# taz.de -- Auftakt im Manning-Prozess: Der lästige Amerikaner | |
> Ja, antwortet Bradley Manning auf die Frage, ob er an seinem | |
> Schuldbekenntnis festhält. Sein Verteidiger bezeichnet ihn als | |
> „Weltverbesserer“. | |
Bild: Bradley Manning wird von seinen Bewachern in den Gerichtssaal eskortiert. | |
FORT MEADE taz | Wer über den Militärprozess der USA gegen den Gefreiten | |
Bradley Manning berichten will, muss das zivile Leben hinter sich lassen. | |
Muss im Morgengrauen mehr als eine Autostunde nordöstlich von Washington | |
nach Fort Meade fahren, in eine große Festung auf dem flachen Land, wo sich | |
auch das Hauptquartier des militärischen Geheimdienstes NSA und das | |
Cyberkommando der USA befinden. Muss seine persönlichen Daten preisgeben, | |
sein Auto von Hunden durchschnüffeln und sich selbst auf Schritt und Tritt | |
eskortieren lassen. Und muss Regeln unterschreiben, die die US-Armee eigens | |
für diesen Prozess erfunden hat. | |
350 Journalisten aus aller Welt haben trotzdem eine Akkreditierung | |
beantragt. Die US-Armee hat 70 von ihnen zugelassen, davon dürfen jeweils | |
nur 10 gleichzeitig im Gerichtssaal sitzen. Der Prozess gegen den größten | |
Whistleblower der US-Geschichte findet in einem winzigen Saal statt: Rechts | |
und links vom Mittelgang stehen vier Reihen Holzbänke. Darauf passen | |
insgesamt 48 Personen. Außer den Journalisten sitzen auf den Besucherbänken | |
Militärs in Uniform, Angestellte der US-Regierung und eine kleine Gruppe | |
von jeweils 16 Unterstützern. | |
Sie haben erst von Mannings Existenz erfahren, nachdem der damals | |
22-jährige Nachrichtenanalyst, der in der US-Basis „Hammer“, 60 Kilometer | |
östlich von Bagdad, am Computer „Risikoanalysen“ für die kämpfenden | |
Soldaten erstellte, am 26. Mai 2010 verhaftet und der umfangreichen | |
Weitergabe geheimer Daten beschuldigt wurde. In den zurückliegenden drei | |
Jahren sind die Unterstützer zu seiner Lebensader geworden. | |
Von Mannings Verwandten sind nur eine Tante und ein Vetter zur | |
Prozesseröffnung gekommen. In Schwarz gekleidet, sitzen sie schweigend in | |
der ersten Reihe, direkt hinter dem zierlichen Manning, die Augen auf | |
seinen beinahe kahl rasierten Hinterkopf geheftet. | |
## Ein Mann im Lotus-Sitz | |
Die Unterstützer sind Fremdkörper in dem Militärgericht. Es sind | |
Kriegsveteranen, eingefleischte Pazifisten, Verteidiger einer offenen | |
Informationsgesellschaft und ein paar Anwälte. Frauen in | |
Birkenstock-Sandalen. Ältere Männer mit schlohweißen Bärten. Ein junger | |
Mann, der das Geschehen im Yoga-Lotossitz verfolgt. | |
In einem Land, das sich seit mehr als zwölf Jahren im Krieg befindet, waren | |
es die Unterstützer, die dafür gesorgt haben, dass Manning nicht in | |
Vergessenheit gerät. Sie haben das Geld für seine Verteidigung gesammelt. | |
Und sie bestehen darauf, dass er mit der Weitergabe von mehr als 700.000 | |
geheimen Daten aus Krieg, Diplomatie und dem Gefangenenlager in Guantánamo | |
der Nation einen Dienst erwiesen hat. | |
„Die meisten Leute in Oklahoma halten Manning für einen Verräter“, sagt | |
Rena Guay. Sie ist mehr als 2.000 Kilometer weit nach Maryland geflogen, um | |
ein paar Tage hinter Manning zu sitzen. Auf ihrer Visitenkarte steht: „Wer | |
ein Kriegsverbrechen bekannt macht, ist ein Patriot.“ In ihrem | |
konservativen Bundesstaat, in dem Manning ein paar Jahre als Kind gelebt | |
hat, versucht sie, um Sympathie für ihn zu werben. „Einfach“, sagt sie, | |
„ist das nicht.“ | |
Auch zwei Sozialarbeiterinnen aus New York kennen Kollegen, die drei Jahre | |
nach Mannings Verhaftung immer noch „nichts“ über seine Verdienste wüsste… | |
„Er ist ein mutiger Mann. Ein Held. Ein Humanist“, schwärmt Rose Zacchi. | |
