Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Prozess gegen Bradley Manning: Held oder Verräter?
> Er stellte die USA mit seinen Enthüllungen über die Kriege in Afghanistan
> und dem Irak bloß. Nun beginnt der Prozess gegen Bradley Manning.
Bild: Bradley Manning ist in 22 Punkten angeklagt.
WASHINGTON taz | Für die politische Spitze in Washington und das US-Militär
ist er ein Verräter. Einer, der „mit dem Feind“ kollaboriert hat. Für
Kriegsgegner und Verteidiger des unzensierten Informationsflusses ist er
der Mann, der die Ehre der USA rettet. Ein „Held“, den sie für den
Friedensnobelpreis vorschlagen.
Aber wenn Soldaten ihn zu seinen militärischen Hearings eskortieren, geht
er neben ihren breiten Schultern unter. Bradley Manning ist nur 1,58 Meter
groß und nicht mal 50 Kilogramm schwer, ein Fliegengewicht. Seine
Enthüllungen über die Kriege in Afghanistan und Irak, über Folter, das
Internierungslager von Guantánamo und die geheime Kommunikation zwischen
US-Botschaften und Washington haben die Supermacht in einen Rachefeldzug
getrieben.
Am Montag beginnt vor dem Militärgericht von Fort Meade der Prozess „USA
gegen den Gefreiten Bradley Manning“. Der 25-Jährige ist in 22 Punkten
angeklagt, die von der Weitergabe von Geheimnissen über Verstöße gegen die
militärische Disziplin bis zur Hilfe für den Feind reichen.
Mit „Feind“ ist die Terrororganisation al-Qaida gemeint, auch wenn Manning
die Dokumente an die Internetplattform Wikileaks gegeben hatte, die sie
Tages- und Wochenzeitungen zum Abdruck zur Verfügung stellte. Der Prozess
soll zweieinhab Monate dauern. Theoretisch könnte er mit einem Todesurteil
enden, auch wenn die Anklage sagt, dass sie das nicht anstrebt.
## Zugang zu geheimen Archiven
Als Manning die umfangreichste Weitergabe von Geheimdokumenten in der
US-Geschichte organisiert, ist er 22 und arbeitet als „Nachrichtenanalyst“
der US-Armee 60 Kilometer östlich von Bagdad. Er hat Zugang zu geheimen
Archiven von Pentagon und Außenministerium. Manche Top-Secret-Dokumente
handeln von Morden und anderen Verbrechen, deren Aufklärung durch die
militärische Hierarchie vereitelt wird. Vor ihm haben zahlreiche andere
Militärs die Dokumente gesehen.
Doch Manning ist der Erste, der das Schweigen bricht. Ein Dokument, das er
weitergibt, ist das heute als „Collateral Murder“ bekannte Video. Es zeigt,
wie US-Soldaten am 12. Juli 2007 aus einem Apache-Hubschrauber heraus auf
unbewaffnete Zivilisten in Bagdad schießen. „Ich glaubte, es könnte eine
Debatte über unser Militär und unsere Außenpolitik auslösen“, begründet …
seine Entscheidung.
Als Manning sich 2007 freiwillig zur Armee meldet, hat er schwere Jahre
hinter sich. In seiner Kindheit in Oklahoma ist sein US-amerikanischer
Vater abwesend – er ist erst als Militär, dann als reisender Beschäftigter
unterwegs –, seine britische Mutter hat Alkoholprobleme. Kurz nach den
Anschlägen auf die Türme in New York trennen sich die Eltern. Der
13-Jährige zieht mit der Mutter in deren walisische Heimat. Dort fällt er
als meinungsstark, scharfsinnig und als Könner am Computer auf.
Klassenkameraden machen sich über seinen Akzent lustig, seine
Kleinwüchsigkeit und seine „weiblichen Züge“.
Mit 17 geht er zurück in die USA. Dort jagt ihn seine Stiefmutter aus dem
Haus des Vaters. Er tourt in einem Pick-up durch die Staaten, macht
Gelegenheitsjobs, sucht nach seiner Identität. Seit der Pubertät weiß er,
dass er schwul ist. Mit Anfang 20 hat er seine erste längere Beziehung.
Fast gleichzeitig beginnt er, sich damit auseinanderzusetzen, dass er sich
als Frau fühlt.
## Frauenkleider und Perücke
Als Manning nach der Ausbildung zum Nachrichtenanalysten 2009 in Bagdad
ankommt, ist seine Beziehung zu Ende. Im US-Militär gilt noch die Regel
„Don’t ask, don’t tell“. Homosexualität ist nicht verboten, muss aber
verschwiegen werden. Manning beklagt sich kurz vor seiner Entsendung nach
Bagdad in einem anonymen Interview über dieses „Doppelleben“. Ein paar
Monate später trägt er bei einem Heimaturlaub erstmals Frauenkleider und
eine Perücke.
