# taz.de -- Zukunft mit Nanotechnologie: Der optimierte Mensch | |
> Nanoteilchen lassen die Wüste erblühen und Gewürzsalz besser rieseln. | |
> Machen sie uns womöglich auch bald unkaputtbar? | |
Bild: Noch gesünder, noch schneller, noch besser: Vielleicht perlt dank Nanote… | |
Warum kann der Gecko an der Wand laufen? Wieso leuchten Muschelschalen in | |
verschiedenen Farben? Weshalb perlen Wassertropfen spurlos an den Blättern | |
der Lotospflanze ab? Bereits in den achtziger Jahren haben Physiker mit | |
High-Tech-Mikroskopen solche Naturphänomene erforscht. Die Antwort liegt im | |
Nanobereich. | |
Nanoteilchen haben im Verhältnis zu ihrem Volumen eine riesige Oberfläche. | |
Je größer die Oberfläche, desto reaktiver ist ein Material. So sind es vor | |
allem die winzigen Partikel, die Entscheidendes bewirken und beispielsweise | |
in der Grundsubstanz Siliziumdioxid den feinen Unterschied zwischen einem | |
kostbaren Opal-Edelstein und einer wertlosen Glasflasche ausmachen. | |
Seit Jahren tüfteln Nanotechniker auf atomarer Ebene an einer neuen | |
Generation von Materialien, Systemen und Geräten. Nanotechnologie, die | |
„Lehre vom Handwerk der Zwerge“, macht schon heute Brennstoffzellen, | |
Photovoltaikmodule und Elektromotoren wirkungsvoller als vor wenigen | |
Jahren. | |
Nanostrukturen machen Kunststoffe gleichzeitig leichter und stabiler, | |
Nanofilter reinigen Gewässer, und Biologen versuchen durch Nanotechnik, die | |
Abläufe der Photosynthese zu imitieren und in Wüstengebieten Biomasse zu | |
produzieren, damit dort mehr wächst. Der Nano-Pionier Craig Venter hat | |
angeblich sogar bereits Bakterien künstlich hergestellt. | |
## Supermenschen mit Supersinnesorganen | |
In der Medizin will man durch Nanoerkenntnisse neben Miniaturmotoren auch | |
lebendes Gewebe bauen. Der Mensch soll noch gesünder, noch schneller, noch | |
besser werden, genau wie es Greg Bear in seinem Science-Fiction-Roman | |
„Blood Music“ beschreibt. Darin jagen winzige Nanoroboter eigenständig | |
durch menschliche Blutbahnen, reparieren Zellen, stärken Knochen und | |
Organe, schaffen Supermenschen mit Supersinnesorganen und | |
Superimmunsystemen. | |
Die Neuauflage der Schöpfungsgeschichte, von der die Wissenschaft seit | |
Langem träumt, rückt in greifbare Nähe. Und obwohl niemand prophezeien | |
kann, wo dieser Traum hinführen soll, hat uns die Industrie längst mit | |
Nanoprodukten überschwemmt. | |
Nanopartikel von Titanoxid reflektieren in der Sonnencreme das UV-Licht. | |
Nanopartikel lassen Ketchup schneller fließen, Gewürzsalz besser rieseln, | |
Fensterglas wird nicht mehr schmutzig und Lack nicht mehr zerkratzt. | |
Beinahe unbemerkt hat sich die Nanotechnik in die Verkaufsregale | |
geschlichen. Sie ist so selbstverständlich geworden, dass die Industrie | |
kaum noch Werbeworte darüber verliert. Die Evolution zur Unsterblichkeit | |
läuten diese Produkte jedoch bestimmt nicht ein – denn was den menschlichen | |
Körper betrifft, ist man hierzulande in der Forschung und auf dem Markt | |
eher vorsichtig. | |
„In Südkorea löffeln die Schulkinder Nanoplatinjoghurt, damit sie besser | |
lernen und schneller Matheaufgaben lösen“, sagt Jurek Vengels vom | |
Verbraucherschutz des BUND. Um die 600 abenteuerliche Lebensmittel listet | |
das Woodrow-Wilson-Center weltweit unter dem Begriff „Functional Food“. In | |
Deutschland sind nur ein paar Nanovitaminpillen auf dem Markt, zu wenig | |
bekannt sind die Risiken und Nebenwirkungen. | |
## „Was, wenn das Zeug schädlich ist?“ | |
„Nanopartikel sind so klein, dass sie durch die Zellwände schlüpfen. Sie | |
können sich dort anreichern, Moleküle spalten“, erklärt Vengels. „Bekann… | |
chemische Stoffe nehmen im Nanobereich plötzlich neue Eigenschaften an. Wir | |
hoffen natürlich, dass Nanotechnik unser Leben bereichert. Aber was, wenn | |
das Zeug schädlich ist?“ | |
Aufgrund der Skepsis der Regierung, deren Kommissionen das Risiko von | |
Nanoprodukten bewerten, hält sich der Nanoboom noch in Grenzen. Die nasse | |
Nanobadehose trocknet zwar schneller, nanolackierte Kleinwagen schillern an | |
der Ampel wie lila-grüne Schmeißfliegen auf einem Hundehaufen – aber die | |
praktische Pille für immerwährende Gesundheit und Jugend lässt mal wieder | |
auf sich warten. | |
„Der Fortschritt ist eine Schnecke“, sagt Armin Grunwald, Professor für | |
Technikethik am Karlsruher Institut für Technologie. Zwar sei die deutsche | |
Grundlagenforschung führend, da aus den Ministerien viel Geld fließe. | |
Trotzdem dauere es seine zehn bis zwanzig Jahre, bis die Ergebnisse | |
schließlich auf dem Markt landen. Denn Technik muss immer erst verkauft | |
werden, bevor sie sich weiterentwickeln kann. | |
## Künftige Lebenserwartung: 120 Jahre | |
„Die Fortschritte können spektakulär sein, aber sicherlich nicht so | |
fantastisch, wie sich manche erhoffen“, prognostiziert Armin Grunwald. | |
„Nanoroboter in unserem Körper wird es zum Beispiel keine geben. Die | |
naturwissenschaftlichen Argumente wie die Energieversorgung sprechen | |
dagegen. Trotzdem wird es in den nächsten Jahrzehnten medizinische | |
Entdeckungen geben, die unsere Lebenserwartung auf hundertzwanzig Jahre | |
verlängern“, so der Technikphilosoph. | |
Mediziner haben bereits Nanokristalle entwickelt, mit denen | |
Herz-Kreislauf-Erkrankungen schon in der Frühphase erkannt werden. | |
Nanopartikel befördern Medikamente schneller dorthin, wo sie im Organismus | |
wirken sollen. | |
An der Universität Marburg züchtet eine Arbeitsgruppe Nanofasern für ein | |
besseres Knochenwachstum. An der Charité in Berlin wird an Nanoteilchen | |
geforscht, die Tumorzellen töten. Durch die Verschmelzung von Bio- und | |
Nanotechnologie soll es einmal möglich werden, Krebs, Alzheimer und | |
Diabetes auszurotten, biologische Krankheiten zu bekämpfen, den Menschen | |
nahezu unkaputtbar zu machen. | |
Dabei ein kleines bisschen Vorsicht walten zu lassen, ist vielleicht kein | |
dummer Gedanke. Das findet auch Greg Bear, der Science-Fiction-Autor. Die | |
supergesunden Supermenschen in seinem Nano-Roman verwandeln sich nämlich am | |
Ende in rosafarbenen Brei. | |
19 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Philipp Brandstädter | |
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