| # taz.de -- Debatte Guatemala: Ein historisches Urteil | |
| > Im Völkermordprozess in Guatemala kommen die Maya selbst zum ersten Mal | |
| > zu Wort. Es steht ein langer juristischer Kleinkrieg an. | |
| Bild: 626 Massaker: Für die Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude ist das ein… | |
| Wer es wissen wollte, konnte es wissen. Spätestens seit 1999, als die | |
| UNO-Wahrheitskommission zum Bürgerkrieg in Guatemala ihren Abschlussbericht | |
| vorlegte. Schon darin wird festgestellt, dass Anfang der 1980er Jahre ein | |
| Völkermord an den Maya stattgefunden hat, angeordnet von höchster Stelle. | |
| Verantwortliche durfte die Kommission nicht namentlich nennen; aber jeder | |
| wusste, wer in dieser Zeit Machthaber war. Einer davon, General Efraín Ríos | |
| Montt, wurde nun wegen Völkermord zunächst zu 80 Jahren Haft verurteilt; | |
| das Urteil wurde kurz darauf allerdings wieder aufgehoben. Der andere, | |
| Fernando Romeo Lucas García, starb 2006. | |
| Auch die grausigen Details der Verbrechen sind längst bekannt. Schon 1998 | |
| legte die katholische Kirche vier Bände mit dem Titel „Guatemala: Nie | |
| wieder!“ vor, in dem die zivilen Opfer des Kriegs von Babys berichten, die | |
| in die Luft geworfen wurden, um mit dem Bajonett aufgespießt zu werden, von | |
| Soldaten, die Schlange standen, um Frauen und Mädchen zu vergewaltigen, von | |
| zerstückelten Männern, von vernichteten Feldern, von verbrannten Dörfern. | |
| Zwei Tage nachdem Weihbischof Juan José Gerardi diese vier Konvolute | |
| präsentiert hatte, wurde er von einem Soldaten mit einem Betonklotz | |
| erschlagen. | |
| Nichts war neu im Prozess gegen Ríos Montt, und doch ist das Urteil | |
| historisch. Zum ersten Mal wurde ein Gewaltherrscher in seinem Land von | |
| einem heimischen Gericht wegen Völkermord verurteilt. Ob der heute | |
| 86-Jährige die Strafe bis zu seinem nicht allzu fernen Tod tatsächlich in | |
| einem Gefängnis absitzt oder ob er sich mit ärztlichen Attesten und | |
| juristischen Tricks in den Hausarrest rettet, spielt dabei eine | |
| untergeordnete Rolle. | |
| ## Offen vor aller Augen | |
| Die Urteilsaufhebung, nach der Teile des Prozesses neu aufgerollt werden | |
| müssen, ist nur der Anfang eines zu erwartenden juristischen Kleinkriegs. | |
| Wichtig aber ist: Der Prozess findet statt. Die lokalen Medien sehen sich | |
| gezwungen, darüber zu berichten. | |
| Was vorher in Guatemala die Opfer in sich hineingefressen und | |
| Menschenrechtsanwälte wieder und wieder ungehört eingeklagt haben, liegt | |
| jetzt offen vor aller Augen. Das müssen auch diejenigen zur Kenntnis | |
| nehmen, die zuvor behauptet hatten, das seien alles nur Lügen. | |
| Diejenigen, die sich selbst als das bessere, das eigentliche Guatemala | |
| verstehen und die die Bevölkerungsmehrheit der Maya weniger als Menschen | |
| betrachten denn als Tiere, die allenfalls als billige Arbeitskräfte zur | |
| Verfügung zu stehen haben oder als folkloristische Ausstellungsstücke für | |
| Touristen. | |
| Guatemala ist seit der Eroberung durch die Spanier ein Land in der Hand | |
| einer kleinen weißen Oligarchie. Als Reformregierungen in den 1950er Jahren | |
| dies mit einer Landreform ändern wollten, organisierte der US-Geheimdienst | |
| CIA einen Militärputsch. | |
| ## Rund 250.000 Tote Mayas | |
| Danach sicherte die Armee ein halbes Jahrhundert lang die Hackordnung mit | |
| Gewalt. Auch der Friedensvertrag nach dem Bürgerkrieg mit seinen rund | |
| 250.000 Toten – fast ausschließlich Maya – hat diese Ordnung nicht ins | |
| Wanken gebracht. Die Maya kannten den Staat nur als gewalttätige | |
| Repressionsmaschine. Im Verfahren gegen Ríos Montt erlebten sie sich als | |
| gleichberechtigte Bürger, zum ersten Mal redeten sie selbst öffentlich über | |
| ihr Schicksal. | |
| Für die Militärs ist Ríos Montt ein alter Mann von gestern. Es ist die | |
| „bessere Gesellschaft“ Guatemalas, allen voran die mächtige | |
| Unternehmervereinigung Cacif, die damit droht, das Land mit Protesten ins | |
| Chaos zu stürzen. Für sie geht es um viel mehr als um eine Symbolfigur | |
| blutiger Repression. Es geht um die Aufrechterhaltung ihrer von Rassismus | |
| geprägten und bislang unangefochtenen Hegemonie. | |
| Guatemala verdankt diesen Aufbruch dem Zusammentreffen günstiger Umstände: | |
| Eine mutige Generalstaatsanwältin traf auf eine mutige Richterin; beide | |
| hatten Rückendeckung durch die von der UNO ins Land geschickten Juristen | |
| der „Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala“. | |
| ## Es geht um Arm und Reich | |
| In den Nachbarländern Honduras und El Salvador steht dieser Aufbruch aus. | |
