warum gibt es überhaupt so etwas wie eine Anti-Israel-Haltung?
Es ist sehr einfach, sich mit den Palästinensern zu identifizieren. Du
siehst, dass Palästinenser leiden, mehr als Israelis. Ganz ehrlich: Wenn
ich hier leben würde und kein Jude wäre: Ich wäre wahrscheinlich auch
Anti-Israel. Oder zumindest Pro-Palästina.
Es gibt Orte auf der Welt, da leiden die Menschen viel mehr.
Aber darüber erfahren wir nicht so viel. In Afrika gibt es viele Konflikte,
aber wenig Medien. Israel ist ein winziges Land und dazu hoch entwickelt.
Wenn da etwas passiert, sind fünf Minuten später hundert Reporter dort. Und
der Konflikt hat etwas Einnehmendes: West gegen Ost, Islam gegen
judäo-christliche Kultur, stark gegen schwach, Imperialismus gegen
Kommunismus.
Das erklärt trotzdem nicht, warum sich manche Deutsche so verhalten, als
wären sie im Gaza-Streifen aufgewachsen.
Das stimmt. Vor ein paar Wochen hatte ich eine Diskussion mit einem
Studenten über sein Land, Kosovo. Er wollte, dass ich mich auf eine Seite
stelle, und ich habe gesagt, dass ich keine Stellung beziehe, weil ich
keine Beziehung zu dem Konflikt habe. Ich wäre froh, wenn man das mit
Israel genau so machen würde. Ich verstehe den Hass nicht, wenn man nicht
selbst betroffen ist.
Haben Sie manchmal Angst?
Weil ich jüdisch bin? Das wissen die Leute ja meistens nicht. Einmal hatte
ich ein Erlebnis in Hannover mit einem Taxifahrer. Als er die israelische
Flagge an dem Haus gesehen hat, zu dem ich wollte, hat er mir das Trinkgeld
entgegengeschmissen. Er nehme kein „jüdisches Geld“. Oder wir saßen in der
Uni mal beim Mittag und plötzlich sagte ein Student, den ich gar nicht
kannte: „Das Problem mit euch Leuten ist, dass ihr die Welt dominieren
wollt.“
Wie fühlen Sie sich dann?
Ich weiß, dass viele so denken, bin aber überrascht, wenn sie es
aussprechen.
Sie erzählen das alles mit einer bemerkenswert guten Laune.
Ich nehme es wohl einfach nicht so persönlich.
War Ihnen klar, dass Sie in Deutschland solche Sprüche hören würden?
Mir war klar, dass ich in etwas involviert sein würde über Israel, aber ich
hatte keine Angst. Wenn Sie mich fragen würden, ob das mit Kippa anders
wäre: Ich weiß es nicht, das hängt vom Kontext ab. Im letzten Gaza-Krieg
gab es eine Anti-Israel-Demo an der Domsheide in Bremen. Einige der
Demonstranten waren auch bei dem Vortrag in der Villa Ichon, zu dem mir und
einer jüdischen Freundin der Zutritt verwehrt wurde.
Die Hamburger Publizistin Susann Witt-Stahl sprach im April über den
„Antisemitismusvorwurf als ideologische Waffe“.
Bei der Demo trugen sie Plakate mit der Aufschrift „Wir kaufen keine
israelischen Produkte“. Ich bin hingegangen, weil ich wusste, dass sie dort
sein würden und hatte eine israelische Flagge mitgenommen. Einige Passanten
haben sich mir angeschlossen. Nach 15 Minuten sind die Demonstranten
verschwunden. Einer, ein junger Deutscher, sagte noch: „Ihr Juden habt hier
keinen Platz.“
Warum machen Sie sowas?
Ich will ihnen zeigen, dass sie falsch liegen. Ich will verhindern, dass
nur ihre Sicht verbreitet wird. Und ich möchte, dass sie die israelische
Flagge sehen und sich ärgern.
Das ist kindisch.
Ist es nicht auch kindisch, mit zehn Leuten gegen Israel zu demonstrieren?
Ich frage immer, wenn jemand israelische Produkte boykottieren will, welche
anderen Länder er boykottiert. Keins! Und in Deutschland gibt es eine
Mode-Erscheinung, zu sagen: „Wir dürfen Israel nicht kritisieren.“ Ich
frage dann, was jemand genau nicht sagen darf. Meistens kommt dann, „dass
das Embargo für den Gaza-Streifen falsch ist und dass Israel aufhören
sollte, auf palästinensischem Gebiet Siedlungen zu bauen“. Ich erwidere
dann, dass das die offizielle Position der deutschen Regierung ist. Auch
die meisten Israelis sind gegen die Siedlungen, weil die einer
Zwei-Staaten-Lösung im Weg stehen!
Wie sehen Sie das?
Genau so, natürlich. Wenn einem Israel am Herzen liegt, geht das gar nicht
anders.
26 Jul 2013
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Juden
Israel
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Antisemitismus
Jüdisches Museum
## ARTIKEL ZUM THEMA
Umstrittene Nahost-Ausstellung: Schule unter Beschuss
Eine Ausstellung über die Vertreibung der Palästinenser sorgt für
Aufregung. In München ist der Streit jetzt wieder eskaliert.
Antisemitismus in Europa: Gedanken ans Auswandern
Einer Studie zufolge fühlen sich viele europäische Juden unsicher, Angriffe
sind Normalität. Besonders feindlich ist die Stimmung in Ungarn und
Frankreich.
Kennzeichnung von Siedlungsprodukten: Wein vom Berg des Segens
Produkte aus dem Westjordanland sollen nicht als „Made in Israel“
deklariert werden, fordert die EU. Siedler hoffen auf einen Werbeeffekt –
oder fürchten Boykott.
Wiederaufnahme des Nahost-Gesprächs: Ende der Funkstille
Israelis und Palästinenser reden wieder miteinander. Ein erstes Treffen
nach drei Jahren verlief nach US-Angaben konstruktiv. In neun Monaten soll
eine Lösung her.
Studie offenbart Ressentiments: Viele Studenten antisemitisch
Ein großer Teil der Osnabrücker Studierenden ist vor Ressentiments gegen
Muslime und Juden nicht gefeit. Trotz Bildung nicht offener als
Bevölkerungsmehrheit.
„Juden. Geld. Eine Vorstellung“: Alter Hass in neuen Facetten
In der Ausstellung „Juden. Geld. Eine Vorstellung“ spürt das Jüdische
Museum in Frankfurt am Main einem Bild nach, das die Nazis überlebt hat.
Wolfgang Gehrcke und sein Kernproblem: Israels bester aller Freunde
Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke hat in der Villa Ichon seine
enge Freundschaft mit Israel erläutert - und erklärt, wieso er sich um den
Iran sorgt. Ein bemerkenswerter Auftritt.
U-Boot-Lieferung: Ostermarsch gegen Israel
In Kiel protestieren linke Gruppen gegen die Produktion von U-Booten für
Israel, weil diese gegen den im Grunde friedlichen Iran eingesetzt werden
könnten.
Israel und die Bremer Linke: Linke sieht kein Problem
Während sich die Linke auf Bundesebene um Distanz zum Antisemitismus
bemüht, wird in Bremen Ruhe bewahrt - obwohl der Landesverband bundesweit
in der Kritik steht
Neue Debatte um Israel-Boykott: Bremens Nahost-Konflikt
Nach dem Aufruf des Friedensforums gegen den Kauf israelischer Früchte,
wenden sich Bremer Parteien und Verbände nun gegen solche Aktionen
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.