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# taz.de -- Ärzte lehnen Bürgerversicherung ab: Lobbyisten in Weiß
> Mit der Ablehnung der Bürgerversicherung hat der Deutsche Ärztetag seine
> politischen Interessen gewahrt. Ein Systemumbau käme Mediziner teuer zu
> stehen.
Bild: Gibt sich in punkto Bürgerversicherung stur: die deutsche Ärzteschaft.
In schwarzen Anzügen sitzen sie im Hannover Congress Centrum in langen
Stuhlreihen und applaudieren. Sie sind Ärzte, aber man sieht es ihnen an:
Sie sind auch Funktionäre. Als gewählte Repräsentanten sind sie zum
Deutschen Ärztetag gereist, 250 Vertreter der Landesärztekammern. Man darf
sich nicht wundern, wenn vor diesem Publikum heftig Politik gemacht wird –
gerade im Wahljahr.
„Hier und heute kann niemand sagen, wie das Wahlvolk entscheiden wird“,
betont der Präsident der Deutschen Ärztekammer, [1][Frank Ulrich
Montgomery]. „Wir sind ohnehin allein der Sache verpflichtet, unsere
Ideologie ist Patientenversorgung und Qualität, nicht Umverteilung und auch
nicht Weltverbesserung.“ Also doch keine Politik?
„Wie wäre das eigentlich, wenn wir eine Kasse für alle haben, man aber als
Patient unzufrieden ist?“, fragt später Bundesgesundheitsminister Daniel
Bahr (FDP). „Wohin wollen Sie denn dann wechseln?“ Seine Kritik gilt der
von SPD, Grünen und Linkspartei favorisierten Idee einer Zusammenlegung von
gesetzlicher und privater Krankenversicherung.
Auch Montgomery sagte auf dem Ärztetag, das Motto der Ärzte sei
Verantwortung und Freiheit, „nicht Staatsmedizin und Einheitsversicherung“.
Die Ärztefunktionäre schießen also doch gegen vermeintliche Umbaupläne. Das
klingt längst nicht mehr so neutral und politikfern, wie Montgomery sich
kurz zuvor noch präsentierte.
## Klar dagegen gestimmt
Der Ärztetag stimmte dann auch klar gegen das neue System. Die heftige
Ablehnung einer Bürgerversicherung verwundert nicht, denn
Umverteilungspläne würden die Karten neu mischen: Private
Krankenversicherungen leben derzeit von einem System, das gesündere und
wohlhabendere Personen aufnimmt und Versicherten mit hohen Einkommen
relativ günstige Tarife anbietet. Durch eine Bürgerversicherung würden
solche Privilegien wegfallen. Und wer lässt das schon gern mit sich machen?
Aber wer wird konkret? Und spricht davon, dass Privatversicherte in
Deutschland beim Arzt wie kleine Könige behandelt werden? Dass Praxen in
Regionen mit einem hohen Anteil an Privatpatienten bei einem Systemwechsel
massive Einbußen in Kauf nehmen müssten? Denn das System der
Privatversicherten beinhaltet mehr Spielraum, höher abzurechnen oder
zusätzliche Behandlungen durchzuführen, deren Nutzen für den Patienten
nicht immer einwandfrei nachgewiesen ist.
Das deutsche Gesundheitswesen zeichnet sich eben nicht nur durch hohe
Behandlungsqualität aus, wie Montgomery und Bahr betonen, sondern auch
durch krassen Lobbyismus. Fängt man an, etablierte Strukturen umzugraben,
macht man sich Feinde. Aber der Gesetzgeber muss einen Ansatz, der
Arbeitsplatzeinbußen und Umsatzeinbrüche von Praxen mit sich zieht, unter
marktwirtschaftlichen Effizienzkriterien betrachten und seine Einführung
wenigstens durchkalkulieren. Mit dem hehren Ziel, das System langfristig
billiger und sogar gerechter zu machen.
## „Alleine lösen können wir das Problem nicht“
Unklar ist dabei, ob bestehende Ungleichheiten überhaupt eine Folge des
Versicherungssystems sind. So werden Männer, die einer höheren
Einkommensschicht angehören, durchschnittlich 10,8 Jahre älter als solche,
die in relativer Armut leben. Bei Frauen beträgt der Unterschied immerhin
noch 8,4 Jahre. All diese Menschen sind versichert, daher ist die Ursache
in ihren unterschiedlichen Lebensbedingungen zu suchen, nicht primär in der
Versicherungspolice.
Dazu sagt Montgomery: „Alleine lösen können wir das Problem nicht. Wir
brauchen frühzeitige Hilfe durch Sozialarbeiter, Kindererzieher und
Lehrer.“ Ohne Hilfe aus der Politik geht es also doch nicht. Denn eine
reine Debatte um das Versicherungssystem geht am Thema vorbei. Es geht mal
wieder um gesamtgesellschaftliche Strukturen, um die Frage „Wie lebe ich
gesund?“. Der soziale Faktor bleibt die größte Kostenstellschraube im
Gesundheitssystem.
29 May 2013
## LINKS
[1] http://www.montgomery.de/
## AUTOREN
Malte Andre
## TAGS
Bürgerversicherung
Frank Ulrich Montgomery
Bundesärztekammer
Hannover
Transparenz
Klinische Studien
Krankenversicherung
Daniel Bahr
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