Bei der Rückkehr nach Bagdad beginnt er, geheime Informationen aus der
Kaserne zu schmuggeln. Als Datenträger benutzt er den Chip seiner Kamera
und eine DVD, auf die er „Lady Gaga“ schreibt. Er ist nervös. Boxt eine
Kollegin. Ritzt mit einem Messer „Ich will“ in einen Stuhl. Aber er gibt
sich keine große Mühe, seine Geheimnisse zu verstecken.
Als Wikileaks das Video „Collateral Murder“ veröffentlicht, weist Manning
eine Vorgesetzte darauf hin, dass es sich um dieselbe Version wie auf dem
internen militärischen Netzwerk SIPRnet handelt. Dann chattet er mit dem
US-amerikanischen Hacker Adrian Lamo über seine Informationen. Lamo
schaltet die Behörden ein. Am 26. Mai 2010 wird Manning in Bagdad
verhaftet.
Nach mehreren Wochen in einem US-Militärzelt in Kuwait kommt der Gefangene
im August 2010 auf die Marinebasis Quantico bei Washington. Fast ein Jahr
verbringt er in Einzelhaft. Anfang 2011 muss er unbekleidet schlafen,
morgens nackt zum Appell vor seine Zelle treten. Das Justizministerium
versucht, ihn dazu zu bringen, Wikileaks als Auftraggeber zu belasten. Erst
Mitte 2011, als die Proteste aus London – Manning hat auch die britische
Staatsangehörigkeit – lauter werden, kommt die Verlegung nach Fort
Leavenworth in Kansas.
## Er bricht den Kontakt ab
Der Gefreite schweigt. Den Kontakt zu den wenigen, die ihn besuchen und mit
ihm durch ein Panzerglas sprechen und Interviews über seine angeschlagene
Gesundheit geben, beendet er. Ein junger Hackeraktivist aus Boston und sein
Vater dürfen nicht mehr kommen. Das Solidaritätsnetzwerk für Manning, zu
dem zahlreiche Kriegsveteranen gehören, wächst.
Im Gefängnis bereitet er seine Verteidigung vor. Zweieinhalb Jahre nach
seiner Verhaftung hält der angeblich psychisch labile Mann im Februar eine
lange politische Rede vor einem Militärhearing, die jemand an der
Militärzensur vorbei an die Öffentlichkeit schmuggelt. Seither ist klar,
dass Manning alle Verantwortung allein übernimmt. Dass er keine externen
Auftraggeber hatte. Dass er selbstbewusst, kämpferisch und klar ist.
3 Jun 2013
## AUTOREN
Dorothea Hahn
## TAGS
USA
Bradley Manning
Wikileaks
Irak
Schwerpunkt Afghanistan
Wikileaks
Bradley Manning
Bradley Manning
Bradley Manning
Bradley Manning
Bradley Manning
Bradley Manning
Wikileaks
## ARTIKEL ZUM THEMA
Prozess gegen Bradley Manning: Öffentlichkeit muss draußen bleiben
Der Wikileaks-Prozess gegen Bradley Manning findet demnächst zumindest
teilweise ohne Öffentlichkeit statt. Es sollen Geheimdokumente verlesen
werden.
Auftakt im Manning-Prozess: Der lästige Amerikaner
Ja, antwortet Bradley Manning auf die Frage, ob er an seinem
Schuldbekenntnis festhält. Sein Verteidiger bezeichnet ihn als
„Weltverbesserer“.
Kommentar zum Manning-Prozess: Miese Drohsignale
Die US-Militärjustiz beschuldigt Bradley Manning der „Spionage“. Damit
droht sie allen potenziellen WhistleblowerInnen und
EnthüllungsjournalistInnen.
Prozess gegen Bradley Manning: Bekenntnis im Chat
Im Verfahren gegen Bradley Manning präsentiert die Anklage einen wichrtigen
Zeugen: Dem früheren Hacker Lamo soll der Angeklagte von seinem Tun erzählt
haben.
Whistleblower in den USA: „Hi Bradley, ich bin Dan Ellsberg“
Ellsberg veröffentlichte 1971 die „Pentagon-Papiere“ zum Vietnamkrieg.
Manning gab 2010 Akten aus dem Irakkrieg weiter. Der eine gilt als Held,
der andere als Verräter.
US-Militärdokumente bei Wikileaks: Vom Gewissen geleitet
Seit Montag ist die Verteidigungsrede des US-Gefreiten und
Wikileaks-Whistleblower Bradley Manning vor einem Militärgericht online. In
der Truppe gilt er als Verräter.
Wikileaks-Prozess in den USA: Bradley Manning gesteht ein bisschen
Der mutmaßliche Wikileaks-Informant Manning bekennt sich in Teilen der
Anklage schuldig und erläutert das Ziel seines Handelns: eine Debatte über
die US-Außenpolitik.
Unterlagen aus der Voranhörung: Dokumente zu Manning veröffentlicht
Die US-Armee hat 84 Dokumente zum Fall des mutmaßlichen
Wikileaks-Informanten Bradley Manning ins Internet gestellt. Medien hatten
genau das gefordert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.