# taz.de -- Garagenpunk von Chuckamuck: Brausetabletten im Ozean | |
> Aufregender Krach und deutsche Texte mit der Dringlichkeit des | |
> Augenblicks: Das neue Album „Jiles“ vom Berliner Quartett Chuckamuck. | |
Bild: Chuckamuck singen über Mädchen, Geister, das Schwimmbad oder die Spree. | |
Chuckamuck sind von einem Ort, an dem man Eis vom Stiel schleckt, | |
Leuchttürme besetzt, sich tagsüber in den Wellen und nachts im Hafen | |
verliert. „Wir würden eigentlich gerne am Meer leben“, sagen sie. | |
In der Wirklichkeit, in der die Sonne gerade erst wieder Schatten auf die | |
aufgewärmten Straßen wirft, kommen die vier Musiker jedoch aus Berlin. Dort | |
gibt es kein Salzwasser auf den Zungen, aber Lavalampen im Proberaum. | |
Chuckamuck-Songs sind stets Stücke der Erinnerung. In ihnen reinszeniert | |
die Band Bilder der eigenen Teenagerzeit – sie sind die Gruppe, die man | |
sich früher gerne ins eigene Jugendzentrum gewünscht hätte, die aber nie | |
kam. | |
Chuckamuck machen aufregenden Krach, in den sie sich gleichzeitig nicht | |
scheuen eingängige Melodien einzustreuen. Ihr neues Album „Jiles“ | |
reminisziert nun auch an Surfmusik und schwirrende New-Wave-Gitarren, die | |
gegen den Rhythmus branden. „Jiles“ zeigt auch, warum Rock ’n’ Roll tro… | |
Nostalgie immer wichtig sein wird. | |
Wie angenehm rabaukig war schon „Wild for Adventure“, Chuckamucks | |
Debütalbum, erschienen 2011, denn die Band warf Brausetabletten in den | |
grauen Ozean der deutschen Popmusik. Dafür genügte es, rhythmisch einfach, | |
unmittelbar und direkt zu agieren und das mit rauen Akkordfolgen und | |
einigem Witz zu verweben. „Jiles“ entstand nun in Zusammenarbeit mit dem | |
Produzenten Moses Schneider, und darüber kann man sich freuen, denn es | |
sprudelt immer noch. | |
## Auf der Retrowelle gesurft? | |
Ist Chuckamuck eine Band, die nur auf Retrowellen surft? „Auf keinen Fall“, | |
lautet die Antwort von Jan, dem Bassisten der Band. Wie ihre Vorgänger auf | |
Chuckamuck wirken, zeigt sich zum Beispiel im Song „354 722 384“, der mit | |
der titelgebenden Telefonnummer an die deutsche Punkband Wizo oder die | |
US-New-Wave-Helden The B-52’s erinnert. | |
Oska Wald, einer der Sänger der Band, erklärt das folgendermaßen: „Klauen | |
gehört zum Handwerk, das geht ja gar nicht anders. Trotzdem versuchen wir | |
es größtenteils zu vermeiden. Unser Schlagzeuger Julius hat beispielsweise | |
diese Idee, dass er nie den gleichen Beat zweimal spielen will.“ | |
Abgesehen davon, dass die Praxis des Zitats ohnehin so alt ist wie das | |
Genre der Popmusik selbst, muss man der in Popkontexten stehenden Rockmusik | |
deswegen noch lange keinen Stillstand diagnostizieren: „Man kann mit den | |
gleichen Akkorden, auf denen schon unzählige Songs basieren, ganz simpel | |
einen Neuen schreiben. | |
Klar sind zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug die Urbesetzung einer | |
Rock’n’Roll-Band, ebenso selbstverständlich ist, dass alle Akkorde schon | |
einmal gespielt wurden. Aber die Kombinationsmöglichkeiten sind unendlich – | |
auch wenn alles andere alt ist.“ | |
## Mädchen, Geister und das Schwimmbad | |
Als Spezifikum von Chuckamuck können sicher auch ihre deutschen Texte | |
gelten, die fernab der Hamburger Schule, vor allem im | |
Garagenpunk-Kontexten, immer noch eine Seltenheit sind. Chuckamuck singen | |
über Mädchen, Geister, das Schwimmbad oder die Spree. Ihre Lieder erzählen | |
von Figuren, die Bill McGrill, Jeanie Reynolds oder Scully heißen – frei | |
erfunden, fungieren sie als Decknamen oder beziehen sich tatsächlich auf | |
das Personal der tollen US-Thriller Serie „Akte X“. | |
Immer wieder besingen Chuckamuck den sonnengebleichten, | |
jugendlich-aufregenden Augenblick: „Hitchhike Baby / Von hier bis Amsterdam | |
/ Und bist du einmal da / Dann zeig ich dir die Stadt und dann /Achterbahn | |
/ Kino / Wieder alles von vorn / Hitchhike Baby / Hippie / Bungalow / | |
Popcorn“, heißt es in der Single „Hitchhike“. | |
Liebe wird aufgerufen, um zugleich ihre Banalität zu veräppeln: „Und so | |
lieg ich ganz wach im Bett / Und starr die Decke an / Und ich starr so lang | |
/ Bis ein neuer Morgen kommt / Und neuer Regen fällt / Ich hab Pizza | |
bestellt / Sie müsste schon längst da sein.“ Nicht zuletzt dem oft | |
affektlosen Gesang ist es zu verdanken, dass die Erfahrungen der Songs mit | |
ironischem Augenzwinkern verhandelt werden. | |
Letztlich mündet „Jiles“ in ein Finale, das mit seinen Bläser- und | |
Tango-Anleihen die Offenheit der Band zeigt. So machen sich Chuckamuck ein | |
größtenteils digitales Poparchiv zunutze und erweitern ihre musikalischen | |
Grenzen: „Das ist der Vorteil der großen Archive, dass man jetzt Zugang hat | |
zu Musik aus Kontinenten, die vorher unerreichbar waren.“ | |
Zuletzt verheißen Chuckamuck ihren Hörern auch auf ihren Konzerten immer | |
wieder neue Gegenwart und spontane Energie, eine Stimmung, die den | |
Austausch zwischen Publikum und Band erlaubt und schon Grund genug wäre für | |
immer neuen Rock’n’Roll. Chuckamuck wissen: „So etwas kann man sich eben | |
nicht herunterladen.“ | |
Chuckamuck: „Jiles“ (Staatsakt/Rough Trade); live: 17. 5. Hamburg | |
„Molotow“, 18. 5. Frankfurt „Ponyhof“, 19. 5. München „Theatron“, … | |
Leipzig „Neues Schauspiel“, 26. 5. Cottbus „Gladhouse“, 30. 5. Berlin | |
„Ritter Butzke“. | |
13 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Lisa Forster | |
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