Sie und ihre Freundin Karin Sackett, die vom Alter her die Mutter des | |
Angeklagten sein könnten, wollen ihm zeigen, dass er nicht allein ist. | |
## „Special Agents“ geladen | |
Die beiden Frauen sind sich sicher, dass Manning dankbar für die Hilfe ist. | |
Das hat sein Verteidiger David Coombs zuletzt am Vorabend des | |
Prozessbeginns per Tweet erklärt. Aber weder er noch Manning blickt in | |
diesen ersten Tagen in den Saal hinter sich, wo die Unterstützter sitzen. | |
Sie konzentrieren sich auf das Geschehen vor ihnen. Auf die Militärkläger, | |
die beweisen wollen, dass Manning „für den Feind“ und „gegen Amerika“ | |
gearbeitet habe. Dazu haben sie in den ersten Prozesstagen gleich | |
reihenweise „Special Agents“ vorgeladen, die nach Mannings Verhaftung in | |
der Tiefe seiner Computer, seiner selbst gebrannten Daten-CDs und seiner | |
Chats gegraben haben. Und Ausbilder, die den Angeklagten schon früh als | |
Soldaten kennengelernt haben. | |
Troy Moul, ein Ausbilder aus einer Geheimdienstschule in Arizona, | |
beschreibt einen jungen Manning, der „seriös“, aber wegen seiner vielen | |
Fragen auch „lästig“ gewesen sei. Von Wikileaks hat der Ausbilder erst nach | |
Mannings Verhaftung gehört. Auf Militärcomputern ist der Zugang zu | |
Wikileaks gesperrt. | |
Auch Ausbilder Brian Madrid führt vor, wie ahnungslos US-Militärs gehalten | |
werden. Er berichtet von Videos, die Manning am Anfang seiner Ausbildung | |
über seinen Alltag in der Militärschule ins Netz gestellt hat. Sie | |
enthielten nichts Verbotenes. Verstießen aber gegen die Grundregel der | |
Geheimhaltung. Sehen konnte der Ausbilder nur eines von mehreren Videos | |
seines Schülers. Der Grund: Auch YouTube ist auf den Computern der Armee | |
gesperrt. | |
## Der Zeuge der Anklage | |
Manning hört entspannt zu. In dem großen Sessel, dessen Rückenlehne er kaum | |
mit dem Kopf überragt, und zwischen seinen drei breitschultrigen Anwälten | |
wirkt er noch zierlicher als sonst. Manchmal neigt er den Kopf nach rechts, | |
um mit seinem Zivilanwalt zu sprechen, manchmal nach links, um Worte mit | |
seinen Militärverteidigern zu flüstern. Nur auf zwei direkte Fragen von | |
Richterin Denise Lind antwortet er laut mit: „Yes, your Honor.“ Sie will | |
wissen, ob er weiterhin damit einverstanden ist, dass sie allein – und kein | |
Schwurgericht – das Urteil über ihn fällt. Und ob er an seinem | |
Schuldbekenntnis festhält. | |
Im Februar hat sich Manning zu der Weitergabe von Geheiminformationen | |
bekannt. Zugleich aber die schwerwiegendsten Anklagepunkte – vor allem den | |
Vorwurf der „Hilfe für den Feind“ und der Spionage – von sich gewiesen. … | |
Motiv für die Weitergabe von Hunderttausenden von Geheimdokumenten hat er | |
die „unglaublichen und schrecklichen“ Dinge genannt, die sie zeigen, und | |
dass er eine „öffentliche Debatte“ auslösen wollte. | |
Als ein sehr blasser Mann in den Zeugenstand kommt, wird Manning | |
angespannt. Es ist seine erste persönliche Begegnung mit Adrian Lamo. | |
Während der Angeklagte ihn fixiert, vermeidet der Zeuge jeden Blickkontakt. | |
Im Mai 2010 hat Manning den Schwulenaktivisten und Hacker aus dem Irak | |
kontaktiert. Er weiß zu diesem Zeitpunkt, dass Lamo verurteilt worden ist, | |
weil er sich in Computer der New York Times und von Microsoft gehackt hat. | |
Und dass Lamo Geld für die Gruppe Wikileaks gespendet hat. | |
Manning sucht einen Vertrauten. Schon im ersten Chat mit Lamo sagt er, dass | |
er auf sensible Daten gestoßen sei, die er „nicht dort lassen“ könne. Am | |
nächsten Tag schaltet Lamo die Counter-Intelligence ein. Seine Chats mit | |
Manning setzt er noch sechs Tage bis zu dessen Verhaftung fort. | |
