# taz.de -- Missbrauch von Forschungsresultaten: Gefahren aus dem Sicherheitsla… | |
> Laborversuche lösten eine Debatte über den Missbrauch von | |
> Forschungsergebnissen aus. Der Ethikrat diskutiert über | |
> Publikationsverbote. | |
Bild: Nicht nur die manipulierten Mikroorganismen stellen eine Gefahr da, auch … | |
BERLIN taz | Normalerweise dringt das, was in der Abgeschiedenheit eines | |
Forschungslabors passiert, selten an die Öffentlichkeit. Doch was der | |
[1][niederländische Forscher Ron Fouchier] und sein Team im September 2011 | |
auf Malta vorstellten, hatte das Potenzial einer Diskurspandemie. | |
Fouchier wollte herausfinden, ob der [2][Vogelgrippevirus H5N1] so mutieren | |
kann, dass er, durch die Luft übertragen, die Ansteckungsfähigkeit des | |
sogenannten Schweinegrippevirus erreicht. | |
Er veränderte das Virus im Labor also gezielt und testete es an Frettchen, | |
die als Modellorganismen bei der Influenzaforschung eingesetzt werden. Die | |
Ergebnisse sollten in renommierten Wissenschaftszeitschriften | |
veröffentlicht werden. | |
Doch das [3][amerikanische Gremium für Biosicherhei]t stoppte die | |
Publikation und legte den Wissenschaftlern ein einjähriges | |
Forschungsmoratorium auf, mit der Begründung, die Experimente könnte zu | |
bioterroristischen Zwecken missbraucht werden. | |
Die Wissenschaftsgemeinde reagierte gespalten: Müssen im Labor produzierte | |
potenzielle Biowaffen besser kontrolliert werden? Und wie ist das überhaupt | |
möglich, ohne dabei die Forschungs- und Publikationsfreiheit | |
einzuschränken? | |
Dual Use, also die Möglichkeit, wissenschaftliches und technisches Wissen | |
nicht nur für zivile, sondern auch für militärische oder gar terroristische | |
Zwecke zu nutzen, ist nichts Neues, die Atomkraft ist das prominenteste | |
Beispiel. | |
Aber die Biosicherheit ist, weil auf geringe stoffliche Substanz und kein | |
technisches Großgerät angewiesen, ein besonders sensibles Feld, auf dem | |
auch psychologisch agiert wird – erinnert sei nur an die [4][Anthraxbriefe, | |
die 2001 an amerikanische Regierungsstellen] gingen und eine | |
Milzbrandhysterie auslösten. | |
Wo mit sensiblen mikrobiologischen Substanzen oder Daten hantiert oder | |
gehandelt wird, müssen in Labors nicht nur bestimmte Sicherheitsstandards | |
(Biosafety) eingehalten, sondern es muss auch mitbedacht werden, welche | |
Gefahren das Werkeln zum Beispiel mit Viren oder Bakterien in sich birgt. | |
Biosecurity ist die quasi öffentliche Seite der Biosicherheit. | |
## Auftrag an Ethikrat | |
Vor dem Hintergrund der Debatte über die Vogelgrippeexperimente beauftragte | |
die Bundesregierung deshalb den [5][Deutschen Ethikrat] herauszufinden, ob | |
hierzulande diesbezüglich Handlungsbedarf besteht. | |
Denn egal, ob ein Virus ungewollt aus einem Labor „entwischt“ – wie | |
möglicherweise der Grippevirus von 1918, der 1977 zu einer Pandemie führte | |
– oder schlicht entwendet wird, oder ob ein veröffentlichtes | |
Laborexperiment einigen „Durchgeknallten“ die Vorlage liefert, um die | |
Gesellschaft mit einem Nachbau in Angst und Schrecken zu versetzen, | |
außerhalb von Wissenschaftskrimis sind solche Szenarien beängstigend. | |
Andererseits, so der [6][Marburger Virologe Hans-Dieter Klenk,] der bei der | |
[7][Ratsanhörung] großflächig das aktuelle Gefahrenpotenzial | |
biowissenschaftlicher Forschung absteckte, gebe es bisher auch keine | |
„belastbaren Erfahrungen“, dass durch Experimente wie dem von Fouchier | |
„etwas Dramatisches passiert sei“. Dann wäre es wohl auch zu spät. | |
## Die Forschungsfreiheit | |
Eingriffe in die Forschungsfreiheit sind nur dann vertretbar, wenn es um | |
den Schutz von Leib und Leben oder der Umwelt geht, allerdings nicht | |
vorauseilend in Form eines Kriterienkatalogs, sondern immer bezogen auf den | |
konkreten Fall, waren sich die Experten einig. | |
Im Fall des Grippeexperiments wäre das eine Güterabwägung: Liefert die | |
Forschung ausreichend Erkenntnisse über grippale Infektionskrankheiten, die | |