| Dort ist die Gesellschaft ähnlich in eine alles bestimmende Elite und eine | |
| große Masse von Zuschauern gespalten. Das rassistische Element spielt eine | |
| eher untergeordnete Rolle: Zwar werden auch in den beiden Ländern Indígena | |
| unterdrückt; sie stellen aber nur eine kleine Minderheit. | |
| In erster Linie geht es um Arm und Reich. In Honduras hatte Präsident | |
| Manuel Zelaya vorsichtig begonnen, den Armen mehr Teilhabe zu geben, bis | |
| der Militärputsch dies 2009 beendete. | |
| In El Salvador scheinen die Bedingungen auf den ersten Blick günstiger: | |
| Dort regiert seit 2009 Mauricio Funes von der ehemaligen Guerilla FMLN. In | |
| Sonntagsreden geriert sich der Präsident als Schüler des 1980 von einer | |
| rechten Todesschwadron ermordeten Erzbischofs Óscar Arnulfo Romero. In der | |
| Praxis aber bleiben dessen Mörder und all die anderen Kriegsverbrecher | |
| unangetastet, weil die FMLN kein Interesse an einer juristischen | |
| Aufarbeitung der Vergangenheit hat. | |
| Auch in ihren Reihen gibt es Leute, die dann vor Gericht erscheinen | |
| müssten. Eine wache Zivilgesellschaft, die Druck machen könnte, fehlt. | |
| Menschenrechtsorganisationen und Opferverbände sind nach dem Ende des | |
| Bürgerkriegs 1992 bedeutungslos geworden. | |
| ## Von Wahl zu Wahl | |
| Sie waren alle von der FMLN gesteuert und führungslos zurückgelassen | |
| worden, nachdem die Guerilla zur Partei geworden war. Die Köpfe der | |
| einstigen Volksbewegung sind heute Teil der politischen Klasse und denken | |
| nur noch von Wahl zu Wahl. | |
| Allein die katholische Kirche fordert weiterhin gerichtliche Aufklärung für | |
| ihre Opfer des Bürgerkriegs. Als habe es nicht Hunderte weitere Massaker | |
| gegeben. Die Angehörigen der Opfer warten noch immer, still und stumm. | |
| 28 May 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Cecibel Romero | |
| Toni Keppeler | |
| ## TAGS | |
| Guatemala | |
| Völkermord | |
| Diktatur | |
| Mittelamerika | |
| Guatemala | |
| Guatemala | |
| Guatemala | |
| Guatemala | |
| Rios Montt | |
| Zentralrat Deutscher Sinti und Roma | |
| Guatemala | |
| Argentinien | |
| Guatemala | |
| Rios Montt | |
| Efraín Ríos Montt | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Strafen für sexuelle Gewalt in Guatemala: 360 Jahre Haft für Militärs | |
| Zwei Militärs wurden wegen Versklavung, Mord und Vergewaltigung verurteilt. | |
| Die Verhandlung über die Wiedergutmachung steht noch aus. | |
| Urteil gegen Guatemalas Ex-Polizeichef: Lebenslang für mehrfachen Mord | |
| Einen Mann erschoss er selbst: Wegen der Ermordung sieben Gefangener beim | |
| Sturm auf ein Gefängnis wird der Ex-Polizeichef Guatemalas verurteilt. | |
| Ríos-Montt-Fall in Guatemala: Rückkehr korrupter Richter | |
| Der Fall des Exdiktators Efraín Ríos Montt soll vor dem Interamerikanischen | |
| Gerichtshof für Menschenrechte neu aufgerollt werden. | |
| Gewerkschaften in Guatemala: Arbeitervertreter nicht erwünscht | |
| Seit 2007 sind 53 Gewerkschafter in Guatemala getötet worden. Die Regierung | |
| braucht aber noch Zeit, um die Zustände zu ändern. | |
| Völkermordprozess in Guatemala: Ríos-Montt-Prozess auf 2014 vertagt | |
| Nach der Aufhebung des Urteils gegen den früheren Machthaber wird der | |
| Prozess wohl erst im kommenden Jahr neu aufgerollt. Bis dahin ist Ríos | |
| Montt ein freier Mann. | |
| NS-Völkermord an Sinti und Roma: Die Vitrinen-Affäre | |
| Das Landesschulamt in Wiesbaden will ein Schülerprojekt zur Geschichte der | |
| Sinti und Roma von der Liste der Gedenkorte streichen. Es hagelt Proteste. | |
| Nach Prozess gegen Rios Montt: Völkermordurteil aufgehoben | |
| Nur zehn Tage nach dem Schuldspruch ist das Urteil gegen den ehemaligen | |
| Präsidenten Guatemalas, Rios Montt, aufgehoben worden. Ein Teil muss neu | |
| verhandelt werden. | |
| Zum Tod des argentinischen Ex-Diktators: Bis zuletzt ohne Reue | |
| Jorge Rafael Videla war für Entführungen, Folter und Mord verantwortlich. | |
| Für ihn waren das keine Verbrechen, sondern Dienst am Vaterland. | |
| Kriegsverbrechen an den Ixil-Maya: Guatemala entschuldigt sich | |
| Der Oberste Gerichtshof hat entschieden: Guatemala muss umfassende | |
| symbolische Wiedergutmachungen für den Genozid an den indigenen Ixil-Maya | |
| leisten. | |
| Völkermordprozess in Guatemala: „Immer wieder Drohungen“ | |
| Die Berlinerin Stella Thuns schickt Freiwillige nach Guatemala. Sie sollen | |
| dort Zeugen im Prozess gegen das ehemalige Militärregime beschützen. | |
| Verurteilung von Ríos Montt: Krieger der Entmenschlichung | |
| Die Verurteilung des guatemaltekischen Ex-Diktators Ríos Montt hat | |
| historischen Wert. Erstmals bestätigt ein Gericht den „Völkermord“ an den | |
| Ixil-Maya. |