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# taz.de -- Verurteilung von Ríos Montt: Krieger der Entmenschlichung
> Die Verurteilung des guatemaltekischen Ex-Diktators Ríos Montt hat
> historischen Wert. Erstmals bestätigt ein Gericht den „Völkermord“ an d…
> Ixil-Maya.
Bild: Als der Bürgerkrieg 1996 vorbei war, hatte die Armee Schätzungen zufolg…
GUATEMALA-STADT taz | Als sie kamen, war Raimundo Domingo noch ein junger
Mann. Am 15. August 1982 rückt die dritte Kompanie der guatemaltekischen
Fallschirmjäger in Salquil Grande ein, einem entlegenen Dorf im
nordwestlichen Hochland, dem Siedlungsgebiet der Maya-Ethnie Ixil. An
diesem Tag arbeitet Domingo auf seinem Maisfeld außerhalb des Dorfes.
Die Fallschirmjäger, auf der Suche nach „subversiven Elementen“, töten
Domingos Vater, seine Mutter, seine Frau, seinen Bruder, seinen zehn Monate
alten Sohn, seine Tante und seine Nachbarn; insgesamt 30 Menschen. Danach
stecken sie die Häuser an. Die isoliert lebenden Ixil galten den Generälen
als Unterstützer der linken „Guerilla der Armen“. Als der Bürgerkrieg 1996
vorbei war, hatte die Armee Schätzungen zufolge jeden vierten Ixil
umgebracht.
Heute ist Raimundo Domingo 55 Jahre alt. Am Freitag sitzt er im
Zuschauerraum des Obersten Gerichtshofs in Guatemala-Stadt. Es ist der
[1][letzte Tag des Prozesses gegen General Efraín Ríos Montt], glühender
Katholik, Diktator und Oberbefehlshaber der Armee in den Jahren 1982 und
1983.
Um sieben Uhr früh ist Domingo in das Gerichtsgebäude gekommen. Er hat rote
Backen und schwarze Haare, trägt ein weißes Hemd und einen hellen Hut. 400
Menschen passen in den Saal, doppelt so viele sind drin, die, die keinen
Sitzplatz haben, drängen sich bis vor die Richterbank, sodass die TV-Teams
fluchen, weil ihnen die Sicht verstellt ist.
## Traditionell gewebter Kopfschmuck
Die Sondereinheiten der Polizei stehen mit ihren Maschinengewehren in der
Menge verteilt. Domingo und die etwa 150 anderen Ixil, die Frauen in bunt
gewebten Blusen und mit dem kunstvollen, traditionell gewebten Kopfschmuck,
sind umringt von Menschenrechtsaktivisten. Sie haben gelbe Kopfhörer auf
den Ohren, Unterstützer haben eine Simultandolmetschanlage beschafft, denn
viele Ixil sprechen nur schlecht Spanisch.
Seit dem 16. März ist Domingo in der Stadt, da begann der Prozess. Er ist
einer von rund hundert Zeugen, am vierten Prozesstag hatte er seinen
Auftritt. „Ich habe alles noch einmal durchlebt“, sagt er. Wie die Leichen
verscharrt wurden, wie die Überlebenden auf eine Hochebene fliehen, wie
zwei Wochen später die Armee nachrückt und die Bauern sich immer weiter in
die Berge zurückziehen müssen, wie die Armee schließlich in seinem Dorf
einen Stützpunkt errichtet. 16 Jahre bleibt Domingo in den Bergen, nach der
Hälfte der Zeit fällt seine zweite Frau der Armee in die Hände. Er sieht
sie nie wieder.
„Wir konnten durch die Zeugenaussagen den Schmerz, das Leid und die
Ohnmacht der Ixil nachvollziehen“, wird die Richterin Jazmín Barrios später
in ihrer Urteilsbegründung sagen. „Sie hatten nur die Wahl, zu sterben oder
in die Berge zu flüchten. Es war ein Krieg der absoluten Entmenschlichung.“
Als Domingo 1998 in sein Dorf zurückkehrt, ist sein Land weg, überschrieben
an Paramilitärs, die sich dem Druck der Armee gebeugt und ihr angeschlossen
haben. Die Überlebenden brandroden neue Felder auf den steilen,
unfruchtbaren Hängen am Rand des Dorfes und leben seither Tür an Tür mit
den Paramilitärs.