die damit verbundenen Gefahren legitimieren? Unter bestimmten | |
Voraussetzungen, befand der [8][in Hannover lehrende Philosoph Torsten | |
Wilholt], seien Einschränkungen der Publikationsfreiheit „nicht völlig | |
ausgeschlossen“. | |
Aber wer soll darüber entscheiden, ob ein Experiment zugelassen wird oder | |
eine Veröffentlichung Gefahren birgt? Genügen institutionelle | |
[9][Verhaltenskodices] wie der vor einigen Jahren von der Deutschen | |
Forschungsgemeinschaft (DFG) entwickelte und vor kurzem überarbeitete, um | |
Wissenschaftler in die Verantwortung nehmen? Oder bedarf es darüber hinaus | |
rechtlicher und institutioneller Absicherungen? | |
## Auf Dual-use-Risiken vorbereiten | |
Während die [10][Vizedirektorin der DFG, Elisabeth Kunst], beispielsweise | |
die [11][Zentrale Kommission für die biologische Sicherheit (ZKBS)] in der | |
Pflicht sieht, trauen NGO-Vertreter wie [12][Christof Potthof] vom | |
[13][Gen-ethischen Netzwerk (GeN)] Überwachungsbehörden aufgrund ihrer | |
personellen Zusammensetzung so wenig wie dem freiwilligen Risikomanagement | |
der Gentech-Industrie. Vielmehr sollten junge Wissenschaftler über die | |
üblichen Sicherheitseinweisungen in Labors hinaus frühzeitig auf | |
Dual-Use-Risiken vorbereitet werden. | |
Es fehlt, so der allgemeine Tenor, also weniger an gesetzlichen Regelungen | |
als an einer weltweiten Harmonisierung von Sicherheitsanforderungen und vor | |
allem an der Entwicklung einer entspannten Risikokompetenz. | |
Wenn der Feuerwehrmann erst auftritt, setzte die Londoner | |
[14][Kommunikationsforscherin Petra Dickmann] das Szenario ins Bild, ist es | |
bereits zu spät. Risikowahrnehmung und -analyse bewege sich nämlich immer | |
auf dem schwankenden Boden aktueller Kontexte und ist, wie das bei der | |
Vogel- oder der Schweinegrippe zu beobachten war, von einer | |
Krisenkommunikation überwölbt, sei es von der Furcht vor einer Pandemie, | |
sei es von der Angst vor Bioterror. | |
## Bevölerung soll sich einmischen | |
Würde die Bevölkerung aber lernen, dass Risiken höchstens einzudämmen, | |
nicht aber aus der Welt zu schaffen sind, würde sie mit Gefährdungslagen | |
angemessener umgehen und sich vorausschauend in Präventionsdebatten | |
einmischen können. | |
Nicht die Einschränkung der Forschungs- und Publikationsfreiheit also ist | |
der Weg, sondern eine weniger aufgeregte Risikokommunikation, die sich auch | |
auf Bereiche beziehen sollte, die Dual-Use-anfällig sind, wie die | |
Nanotechnologie, Aerosoltechnik oder alle Forschungssegmente, bei denen es | |
um Eingriffe in den Körper geht. | |
Dass wir von einem solchen nicht akuten Risikomanagement weit entfernt | |
sind, lässt sich daran erkennen, dass Ron Fouchier mittlerweile wieder an | |
Grippevirenmutationen forscht. Anlass ist die in China neu aufgetretene | |
Variante H7N9. Ob die Gefahr „aus der Natur“ kommt, wie er behauptet, oder | |
aus dem Labor, steht dahin. | |
4 May 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.erasmusmc.nl/MScMM/faculty/CVs/fouchier_cv?lang=en | |
[2] /Angst-vor-Bioterroristen/!84272/ | |
[3] http://oba.od.nih.gov/biosecurity/about_nsabb.html | |
[4] /FBI-haelt-Selbstmoerder-fuer-den-Taeter/!21190/ | |
[5] http://www.ethikrat.org/ | |
[6] http://www.uni-marburg.de/fb20/virologie/forschung/klenk | |
[7] http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/anhoerungen/biosicherheit | |
[8] http://www.philos.uni-hannover.de/wilholt.html | |
[9] http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/reden_stellungnahmen/2013/1303… | |
[10] http://www.dfg.de/dfg_profil/gremien/praesidium/mitglieder_praesidiums/knu… | |
[11] http://www.bvl.bund.de/DE/06_Gentechnik/03_Antragsteller/06_Institutionen_… | |
[12] http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/mitarbeiterinnen | |
[13] http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/ | |
[14] http://www2.lse.ac.uk/researchAndExpertise/Experts/profile.aspx?KeyValue=p… | |
## AUTOREN | |
Ulrike Baureithel | |
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