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# taz.de -- Asylbewerber: Schweinebraten mit Frühlingsrollen
> Brandenburgs Flüchtlingsheime sind oft entlegene Baracken. Das Heim in
> Wandlitz ist eine Ausnahme.
Alles begann im November 2012 im „Goldenen Löwen“. Der „Löwe“ ist das
kulturelle Zentrum von Wandlitz, 30 Kilometer nördlich von Berlin. Auf
einer Bürgerversammlung sprachen der Landrat und die Bürgermeisterin
erstmals konkret über ein Asylbewerberheim, das im ehemaligen
Oberstufeninternat am Ortsrand eingerichtet werden sollte. Zuerst schien
die Versammlung so abzulaufen wie immer: Empörte Bürger warnten vor
Einbrüchen, Drogen und Gewalt. Eine Handvoll NPD-Mitglieder klatschte
demonstrativ Beifall.
Die Stimmung sei „zum Schneiden“ gewesen, sagt Mathis Oberhof. Der
62-Jährige ist Vorruheständler und einer der Zugezogenen in Wandlitz. Auf
der Versammlung ergriff er das Wort – und sprach von Menschlichkeit, von
16.000 Toten an den Grenzen zwischen Afrika und Europa, von deutschen
Flüchtlingen, die während der Naziherrschaft in anderen Ländern aufgenommen
wurden. Erst habe es Pfiffe gegeben, aber dann auch Applaus, erzählt er.
Heute ist Oberhof einer von denen, die eine Initiative maßgeblich
vorantreiben – den „runden Tisch“
Es ist eine Initiative, auf deren Transparenten in 14 Sprachen „Willkommen“
steht und die Wandlitz zur Ausnahmeerscheinung in Deutschland macht:
Asylbewerbern wird Freundlichkeit, Verständnis und Hilfsbereitschaft
entgegengebracht.
Im Januar zogen die ersten Asylbewerber in das Heim. Zehn Mitglieder des
runden Tischs empfingen die Menschen aus Tschetschenien, Afrika und
Vietnam. Inzwischen herrscht dort eine Art Jugendherbergsatmosphäre: bunte
Wände, moderne Sanitärräume, Küchen, Spielzimmer und spartanische, aber
saubere Schlafzimmer. Deutlich besser als der Standard vieler anderer
Asylbewerberheime in Brandenburg, die oft ab vom Schuss liegen und
Bruchbuden sind – wie etwa in Althüttendorf bei Eberswalde und in
Waßmannsdorf südlich von Berlin.
Die „Bürgerstiftung Barnim-Uckermark“ zeichnete die Gemeinde Wandlitz
bereits mit einem Demokratiepreis aus, das Preisgeld von 2.000 Euro soll
den Flüchtlingen zugute kommen. Die sollen selbst entscheiden, was mit dem
Geld geschieht. Auch der Flüchtlingsrat Brandenburg hat bisher „nur Gutes“
aus Wandlitz gehört, heißt es dort. Allerdings gebe es noch keinen Kontakt
zum runden Tisch.
Der runde Tisch hat mittlerweile ein Netzwerk aufgebaut, bei dem es neben
dem Sammeln von Spenden um die Integration der Menschen in den Alltag geht.
Eine Frau nimmt Kinder mit, wenn sie mit dem Hund spazieren geht. Tutti
Geschke, mehrfacher Weltmeister im Tandemradfahren, will ein
Werkstattprojekt unterstützen, das sich um die vielen gespendeten Fahrräder
kümmert. In der „Spendenhalle“ des Heims stapeln sich Kleidung, Spielzeug,
Möbel und Hausrat. Künftig wird auch regelmäßig gemeinsam gekocht –
interkultureller Austausch mit Schweinebraten und Frühlingsrollen. Ein
ehrenamtlicher Dolmetscherdienst übersetzt in Russisch, Vietnamesisch,
Arabisch und Urdu, und beim 1. FC Wandlitz spielen einige der
Flüchtlingskinder ohne Vereinsbeitrag. In der Schülerzeitung des Gymnasiums
werden die oft dramatischen Schicksale der Flüchtlinge in der
Schülerzeitung publik gemacht, und seit Kurzem findet im Gymnasium
Deutschunterricht für die Heimbewohner statt.
Zusammen mit anderen kümmert sich Brigitte Breuer um den Unterricht.
„Mogumi lernt fein, kak utschitjel“ – wie ein Lehrer –, lobt sie einen
Jungen aus Tschetschenien, den vielleicht jüngsten an diesem Nachmittag im
Klassenraum. Die pensionierte Lehrerin behilft sich noch mit einigen
Wörtern Russisch. „Vsjo pravilno“ sagt sie oft – alles richtig.
Richtig ist auch: Nur eine Minderheit der Wandlitzer versammelt sich am
„runden Tisch“. Und von den Freiwilligen möchte mancher lieber namentlich
ungenannt bleiben. „Im Block wohnen Nazis. Und ich habe Angst, dass die
aggressiv werden“, sagt einer. Deshalb plant der runde Tisch eine
Diskussion über Asylrecht, um Vorurteile und Unwissen zu überwinden. Ein
Fest im Frühsommer soll den Kontakt vertiefen.
Stolz ist der runde Tisch, dass die Facebook-Seite „Kein Asylbewerberheim
in Wandlitz“, die seit Ende November Vorurteile verbreitete, seit Wochen
abgemeldet ist. Oberhof verweist auf eine Studie der
Friedrich-Ebert-Stiftung, nach der 36 Prozent der Ostdeutschen meinen,
Asylbewerber interessierten sich nur für die „sozialen Hängematte“. „Das
bedeutet aber auch, dass 64 Prozent das nicht denken“, sagt er. Noch
wichtiger sei die Erkenntnis: „Wer Ausländer kennt, merkt, dass es ganz
normale, oft sehr freundliche Menschen sind, die unseren Alltag bereichern.
Das wollen wir ermöglichen.“
Trotz aller positiven Ergebnisse sind viele für ein Ende der
Heimunterbringung. „Nach einer Eingewöhnungsphase“ sollen die Flüchtlinge
in Wohnungen untergebracht werden, sagt die Wandlitzer Gemeindesprecherin
Elisabeth Schulte-Kuhnt. Es ist einfacher gesagt als getan: Etwa 500
kommunale Wohnungen gebe es, sagt Schulte-Kuhnt. Davon stehe zurzeit eine
einzige leer.
18 Apr 2013
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