Lamo ist ein Zeuge der Anklage. Doch im Verhör entlockt Verteidiger Coombs | |
ihm Dinge, die Manning nutzen können. Der Zeuge bestätigt, dass Manning ein | |
„Idealist“ und „Humanist“ ist, der von seiner „gebrochenen Seele“ | |
gesprochen habe und davon, dass er „Hilfe“ braucht. Und dass Manning, als | |
Lamo ihn fragte, warum er die Dokumente nicht „an Russland oder China“ | |
verkauft, geantwortet habe, sie seien „ein öffentliches Gut“. Die Frage, ob | |
Manning „illoyal gegenüber Amerika“ gewesen sei, verneint der Zeuge. Und er | |
kann sich auch nicht daran erinnern, dass Manning „dem Feind helfen“ | |
wollte. | |
## Die Verteidiigungsstrategie | |
Der Verteidiger will seinen Mandanten vor dem drohenden „lebenslänglich“ | |
ohne Option auf Wiederfreilassung bewahren. Deswegen sucht Coombs die | |
Beschreibung „jung“, „naiv“ und „Weltverbesserer voll guter Absichten… | |
Manning. Deswegen stellt er dessen intime Konflikte in den Vordergrund. Und | |
deswegen nennt er ihn einen guten Amerikaner, der nicht dem Feind | |
zuarbeitet. Falls es klappt, könnte Manning im Alter von 45 Jahren in die | |
Freiheit zurückkehren. | |
An diesem zweiten Verhandlungstag sitzen mehrere Manning-Unterstützer in | |
einem schwarzen T-Shirt mit der weißen Aufschrift „Truth“ (Wahrheit) im | |
Gerichtssaal. Noch am Vortag mussten sie ihre T-Shirts am Eingang zu Fort | |
Meade ausziehen oder wenden. Das entfachte einen Sturm der Entrüstung in | |
den Social Medias. | |
Verändert ist am zweiten Verhandlungstag auch die Anordnung der hüfthohen | |
Gitter vor dem Gerichtsgebäude. Sie markieren Zugangswege und Zonen. Die | |
für Interviews markierte Zone ist etwas näher an das Gericht herangerückt. | |
Aber Fotos und Aufnahmegeräte bleiben weiterhin verboten. | |
## Experten ohne Namen | |
Wer in Fort Meade die Befehle während des Prozesses erteilt, ist nicht | |
herauszufinden. Aber die Stimmung ist spürbar nervös. Zu den T-Shirts sagt | |
der Militärjurist, der die akkreditierten Journalisten betreut: „Das war | |
eine unglückliche Entscheidung, die nicht hätte passieren sollen.“ Dahinter | |
stecke vermutlich eine „Bedrohungeinschätzung“ der Militärpolizei, die �… | |
Problem hat, dass sie Gedanken nicht lesen kann“. | |
Den Namen des Militärjuristen dürfen Journalisten nicht nennen. Er will als | |
„LSME“ zitiert werden – als legaler Fachmann. Der „LSME“ trägt diese… | |
dunkelblaue Army-Ausgehuniform mit goldenen Streifen auf Schulter, Ärmeln | |
und Hosenbeinen sowie mehreren Reihen von kleinen bunten Auszeichnungen auf | |
der Brust, die fast alle Prozessbeteiligten schmückt. Der einzige | |
Prozessteilnehmer in Zivil ist Mannings Verteidiger. Bevor Coombs sich 2009 | |
als Anwalt niederließ, um Soldaten zu verteidigen, diente er zwölf Jahre | |
lang in der Armee. | |
Die Militärjustiz ist eine geschlossene Gesellschaft mit engen Grenzen. | |
Journalisten bekommen nur dann eine Akkreditierung, wenn sie 14 Regeln für | |
den Prozess unterschreiben. Regel Nr. 3 verbietet die namentliche Nennung | |
von Militärpressesprechern. Nr. 7 besagt, dass Journalisten „jederzeit“ | |
durchsucht werden können. Regel Nr. 14 verbietet die direkte Ansprache von | |
Prozessbeteiligten. Interviewwünsche müssen über die Pressestelle der Armee | |
gehen. | |
Wer die politische Debatte sucht, muss Fort Meade verlassen und ins zivile | |
Leben zurückkehren. Dort reden seine Unterstützer nicht über Mannings | |
Schwächen und Ängste, sondern über seine Leistung. Am Vorabend des | |
Prozessbeginns sitzen prominente Whistleblower auf einem Podium in | |
Washington und sagen: „Wir brauchen mehr Bradley Mannings.“ Tosender | |
Beifall. | |
7 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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