## Massaker der Armee
Eine Wahrheitskommission untersucht die Massaker der Armee. Zwei Jahre nach
Domingos Rückkehr hebt die vor allem von den Niederlanden finanzierte
Stiftung für Forensische Anthropologie neben Hunderten anderen
Massengräbern auch das Grab aus, in dem die Reste von Domingos Familie
verscharrt sind. Forensische Gutachten sollen Grundlage für die Anklage
gegen Montt sein. Die Opfer schließen sich im Jahr 2000 zu einem Verband
zusammen, sie beauftragen Anwälte und reichen Klagen ein,
Menschenrechtsorganisationen aus der ganzen Welt fordern einen Prozess,
doch Montt bleibt ein freier Mann.
Jedes Jahr im Februar tragen die Ixil am „Tag der Opfer“ die an Kindersärge
erinnernden Kisten mit den Leichenteilen vor das Justizgebäude in der
Provinzhauptstadt Nebaj. Es sind gespenstische Szenen, getragen von der
Hoffnung, dass die Täter endlich zur Rechenschaft gezogen werden. Einmal im
Monat fährt Domingo zur Opferversammlung in die Hauptstadt. Jahrelang lebt
er mit der Angst, von Paramilitärs oder anderen, die die Verfolgung der
Kriegsverbrecher stoppen wollen, getötet oder verschleppt zu werden.
Der ehemalige Diktator ist heute ein alter Mann, mit blassblau getönter
Brille, dunklen Augen und gebeugtem Gang. Als Montt zur Urteilsverkündung
den Saal betritt, pfeifen und buhen die weißen Menschenrechtler im Saal,
die Ixil bleiben ungerührt. Montt steht lange hinter der Anklagebank, er
blinzelt in die Dutzenden Kameras, als freue er sich über die
Aufmerksamkeit, die man ihm schenkt.
Dann erscheint das Gericht und beendet einen Prozess, den die Justiz zwölf
Jahre lang nicht eröffnet hat, nach nur 27 Verhandlungstagen. Es ist ein
kleines Wunder: Eine Justiz, die seit jeher ganz selbstverständlich und
unverbrüchlich auf der Seite der Herrschenden stand, wendet sich gegen
einen hoch dekorierten General, einstigen Machthaber und
Parlamentspräsidenten. „Die Ethnie der Ixil sollte vernichtet werden“, sagt
Barrios. „Sexuelle Gewalt und Hunger wurden als Waffe eingesetzt, ihre
Ernte und ihre Felder zerstört.“
## „Ja, es war ein Völkermord“
Die Ixil hätten ihre Traditionen aufgeben müssen und „die Verbindung zu
ihren Vorfahren verloren“. Montt habe die Armee befehligt und die Massaker
autorisiert. Und dann sagt sie, was der guatemaltekische Staat bis dahin
niemals eingeräumt hatte: „Ja, es war ein Völkermord. Und Ríos Montt trägt
daran die Schuld.“
Im Saal bricht Jubel los, die meisten Zuhörer springen auf, nur die Ixil
sitzen regungslos da, als hätten sie verlernt, sich zu freuen. Dafür erhebt
sich Montt und versucht, den Saal zu verlassen, die Richterin schreit ins
Mikrofon, ihre Stimme bricht: „Ich verbiete, dass der Angeklagte den Saal
verlässt, er hat zu warten, bis er von der Polizei abgeholt wird.“
Der Jubel im Saal schwillt an, selbst die Ixil stehen auf, die Menge ruft
„Richterin, Richterin!“, die Menschen fangen an zu singen und fassen sich
dabei an den Schultern, es ist wie bei einem alternativen Gottesdienst, bis
eine Spezialeinheit der Polizei Montt, den einstigen obersten General des
Landes, um 17.40 Uhr aus dem Saal führt, um ihn in das Militärgefängnis
Matamoros zu bringen.
Wie er sich jetzt fühlt? „Ich bin ganz ruhig“, sagt Domingo. Und: „Die
Richterin hat ihre Aufgabe erfüllt.“ Ob er geglaubt hatte, dass es so
kommen würde? „Ich dachte, wir müssten immer weiterkämpfen.“ Wird sein
Leben sich ändern, jetzt, da 31 Jahre Kampf für ihn vorbei sind? „Ich weiß
es nicht“, sagt er. „Ich habe vergessen, wie es vorher war.“
12 May 2013
## LINKS
[1] /Genozid-Prozess-in-Guatemala/!116061/
## AUTOREN
Christian Jakob
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