# taz.de -- Berichte und Gerüchte aus Istanbul: Mobilisierung über das Intern… | |
> Die Demonstranten misstrauen den klassischen Medien. Auf Twitter aber | |
> gibt es Millionen Protestnachrichten, manche sind nur ein Gerücht. | |
Bild: Die Bilder, die das staatliche Fernsehen nicht bringt, werden über das I… | |
WORLD WIDE WEB taz | Blutende Menschen, prügelnde Polizisten, Wasserwerfer, | |
Tränengas und Zehntausende Demonstranten: So sieht Istanbul seit Freitag | |
aus, wenn man die Ereignisse über YouTube, Twitter und Facebook verfolgt. | |
Die Bilderflut ist gewaltig und unübersichtlich – wie die Lage selbst. | |
Gerüchte verbreiten sich: Die Polizei habe das Entlaubungsmittel Agent | |
Orange eingesetzt, zwei Demonstranten seien gestorben, die Regierung habe | |
Facebook und Twitter blockieren lassen. Viele Nachrichten werden ungeprüft | |
verbreitet und bleiben unbestätigt – aber sie sind für die Zeugen des | |
Protests der einzige Weg, die turbulenten Ereignisse umfassend und schnell | |
zu dokumentieren. | |
Auch praktische Tipps werden auf Twitter geteilt: Wie schützt man sich | |
gegen Tränengas und Pfefferspray? Wohin genau kann man vor der Polizei | |
fliehen? Und: Wie verhält man sich bei einer Festnahme? | |
Vor allem aber werden im Internet Bilder geteilt, sie werden zu Ikonen des | |
Protests: Eine Frau im schwarzen Kleid und Flip-Flops kickt eine | |
Tränengasgranate zurück zur Polizei, eine Demonstrant liegt mit blanken | |
Oberkörper am Boden und wird von Polizisten getreten, eine Mutter wäscht | |
ihrem Kind Tränengas aus den Augen, sie stehen in der Metrostation am | |
Taksim-Platz – bis dort unten sind die Tränengaswolken der Polizei | |
gedrungen. | |
Nutzer rufen dazu auf, jedes Foto zu speichern, dass Polizeigewalt | |
dokumentiert. Falls die Verantwortlichen der brutalen Polizeigewalt | |
tatsächlich zur Rechenschaft gezogen werden sollten, sind diese Dokumente | |
entscheidend. | |
## Fernseher abschalten! | |
Als sich die Proteste am Sonntag legten, verbreiteten sich auf Twitter | |
Bilder von Demonstranten, die im zuvor umkämpften Gezi-Park und auf der | |
nahen Einkaufstraße Istiklal Müll und Tränengasgranaten einsammeln. Die | |
Demonstranten verbreiten über Twitter das Signal, dass sie sich um ihre | |
Stadt und ihr Land sorgen – und dass sie keine Eskalation wollen. | |
Wie schon im Arabischen Frühling haben die sozialen Medien die klassischen | |
Medien als Berichterstatterinnen des Protests abgelöst. Mehr noch: Seit | |
Tagen wird über Twitter unter dem Hashtag #buguentelevizyonlarıkapat | |
(„Schalte heute den Fernseher ab!“) Zehntausendfach dazu aufgerufen, die | |
Berichte der staatlichen und privaten Fernsehstationen zu ignorieren. | |
## „media blackout“ | |
Viele Demonstranten sind verärgert über die knappen Berichte im türkischen | |
Fernsehen. Sie bringen die Bilder, die sie auf den Straßen der Stadt | |
gesehen haben, nicht mit dem überein, was die TV-Nachrichten zeigen. Der | |
Begriff des „media blackout“ macht die Runde. | |
Die Journalistenvereinigung Reporter ohne Grenzen führt die Türkei aktuell | |
auf Platz 154 ihrer Rangliste zur weltweiten Pressefreiheit, immer wieder | |
werden kritische Journalisten verhaftet und verurteilt. Die staatlichen | |
Fernsehsender stehen teilweise unter dem Einfluss der Regierung. Bei vielen | |
Journalisten herrscht ein Klima der Angst. | |
## Zwei Millionen Tweets | |
So kommuniziert und informiert sich die Protestbewegung, die in einem | |
kleinen Park in Istanbul begann und sich nun über das Land verbreitet, auf | |
Twitter. Schon bis Freitagnachmittag wurden über zwei Millionen Tweets | |
abgesetzt, die sich auf die Proteste beziehen. | |
Die Hashtags #direngeziparkı, #occupygezi und #geziparki gehörten am | |
Wochenende zu den meistbenutzten Twitter-Tags weltweit. Sie wurden ergänzt | |
durch das prosaische Tag #resistanbul. Dort sammeln sich nun Nachrichten | |
über das, was nach der Räumung des Gezi-Parks kommt. | |
In der Istanbuler Innenstadt brach am Wochenende das Mobilfunknetz | |
zusammen. Einige Cafés und Läden an der Einkaufsmeile Istiklal, auf die | |
sich die Proteste verlagerten, öffneten ihre W-LAN-Netze, um die Bewegung | |
zu unterstützen. Die Demonstranten vertrauen weiterhin eher auf ihre | |
Smartphone – als auf die klassischen Medien. | |
2 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Felix Dachsel | |
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