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# taz.de -- Wachposten vor Berliner Flüchtlingsheim: Angst vor Windpocken
> In einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Reinickendorf sind die
> Windpocken ausgebrochen. Die Polizei kontrolliert, die Nachbarn wüten,
> der Betreiber erstattet Anzeige.
Bild: Wer sich nicht hat testen lassen, darf das Haus nicht verlassen.
BERLIN taz | Das Gesundheitsamt hat ein Flüchtlingsheim in
Berlin-Reinickendorf unter Quarantäne gestellt. In dem Marie-Schlei-Haus im
Ortsteil Wittenau wohnen knapp 200 Asylbewerber. Nachdem dort acht Kinder
an Windpocken erkrankt sind, habe das Gesundheitsamt allen Bewohnern einen
freiwilligen Test angeboten, ob sie gegen den Erreger immun seien, sagt der
Gesundheitsstadtrat Andreas Höhne (SPD).
„114 Bewohner haben sich untersuchen lassen. 100 von ihnen sind immun gegen
Windpocken.“ Wer sich nicht hat testen lassen, muss im Haus bleiben. Seit
Freitagabend soll die Polizei dafür sorgen, dass sich alle daran halten.
Das allerdings hat den Unmut der Wittenauer Nachbarn erregt, die von Anfang
an der Meinung waren, ein Asylbewerberheim gehöre nicht in ihre
beschauliche Wohnumgebung. „Windpocken im Marie-Schlei-Haus“, war ein
anonymes Flugblatt überschrieben, das in Reinickendorf großflächig an
Laternenpfähle und S-Bahnhöfe geklebt war.
„Gesundheitsamt hat Haus unter Quarantäne gestellt, aber niemand
kontrolliert das. Erwachsene und Kinder gehen in der Umgebung herum und
können munter andere Leute anstecken. […] Was kommt demnächst? Masern? TBC?
Cholera?“ Das Flugblatt endet mit dem Hinweis, Erkrankte sollen Anzeige
wegen Körperverletzung und Verletzung der Aufsichtspflicht stellen.
„Wir haben Strafanzeige gegen unbekannt gestellt“, sagt Snezana Hummel von
der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die das Heim betreibt. „So plumper Rassismus
ist mir in meiner langjährigen Tätigkeit noch nicht begegnet.“ Windpocken
würde es in Asylheimen immer wieder geben. „Normalerweise wird lediglich
darauf geachtet, dass niemand dort ein- und auszieht und Schwangere
geschützt werden.“
## Überreaktion des Gesundheitsamtes
Ihr Kollege Manfred Nowak ergänzt: „Unsere Bewohner und Mitarbeiter gehen
besonnen mit der Situation um. Das Gesundheitsamt und die Nachbarn
reagieren über.“ Die AWO war nach Nowaks Angaben vom Gesundheitsamt
aufgefordert worden, einen Wachschutz vor das Haus zu stellen, der niemand
ein- und auslassen sollte. „Das haben wir abgelehnt, weil es
Freiheitsberaubung wäre.“ Daraufhin habe das Gesundheitsamt die Polizei
gerufen, rund um die Uhr stehen nun zwei Beamte vor dem Gelände.
Die Kosten für den Polizeieinsatz will das Amt dem Betreiber in Rechnung
stellen. „Dagegen haben wir beim Verwaltungsgericht per Eilantrag geklagt“,
sagt Nowak. Stadtrat Höhne will nicht überzogen reagiert haben.
Die Wittenauer Nachbarn hatten sich heftig gegen die Eröffnung des
Asylheims gewehrt. Als sie auf einer Bürgerversammlung erfuhren, dass das
Heim kommt, haben einige Anwohner vereinbart, „besondere Vorkommnisse“ zu
protokollieren, um irgendwann gegen das Heim klagen zu können.
## Frage nach dem Weg als „besonderes Vorkommnis“
Bisher wurde an die AWO etwa als „besonderes Vorkommnis“ gemeldet, wenn
Autos mit ausländischem Kennzeichen vor dem Asylheim parkten oder ein
Nachbar von einem Nichtdeutschen auf der Straße nach dem Weg nach Neukölln
gefragt wurde. „Ich habe gefragt, was daran das Problem sei. Die Antwort
war, die AWO sei schließlich für die Bewohner zuständig und nicht die
Nachbarn.“
Ein weiteres Ärgernis für die Nachbarn: Kinder aus dem Asylheim spielen auf
„ihrem“ Spielplatz. Die AWO bekam exakte Protokolle zugeschickt, wann wie
viele nichtdeutsche Kinder dort spielten. Auch im Internet-Kiezblog gibt es
ein solches Protokoll: „Gegen 18.30 Uhr befanden sich ca. 12 Kinder auf dem
Spielplatz der WEG. Gegen 19.00 Uhr kam noch mal eine Frau mit ihrem ca.
3-Jährigen und hat dort vielleicht eine viertel Stunde gespielt.“
Der Spielplatz, auf dem nach dem Willen einiger Anwohner nur deutsche
Kinder spielen sollen, gehört der Eigentümergesellschaft der umliegenden
Eigentumswohnungen. Da er nicht eingezäunt ist, kann man anderen Kindern
das Spielen allerdings nicht untersagen. Nicht nur die AWO, auch Stadtrat
Höhne wünscht sich einen offeneren Umgang der Wittenauer mit den neuen
Nachbarn.
17 Jun 2013
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Flüchtlinge
Asyl
Reinickendorf
Medizin
München
Flüchtlinge
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